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„Ein neuer Anfang“, schrieb US-Präsident Trump am Vormittag des 13. Oktober in das Gästebuch der Knesset. Doch ob sein Plan tatsächlich zu einem Frieden im Nahen Osten führt, ist noch lange nicht sicher. Immerhin ist ein Anfang gemacht
Jubel auf den Straßen von Tel Aviv, Euphorie zwischen den Ruinen von Gaza – und weltweite Zustimmung zum Gaza-Plan des US-Präsidenten Donald Trump. Ist nun der Gordische Knoten durchschlagen, die ideale Lösung für den Gaza-Albtraum gefunden? Zumindest scheinen Freude, Lob und Akzeptanz ganz allgemein zu sein für ein knappes Papier, das in 20 kurzen Einzelpunkten einen Friedensplan für den Gazakrieg und den Nahostkonflikt insgesamt skizziert.
Einige der Punkte sind kaum länger als eine Zeile. Das gesamte Dokument dürfte weniger als drei Seiten umfassen. Da ist es unvermeidlich, dass viele Einzelheiten offen bleiben. Zahlreiche Fragen, wie denn genau die jeweiligen Ziele erreicht werden sollen, bleiben zwangsläufig vorerst unbeantwortet. Trump ist ein Mann der Deals, der großen Linien, nicht der detailversessene Fachmann, der Nuancen und Einzelheiten ausformulierende Diplomat. Ihm geht es um ein großes Ganzes, nicht um Implementierungsmechanismen und komplexe Einzelfragen. Doch sind es gerade diese Schattierungen, Finessen und Details, die über das Gelingen oder Scheitern eines solch ambitiösen Projekts wie den Frieden im Nahen Osten entscheiden könnten.
Unklarheit über zentrale Begriffe
So dürften Israelis und palästinensische Araber den in Punkt 1 beschriebenen Begriff einer „deradikalisierten, terrorfreien Zone“ sehr unterschiedlich definieren. Seit der Frühzeit des israelisch-arabischen Konflikts weisen die Palästinenser darauf hin, dass der Westen mit zweierlei Maß messe („double standards“), dass auch Israel beziehungsweise vor der Staatsgründung militante Zionisten mit Terror arbeiteten. Bereits vor 50 Jahren veröffentlichte die PLO in deutscher Sprache ein Buch mit dem vielsagenden Titel „Wer sind die Terroristen?“. Schon lange fordern Palästinenser eine präzise Definition von Terror, die dann auf beide Seiten anzuwenden wäre.
Schon aus dieser Divergenz könnten sich erhebliche praktische Probleme ergeben. Werden sich die Bewohner des Gaza-Streifens politisch betätigen oder gar organisieren dürfen? Dann wird es auch Strömungen geben, die Forderungen und Vorstellungen vertreten, die denen der Hamas oder anderer arabischer Organisationen (zum Beispiel des Islamischen Dschihad) nahe oder verwandt sind. Selbst die Positionen der palästinensischen Autonomiebehörde könnten für manche Israelis – auch solche, die in Regierungen vertreten sind – als unvereinbar mit der Vorstellung einer deradikalisierten Zone sein.
Bleiberecht für alle? Und wer regiert künftig Gaza?
Punkt 6 des Plans geht implizit vom Fortbestehen der Hamas innerhalb Gazas aus. Hamas-Leute, „die sich zu friedlicher Koexistenz und zur Abgabe ihrer Waffen verpflichten“, erhalten Amnestie. Das heißt, sie werden nicht verfolgt oder strafrechtlich belangt. Ein Recht zur Ausreise wird ihnen zugebilligt. Aber dies impliziert auch ein Bleiberecht, das darüber hinaus explizit in Punkt 12 festgeschrieben wird. Wird Israel hinnehmen, dass Hamas-Mitglieder weiterhin im Gaza-Streifen leben und agieren, wenn sie sich nur – rein formal – zu friedlicher Koexistenz bereitfinden? Könnten nicht viele Israelis in einer solchen Präsenz eine Keimzelle für neue Radikalisierung sehen? Und könnte nicht die Hamas hieraus eine Legitimierung für weitere politische Aktivitäten in Gaza ableiten? Könnte dies wiederum auf israelischer Seite Zweifel daran wecken, dass Gaza eine „deradikalisierte, terrorfreie Zone“ darstelle?
In arabischen Gesellschaften sind – noch mehr als im Westen – Beziehungen, Solidaritätsgemeinschaften, familiäre und tribale Bindungen wesentlich für die Identität eines Menschen und oft entscheidend für seine Stellung in der Gesellschaft. Vor einem solchen Hintergrund wird die in Punkt 9 des Trump-Plans vorgesehene Bildung eines „technokratischen, unpolitischen Komitees“, das Gaza mehr verwalten als regieren soll, nicht unproblematisch. Dürfte es doch schwierig sein, die „qualifizierten Palästinenser“ zu finden , die den Standards aller Seiten entsprechen, die keine Bindungen zur bisherigen Hamas-Regierung haben, andererseits aber auch nicht als israelische Kollaborateure wahrgenommen werden. Die eher unpolitischen und nicht kompromittierten arabischen Fachleute könnte man am ehesten in anderen arabischen Ländern finden oder auch in der arabischen Gemeinschaft in den USA oder in europäischen Staaten. Fraglich ist, ob solche Experten interessiert sind, unter schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen solche Aufgaben zu übernehmen und ob sie jeweils die Zustimmung aller Seiten fänden.
Auch die Einbindung internationaler Fachkräfte sowie die Oberaufsicht durch ein internationales „Board of Peace“ unter dem persönlichen Vorsitz von Präsident Trump sind nicht ohne Brisanz. Bereits jetzt gibt es kritische Stimmen zu einer internationalen Aufsicht über Gaza. Viele palästinensische Araber könnten dies als eine Fortsetzung internationaler Bevormundung betrachten, von der sie sich emanzipieren möchten.
Die Rolle von Hamas und „anderen Fraktionen“
Wenn Punkt 13 vorsieht „Die Hamas und andere Fraktionen verpflichten sich, weder direkt noch indirekt oder in irgendeiner Form an der Verwaltung des Gaza-Streifens beteiligt zu sein“, so stellt sich die Frage, welches die „anderen Fraktionen“ sind. Die Volksfront zur Befreiung Palästinas, der Islamische Dschihad? Oder wird eine Liste von Organisationen erstellt, die ausgeschlossen sein sollen? Wer wird an der Erstellung der Liste beteiligt sein? Hier dürften die israelische und die palästinensische Seite divergierende Auffassungen vertreten.
Auch wird es schwierig sein, Personen von öffentlichen Funktionen auszuschließen, die Bezüge zu den genannten Organisationen hatten. Niemand konnte im Gaza-Streifen leben, ohne in irgendeiner Form mit Hamas oder anderen vergleichbaren Organisationen in Verbindung zu stehen, ungeachtet weltanschaulicher Überzeugungen.
Auch die Zerstörung militärischer oder terroristischer Infrastruktur unterliegt Interpretationsspielräumen. In vielen Fällen wird sich eine „Dual-use“-Problematik ergeben. Welche Komponenten der Infrastruktur Gazas haben eher militärischen und welche mehr zivilen Charakter? Dass die Hamas geradezu eine Meisterschaft entwickelt hat, zivile Einrichtungen auch militärisch zu nutzen, hat die Vergangenheit gezeigt.
Toleranz und friedliches Zusammenleben
Ein „interreligiöser Dialogprozess ... , der auf den Werten der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens basiert“ (Punkt 18) birgt ebenso Risiken. Israelische Skeptiker könnten befürchten, der jüdische Charakter des Staates Israel solle unterminiert werden. Das Ziel „Denkweisen ... zu verändern“ könnte wiederum von Palästinensern als Versuch gewertet werden, ihre Identität zu schwächen. Beide Seiten könnten ihre jeweiligen Standpunkte beeinträchtigt sehen. So wären derartige bewusstseinsverändernde Dialogprozesse unter Umständen eher geeignet, Vorbehalte und Zweifel beider Seiten zu bestärken.
Als besonders brisant muss Punkt 19 des Trump-Plans betrachtet werden. Dieser weist einen „Weg zur palästinensischen Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit“. Dies muss für den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und noch mehr für einige seiner Koalitionspartner geradezu eine Provokation darstellen. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein explizites Bekenntnis zur Zweistaatenlösung, das der israelischen Regierung hier zugemutet wird. Gerade diese hat aber Netanjahu in den letzten Jahren klar abgelehnt, weil er in einem solchen Versprechen eine Honorierung des Terrorismus sieht und letztendlich ein Signal an die Hamas, dass ihre Strategie erfolgreich war. Eigenstaatlichkeit wird in Punkt 19 ausdrücklich „als das Streben des palästinensischen Volkes“ anerkannt.
Punkt 19 weist aber über die engen Grenzen des Gaza-Konflikts hinaus, eröffnet die ambitionierte Perspektive einer umfassenden Lösung des Nahostkonflikts. Er stellt wortwörtlich fest, dass „die gewissenhafte Umsetzung des Reformprogramms der Palästinensischen Autonomiebehörde ... die Voraussetzungen für einen glaubwürdigen Weg zur palästinensischen Unabhängigkeit schaffen müsse“. Dies ist weit mehr, als Netanjahu je in Aussicht gestellt hat. Mit der Annahme des Trump-Plans hat er sich gleichwohl zu diesem Ziel verpflichtet. Freilich ist absehbar, dass zahllose Einwände und Vorbehalte, gegenseitige Vorwürfe und Einschränkungen diesen Weg zu einem sehr steinigen machen könnten, der noch lange nicht zu seinem expliziten Ziel führt.
Gleichwohl ist Trumps Friedensplan die umfassendste Friedensinitiative eines US-Präsidenten seit den Bemühungen, die Präsident Bill Clinton zusammen mit Yitzhak Rabin, Yasir Arafat und Shimon Perez in den 1990er Jahren unternommen hat. Auch wenn er zahlreiche Klippen und Risiken enthält, ist der Trump-Plan schon insofern aussichtsreich, als hinter ihm mit dem US-Präsidenten der einzige Staatsmann steht, der ausreichend Druck auf die Konfliktparteien ausüben kann und – zumindest hat es bislang den Anschein – auch auszuüben bereit ist.
Zum Optimismus verdammt
Auch wenn voraussichtlich nicht alle 20 Punkte in absehbarer Zeit erfüllbar sind – die Tatsache, dass sowohl Israel als auch die Hamas diesem Plan zugestimmt haben, zeigt, dass eine Freilassung der Geiseln und ein Ende der Bombardierung von Zivilisten in Gaza Ziele sind, die einen Kompromiss als lohnend erscheinen lassen, selbst wenn er für alle Beteiligten schmerzhaft ist.
Und auch wenn ein palästinensischer Staat noch in weiter Ferne liegen mag, selbst wenn die im Plan angedeutete wirtschaftliche Blüte Gazas bescheidener ausfallen sollte als zunächst erwartet, auch wenn sich zahlreiche Einzelpunkte des Textes als nicht realisierbar erweisen sollten und viele kritische Stimmen vor allem die Mängel des Trump-Plans betonen – wir haben keine Alternative und sind deshalb zum Optimismus verdammt.
Immerhin wäre selbst die Verwirklichung nur einiger der Ziele im Trump-Plan für Israelis und Palästinenser ein immenser Fortschritt. Der israelische Präsident Herzog sieht denn auch in den Ereignissen der letzten Tage „eine Wende in der Zukunft der Region“. Und laut Ministerpräsident Netanjahu beginnt jetzt „ein Weg des Aufbaus, ein Weg der Heilung“. Er selbst hat allerdings durch seine intransigente Haltung manche Chancen verspielt, schon früher zu einer Lösung zu kommen und Menschenleben zu retten.
Dr. Alfred Schlicht ist Islamwissenschaftler und Diplomat. Nach akademischer Tätigkeit unter anderem an der Universität Bamberg, am Orient-Institut Beirut und als Orient-Referent der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik war er im Auswärtigen Dienst tätig. So lebte und arbeitete er acht Jahre im Nahen Osten, unter anderem als stellvertretender Botschafter Deutschlands in Jordanien. Zu seinen Büchern gehört „Die Araber und Europa. 2000 Jahre gemeinsamer Geschichte (Kohlhammer 2008).