16.11.2025

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Bislang kaum zu erkennen: Der von der Union nach dem Ampel-Aus versprochene Politikwechsel
Bild: IMAGO/dts NachrichtenagenturBislang kaum zu erkennen: Der von der Union nach dem Ampel-Aus versprochene Politikwechsel

Der Wandel lässt auf sich warten

Vor einem Jahr zerbrach die Ampelkoalition an ihren inneren Widersprüchen, aus der folgenden Neuwahl ging die Union mit dem Versprechen eines Politikwechsels als Siegerin hervor. Ein guter Grund zu fragen, was sich in den letzten zwölf Monaten geändert hat

Werner J. Patzelt
16.11.2025

Nicht nur Parteien haben die Beweglichkeit eines Tankers. Das gilt erst recht für Parteiensysteme, in denen man gemeinsam Besitzstandswahrung auf der Brücke oder dem Sonnendeck betreibt. Auch die CDU hat sich nämlich unter Angela Merkel jener kulturellen Hegemonie gebeugt, welche die Linke im Anschluss an die weltweite Studentenrevolution von 1968 in Deutschland errang und seither immer arroganter praktiziert. Den aktuellen Nachweis liefern jene rund 25 Prozent der Deutschen, die – nach einer jüngsten Umfrage – die Altkanzlerin vermissen, obwohl diese wie niemand sonst für Deutschlands üblen Zustand verantwortlich ist: 61 Prozent unter den Anhängern der Linken vermissen sie, 52 Prozent der Grünen, 34 Prozent der SPD – und nur ganze 22 Prozent bei der Union.

Diese vollzog ihren Kurswechsel gegenüber der Merkel-Ära nicht aus Einsicht, sondern weil ein großer Teil ihrer Wählerschaft zur AfD davongelaufen war, also zu Merkels parteipolitischem Nachlass. Auch der SPD ging ein Großteil der Wählerschaft von der Fahne, viele hin zur AfD, nicht wenige auch zur Linken. Offensichtlich steckt die SPD in einer Identitätskrise. Inzwischen 27 Jahre lang fast ununterbrochen an der Macht, wenn auch nicht unterbrechungslos länger als die Union, hat sie viele jener Politiken herbeigeführt, deren Schädlichkeit seit einiger Zeit fühlbar wird, nämlich von der Energiepolitik über die Sozialpolitik bis hin zur Migrationspolitik. Im jetzigen Bündnis mit der Union soll die SPD nun auf etlichen dieser Politikfelder Korrekturen nicht nur zulassen, sondern sogar mittragen. Das wird erst diese Partei zerreißen – und dann die Koalition.

Verheddert in zeitgeschichtlichen Hinterlassenschaften
Die Union bräuchte das eigentlich nur in der Hinsicht interessieren, dass ihre jahrzehntelange Konkurrentin nun an innerer Schwäche dahinsiecht. Anders als bei den Sozialdemokraten wird der derzeit an AfD-Gestade führende Unionskurs nur von einer Parteiminderheit offen abgelehnt. Deren Stillhaltung dienen die vielen Abgrenzungsschwüre der Parteiführung. Obendrein sollen sie die nie wirklich geschlossenen Risse zwischen den jetzigen Christ- und Sozialdemokraten kitten. Das aber ist bitter nötig, weil sich die Unionsparteien nun einmal in eine Solidar- und Haftungsgemeinschaft mit der SPD begeben haben, ja sogar mit den Grünen, wo immer das erforderlich wurde. Das ist nämlich die immer schon leicht zu begreifende Nebenwirkung jenes „Kampfs gegen rechts“, den die Linke der Union als Kampf gegen einen Großteil der eigenen früheren Wählerschaft aufgezwungen hat – sehr zum Vorteil der Linken, doch zum langwierigen Nachteil des Landes.

Anscheinend hat die Union noch nicht einmal mit informellen Vorarbeiten zu jenem künftigen Zusammenwirken mit der AfD begonnen, das allein es ihr ermöglichen wird, sich von linker Hegemonie zu befreien und einen solchen Kurs des Staatsschiffs anzulegen, der nicht noch mehr ihrer früheren Anhängerschaft vertreibt. Bis auf Weiteres hat sie jedoch Rücksicht auf den fragilen Zustand ihres Koalitionspartners und auf die „Sensibilität“ – besser: Nervosität und parteipolitische Hilflosigkeit – von dessen Vorsitzenden zu nehmen. Lässt Kanzler Merz es daran fehlen, dann droht der Koalitionsbruch samt neuerlichen Bundestagswahlen. Bei diesen werden der Union aber nicht mehr wirklich viele eine „letzte Chance“ auf einen selbstbestimmten, nicht von der AfD auferlegten Politikwechsel geben. Dann ins Abseits oder an die Seite der AfD gezwungen, wird die Union für Folgeschäden der Merkel-Politik büßen müssen, wenn auch nicht ganz so zugerichtet wie Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft.

Auch von der Ampelregierung wurde der Merkel-Kurs nicht korrigiert, sondern nur entschiedener fortgesetzt als zuvor, abgesehen freilich von der eher widerwilligen Umkehr bei der Russland-Politik. Tatsächlich war dieser Kurs das Ergebnis einer über Jahrzehnte aufgebauten linken kulturellen Hegemonie samt intellektueller Lust auf Illusionen. Die reichten vom freudigen Verzicht auf die Kernenergie über eine bedingungslose Willkommenskultur bis hin zur Fehleinschätzung realer deutscher Interessen in der internationalen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Klar kritisiert hat ihn die oppositionelle Union sehr wohl. Doch ausgebremst von der SPD schaffte sie nach der Regierungsübernahme keinen umfassenden Politikwechsel. Neue Akzente mussten da ausreichen, unionsseitig begleitet vom Glauben, sie würden einen Stimmungsumschwung bewirken – wenn schon nicht im Sommer oder im Herbst, dann wenigstens zum ersten Jahrestag der verstolperten Kanzlerwahl.

Wo es vage Fortschritte gibt
Immerhin wird bei der Migrationspolitik der CSU-Innenminister Dobrindt nicht vom Kanzleramt behindert wie einst der CSU-Innenminister Seehofer. Sichtbar sind immerhin auch neue Akzente im Wirtschaftsministerium und zumindest angekündigt ebensolche im Sozialministerium. Derweil richten sich viele Unions-Hoffnungen darauf, dass ebenfalls die Führung der SPD nicht nur endlich einsieht, dass es tiefgreifende Reformen wirklich braucht, sondern dass diese außerdem den Mut und die Kraft aufbringt, wirksame Reformen in den eigenen Reihen dann auch durchzusetzen. Doch derzeit sieht es eher nach einem Aufbegehren der SPD-Linken als nach einem entschlossenen Rückbau von deren falscher Politik aus.

Freilich versucht die Union, den sachlich erforderlichen Kulturkampf gegen den linksgrün dominierten Zeitgeist weiterhin zu vermeiden. Statt ihn – wie in Argentinien vorgeführt – zum Teil des Ringens um eine vernünftige Haushaltsführung zu machen, vertagten CDU und CSU diese Aufgabe durch das Glücksspiel mit einer – vom politischen Gegner lautstark begrüßten – gigantischen Neuverschuldung. Obendrein gab die Union Soziales und Verteidigung als ausgabenstärkste Ministerien in die Hand ihres Koalitionspartners und machte dessen Vorsitzenden auch noch zum Kassenwart. Weil aber der Finanzminister seit Helmut Schmidts Zeiten für Deutschlands Ökonomie viel wichtiger ist als der jeweilige Hausherr im Wirtschaftsministerium, stehen weiterhin die Chancen schlecht, dass bald wieder anderes wächst als der Staatskonsum und die Staatsverschuldung.

Wo vorerst alles beim Alten bleibt
Über die Kraft zu einer „geistig-moralischen Wende“ besagt es ohnehin alles, dass die Förderung links-grüner Vorfeldorganisationen durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“ sogar noch aufgestockt wurde. So aber gewinnt man Kulturkämpfe ebenso wenig wie durch die Wiederholung etablierter Sprechblasen oder durch fleißig-korrektes Verwalten des ohnehin Angesagten. Die Union bräuchte wieder Intellektuelle, die sich – anders als solche der Grünen – auch in den Realien der Politik gut auskennen, und die – ebenso wie viele der akademischen Wegbegleiter von SPD und Linker – die Waffen öffentlicher Diskurse gut zu führen wissen. Nach solchen Leuten hat es die CDU-Führer aber kaum einmal verlangt. Allenfalls werden sie ertragen. Weiterhin ist die CDU eine „unintellektuelle Partei“ – und auch noch stolz darauf.

Weil Hochmut aber vor dem Fall kommt, steht die Union seit Jahren hilflos vor den feuilletonistischen Schlachtreihen der Linken. Nicht einmal Nischen für ihr nahestehende Intellektuelle vermochte sie durch geeignete Personalpolitik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in einst konservativen Print-Redaktionen zu sichern. Und gar nichts ist von einer „intellektuellen Wiederaufrüstung“ der Union zu sehen, obwohl allein diese Deutschlands links-grüne intellektuelle Hegemonie nicht nur brechen, sondern auch ablösen könnte.

Zwar ist es lobenswert, dass der Kanzler nicht den „Scholzomaten“ gibt, sondern immer wieder mit offensiven Bemerkungen öffentliche Debatten befeuert. Doch es wäre gut, wenn seine Formulierungen weniger improvisiert und besser strategisch durchdacht wären. Weil es an Letzterem oft mangelte, geriet Merz wiederholt unter diskursives Feindfeuer und zeigte sich dann bisweilen zu wenig standfest. Schneidige Reden eignen sich aber mehr fürs Offizierskasino als fürs reale Gefecht der verbundenen Waffen. Klar fehlt der Union die gegnerzermürbende Artillerie gekonnter, nicht bloß aufgesetzter akademischer Beschlagenheit. Jedenfalls stehen hinter den politischen Korrekturversuchen der Union noch keine mitziehende Vision und kein stimmiger Plan. Die erstere müsste die Politikkonzepte der links-grün Woken an Anziehungskraft übertreffen, der letztere einen Weg aus der Ankettung der Union an SPD und Grüne weisen.

Scheitert die Koalition?
Unter den heutigen Umständen ist deshalb ein Scheitern der so klein gewordenen „GroKo“ ebenso wenig auszuschließen wie ein Niedergang des Kanzlers Merz. Misslänge dann wohl ein „untauglicher Versuch“ eines Wechselmanövers, weil allzu viele Politiker sich die anstehenden Probleme immer noch kleiner und anders gelagert ausmalen, als sie wirklich sind? Oder würden Parteiführer mangels Muts vor den Freunden in Parteien, den Medien und der Zivilgesellschaft nicht der Größe ihrer Aufgaben gerecht? Oder verhinderte die zuschauende Bürgerschaft durch Beifall oder Buhen „an den falschen Stellen“ den notwendigen Wandel?

Zwar kann der Kanzler sich selbst und seine Partei einige Zeit lang von solchen innenpolitischen Entscheidungsaufgaben ablenken, vor allem durch schöne Bilder von außenpolitischen Aktivitäten. In die zu investieren, ist umso einladender, als Deutschlands internationale Stellung wirklich ins Rutschen gekommen ist. Die Schaffung einer wertebasierten, gerade nicht auch interessenbasierten internationalen Ordnung ist erwartbar gescheitert. Die außenpolitisch ummünzbare Wirtschaftskraft Deutschlands wurde energiepolitisch abgewürgt. Und seinen „europäischen Beruf“ übt unser Land schlecht aus, weil es unentschlossen die Frage vor sich herschiebt, ob wir die Europäische Union – wieder einmal am Scheideweg stehend – eher zur Bundesstaatlichkeit mit gemeinsamer Armee entwickeln sollten oder zu einem Staatenbund mit gemeinsamer Wirtschaft.

Doch nur wenn der Kanzler Merz die innenpolitischen Probleme unseres Landes in den Griff bekommt, kann ihm Nachhaltiges bei der Außenpolitik gelingen. Und nur dann wird seine Kanzlerschaft ein besseres Urteil finden als die seiner Rivalin Merkel.

Prof. Dr. Werner J. Patzelt war von 1991 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden und danach Forschungsdirektor am Mathias Corvinus Collegium. Zu seinen Werken gehören „Ungarn verstehen“ (2023) und „Deutschlands blaues Wunder. Die AfD und der Populismus“ (2025, beide Langen Müller). www.wjpatzelt.de 


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