12.11.2025

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Politik

Steinmeier verfehlt mit falschem Pathos das Thema

In seiner Rede zum 9. November wollte der Bundespräsident ein Zeichen zur Stärkung der Demokratie setzen – und erwies sich als kleingeistiger Parteisoldat

René Nehring
12.11.2025

Von „politischer Dummheit“ bis „Amtsmissbrauch“ reichen die Kommentare. Unter der Überschrift „Die Selbstbehauptung der Demokratie – das ist die Aufgabe unserer Zeit“ versuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 9. November einen Bogen von der deutschen Geschichte in die Gegenwart zu schlagen. Doch was offenkundig als großer Wurf gedacht war, ging so gründlich daneben, dass selbst dem Staatsoberhaupt nahestehende Kommentatoren Mühe hatten, dieses zu verteidigen.

Aber der Reihe nach. Zunächst gab sich Steinmeier in seiner Ansprache noch einigermaßen neutral, indem er mit Blick auf die Pogrome des 9. November 1938 davon sprach, dass der Antisemitismus in Deutschland „von rechts, von links, aus der Mitte“ komme und es diesen auch „unter muslimischen Einwanderern“ gibt. Und wenig später führte er aus, dass „gewaltsame Versuche, die verfassungsmäßige Ordnung zu zerstören – ob rechts, ob links, ob islamistisch“ immer strafbar seien und „wo immer sie begangen werden, (...) der Rechtsstaat nicht zurückweichen“ dürfe.

Trotzdem widmete sich das zu parteipolitischer Neutralität verpflichtete Staatsoberhaupt fortan nicht den verschiedenen Extremismen der einzelnen gesellschaftlichen Lager, sondern nur noch dem Extremismus von rechts. „Nie in der Geschichte unseres wiedervereinten Landes waren Demokratie und Freiheit so angegriffen“, so Steinmeier, „bedroht durch einen russischen Aggressor, der unsere Friedensordnung zertrümmert hat“ und „aktuell bedroht durch rechtsextreme Kräfte, die unsere Demokratie angreifen und an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen“. Dass seit Jahren immer wieder tausende Muslime unter dem Schlachtruf „Allahu akbar“ (Gott ist groß) in aller Öffentlichkeit ihre Ablehnung unserer staatlichen Ordnung bekunden, scheint für den Bundespräsidenten offenbar ein nachrangiges Problem zu sein.

Auch wenn Steinmeier die AfD nicht explizit erwähnt, so lässt er doch keinen Zweifel daran, vor wem er warnen will. Etwa, indem er die Errichtung von „Brandmauern“ gegenüber jenen Kräften verteidigt, die er als hauptsächliche Gefahr für den Fortbestand des politischen Systems ansieht. Da Brandmauern derzeit allein gegen die AfD errichtet sind, wurden Steinmeiers Ausführungen denn auch unisono als in diese Richtung gemeint verstanden.

Entscheidende Fragen nicht gestellt
Ob der Bundespräsident damit sein Amt missbraucht hat, wie es aus den Reihen der AfD heißt, ist streitbar. Bedenklicher ist ohnehin, dass er für seine Aussagen die Belege schuldig blieb. Natürlich gibt es immer wieder verstörende Äußerungen von AfD-Politikern, bei denen man sich als neutraler Beobachter fragen kann, ob die Repräsentanten dieser Partei überhaupt wollen, dass die politischen Wettbewerber mit ihnen ins Gespräch kommen. Aber sind derlei Äußerungen gleich ein Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit einer ganzen Partei – und damit Rechtfertigung für das vom Präsidenten ausdrücklich als Option genannte Parteiverbot?

Worüber Steinmeier auffälligerweise auch nicht gesprochen hat, ist die Frage, warum eigentlich die von ihm aufs Korn genommene AfD so erfolgreich ist. Oder andersherum: Warum wenden sich Wählergruppen, die in den Jahrzehnten zuvor stabil die Parteien der Mitte gewählt haben, von diesen seit geraumer Zeit immer öfter ab? Immerhin zeigen alle Befragungen und Analysen einhellig, dass die AfD vor allem aus Frust über die etablierten Parteien gewählt wird.

Würde der Bundespräsident so an das Thema herangehen, müsste er freilich eingestehen, dass nicht der Aufstieg der AfD das Problem ist, sondern das Agieren jener Parteien, die in Bund, Ländern und Gemeinden die politische Verantwortung innehaben. Dies gilt vor allem für Steinmeiers Sozialdemokraten, die heute vielfach nicht einmal mehr halb so stark sind wie noch vor 25 Jahren und mancherorts inzwischen vor der Fünf-Prozent-Hürde zittern. Wer sich die Landkarten der Wahlergebnisse unter dem Aspekt ansieht, wo die AfD stark und Steinmeiers SPD schwach ist, wird immer wieder interessante Zusammenhänge erkennen.

Ein konkretes Beispiel dafür, wo die Probleme unseres politischen Systems tatsächlich liegen, gab dieser Tage die SPD im Berliner Stadtbezirk Neukölln. Der dort seit 2018 regierende junge Bürgermeister Martin Hikel, der wie sein Vorgänger Heinz Buschkowsky stets offen die Probleme des multikulturellen Alltags benennt, warf nun bei der Kandidatenaufstellung für die nächste Bürgermeisterwahl hin, nachdem ihm parteiinterne Kritiker wegen seines Vorgehens gegen kriminelle Clans Rassismus unterstellt hatten und ihm durch gelungenes Strippenziehen ein schlechtes Wahlergebnis bescherten. Von Steinmeier war zu dieser Niederlage der Realos in seiner Partei nichts zu hören.

Hätte der Bundespräsident aus Sorge um das politische System die in der Verantwortung stehenden Parteien dazu aufgerufen, weniger über die AfD zu klagen und sich stattdessen an die eigene Nase zu fassen sowie sich wieder stärker am Willen des Volkes zu orientieren, dann hätte seine Rede als bedeutende Wortmeldung in die Geschichte eingehen können. So aber war sie nicht mehr als der laue Zwischenruf eines Parteisoldaten, der weniger um die Demokratie besorgt scheint als vielmehr um den Zugang des eigenen Lagers zur Macht.

Die Demokratie indes ist von derlei Auftritten Steinmeiers ebenso wenig gefährdet wie von den Auftritten manch zweifelhaften AfD-Politikers. Sie ist noch immer die Herrschaft des Volkes und nicht von politischen Eliten, die allzu oft in grundlegenden Fragen den Willen der Wähler ignorieren und deshalb von diesen abgestraft werden. Bedroht ist Demokratie erst dann, wenn das Volk nicht mehr wählen kann, von wem es seine Interessen vertreten lassen will.


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