29.07.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Einer der Haupttatorte: Aussigs Dr.-Edvard-Benesch-Brücke über die Elbe
Bild: MaVlastEiner der Haupttatorte: Aussigs Dr.-Edvard-Benesch-Brücke über die Elbe

Massaker von Aussig

Der weite Weg zur Wahrheit

Das vor 80 Jahren begangene Verbrechen geschah vor Tausenden Augenzeugen. Trotzdem gab es lange viele Unklarheiten

Konrad Badenheuer
29.07.2025

Nächsten Donnerstag jährt sich das Massaker von Aussig vom 31. Juli 1945. Lange gab es viele Unklarheiten um dieses Verbrechen, obwohl es vor Tausenden Augenzeugen geschehen ist. Wer hat an diesem Tag in der nordböhmischen Industriestadt warum gemordet? Warum gab es vor dem Gewaltausbruch zwei Explosionen? Beide Fragen sind heute geklärt.

Beginnen wir mit den seit jeher gesicherten Fakten: In der Nacht auf den 31. Juli rückte aus Prag ein Bataillon dubioser Gestalten in Aussig ein und bezog Quartier in einer ehemals deutschen Schule nahe der Brücke über die Elbe. Schon am Vormittag verbreiteten sie sich in der Stadt und begannen damit, Deutsche, die an ihren weißen Armbinden sofort zu erkennen waren, von den Bürgersteigen zu stoßen. Solche Typen hatten bei der Vertreibung aus der Tschechoslowakei schon davor eine wichtige Rolle gespielt, weil es unter den Sudetendeutschen nicht zu einer Massenflucht kam und auch nicht viele Tschechen plötzlich damit begannen, ihre deutschen Nachbarn zu attackieren. Also musste nachgeholfen werden, was dann an vielen Orten geschah. Etwa durch angebliche Partisanen, oft frühere Gestapo-Kollaborateure, die sich nun durch Gewalt gegen die Deutschen plötzlich als tschechische Patrioten bewähren wollten.

Wer waren die Mörder und was war ihr Motiv?
Ab dem 5. Mai 1945 war im Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei ein maßloser Terror losgebrochen, der Zehntausende Deutsche das Leben gekostet hat. Vielerorts vollzogen sich die Exzesse im öffentlichen Raum, anderswo eher in Lagern, Verhörzellen und sonst wo im Verborgenen. Die Verantwortlichen hatten offen zur Gewalt aufgerufen, allen voran Staatspräsident Edvard Benesch persönlich, ebenso seine Minister und engsten Mitarbeiter. Eine Massenflucht wollten sie damit auslösen, wie sie in Ostpreußen nach dem Massaker von Nemmersdorf begonnen hatte. Aber im Sudetenland flohen nur wenige Zehntausend, trotz der tödlichen Gefahr. Am 16. Juli gab es eine Kehrtwende: Am Tag vor Beginn der Potsdamer Konferenz der drei alliierten Siegermächte – Frankreich war noch nicht dabei – rief Benesch zu einem Ende der Gewalt auf, was auch befolgt wurde – fast alle belegten Massaker fanden vor diesem Tag statt.

Und nun das: Am Nachmittag zwei Detonationen – eine kleinere Explosion gegen 15.25 Uhr und eine gewaltige zweite Detonation kurz danach, wahrscheinlich um 15.33 Uhr. Da in diesem Bereich alte Munition gelagert war, folgten bis zum späteren Abend noch weitere kleinere Explosionen. Der ganze Vorgang blieb schon deswegen lange mysteriös, weil dabei auch Tschechen ums Leben kamen, sieben an der Zahl, neben 14 Deutschen. Inszenierte Provokationen zur Herbeiführung von Gewalt gegen Deutsche gab es manche während der Vertreibung der Sudetendeutschen. Aber nirgendwo sonst gingen die Täter so weit, zu diesem Zwecke sogar Tschechen zu töten. Also doch die Tat von Deutschen, wie Prag es schnell behauptet hat, das angeblichen „Werwölfen“ die Schuld gab? Oder ein Unfall? Jedenfalls brach gleich nach der Hauptdetonation an mehreren Orten in Aussig hemmungslose Gewalt gegen die Deutschen aus.

Der Verlauf des Massakers war in Umrissen immer bekannt: Überall in Aussig wurde bis zum frühen Abend Jagd auf Deutsche gemacht, vor allem am Hauptbahnhof, am Brückenplatz und auf der Benesch-Brücke, wo etliche Deutsche aus 13 Metern Höhe ins Wasser geworfen wurden, darunter mindestens eine Mutter mitsamt ihrem Kinderwagen. Wer den Fall überlebte, wurde von oben her beschossen, sodass es keine Berichte von Überlebenden des Sturzes in die Elbe gibt.

Dass bei dieser Faktenlage das Massaker des 31. Juli von Tschechen und Deutschen lange anders interpretiert wurde, kann nicht überraschen. Auch aufrichtige Tschechen bezweifelten wegen der sieben eigenen Toten oft eine tschechische Urheberschaft zumindest an den Explosionen. Viele deutsche Aussiger wiederum waren wegen der Anreise späterer Täter nur Stunden zuvor von eben dieser Verantwortung überzeugt. Oft wurde auch ein Zusammenhang mit der Potsdamer Konferenz hergestellt: Die Explosion, die vom offiziellen Prag ja in der Tat mit harten Vorwürfen den Deutschen in die Schuhe geschoben wurde, habe den Zweck gehabt, die Siegermächte in Potsdam zu einem möglichst harten Vertreibungsbeschluss zu bewegen.

Warum gab es vor dem Gewaltausbruch zwei Explosionen?
Besonders weit gingen die Angaben zu den Opferzahlen auseinander. Natürlich konnten die in Aussig verbliebenen, terrorisierten Deutschen nach dem Ereignis keine Dokumentationen erstellen. Später wurden dann viele Aussiger nach Sachsen vertrieben. Das war insofern ein Nachteil, als diese Menschen als Zeitzeugen nichts zur Aufklärung beitragen konnten. In der DDR war es strikt verboten, dass „Umsiedler“ (sprich Vertriebene) sich irgendwie organisierten. Aufzeichnungen über Vertreibungsverbrechen wurden erst recht hart bestraft. Im Westen wurden namentliche Dokumentationen zwar sehr wohl angelegt, aber oft blieb unklar, wer die Vertreibung – beispielsweise in der DDR oder auch in der Heimat als Ehepartner eines Tschechen – überlebt hat. Und wenn in den Wochen nach dem 31. Juli elbeabwärts, etwa in Pirna, Dutzende Leichen angespült wurden, dann wurden diese oft kurzerhand als Tote dieses Tages gedeutet.

Heute gibt es aber Hinweise, dass damals aus mehreren Lagern für Deutsche an der Elbe die Toten in den Fluss geworfen wurden, sodass nicht jede angespülte Leiche ein Opfer des Aussiger Massakers war. Auch heute noch gilt die Zuordnung von 80 dieser Toten zu diesem Ereignis als wahrscheinlich. So kam es jedenfalls, dass deutsche Untersuchungen Opferzahlen zwischen 200 und 800 nannten, manche sogar bis zu 2700. Tschechische Untersuchungen betonen hingegen oft die „nur“ 43 hieb- und stichfest dokumentierten deutschen Ermordeten dieses Tages und weitere etwa 60 namentlich bekannte Vermisste.

Auf dieser Basis bezifferte der Historiker Otfried Pustejovsky in einer Studie von 2001 die Zahl der Opfer mit wahrscheinlich etwa 100 bei einer Obergrenze von 200 bis 220. Das könnte hinkommen, aber eine etwas höhere Zahl bleibt ebenso möglich: Man weiß einfach nicht, wie viele Tote es in der Elbe gab und ob eine Liste mit 24 im Krematorium von Theresienstadt erfassten Opfern vollständig ist. Andere Fragen konnten unterdessen (auch aus tschechischen Akten) geklärt werden: Die erste Detonation war ein Unfall durch unsachgemäßen Umgang mit Munitionsresten; diese wurden in einer ehemaligen Zucker­fabrik gelagert, wo deutsche Häftlinge aus einem nahegelegenen Lager unter tschechischer Aufsicht arbeiten mussten.

Die folgenden Explosionen waren Folge der ersten. Auch der mysteriöse Bahntransport ist heute geklärt: Hier wurden in der Tat Gewalttäter der unterschiedlichsten Art, formell Angehörige des Prager Infanterieregiments 28, bewusst nach Nordböhmen verbracht, um den „Abschub“ der Deutschen zu beschleunigen. Dass sie gleich am Nachmittag desselben Tages blutig aktiv werden würden, war ebenso wenig geplant wie eine Beeinflussung der Potsdamer Konferenz.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS