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Schustergeselle Friedrich Wilhelm Voigt wurde vom ärmlichen Kriminellen zum Hauptmann von Köpenick
Am 16. Oktober 1906 wurde der 57 Jahre alte arbeitslose Schustergeselle Friedrich Wilhelm Voigt zum Mythos, weil er an diesem Tage einen grandiosen Geniestreich wagte: Nachdem Voigt sich bei verschiedenen Trödlern die Uniform eines Hauptmanns des preußischen 1. Garde-Regiments zu Fuß beschafft hatte, übernahm er kurzerhand das Kommando über neun Wachsoldaten und besetzte mit deren Hilfe dreist auf angeblich „allerhöchsten Befehl“ das Rathaus von Köpenick. Anschließend stellte Voigt den Bürgermeister wegen „unregelmäßiger Abrechnung bei Kanalarbeiten“ unter Arrest. Dem folgte die Beschlagnahme der Stadtkasse, die 3557 Mark enthielt. Zehn Tage darauf ging der falsche Hauptmann dann allerdings der preußischen Polizei ins Netz.
Ohne Vaterliebe aufgewachsen
Ganz Deutschland einschließlich des Kaisers lachte damals über die frech-kühne Tat. Dennoch musste sich Voigt für diese Aktion vor der 3. Strafkammer des Landgerichts II in Berlin unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Dietz verantworten. Die verurteilte ihn am 1. Dezember 1906 wegen „unbefugten Tragens einer Uniform, des Vergehens wider die öffentliche Ordnung, der Freiheitsberaubung, des Betruges und der schweren Urkundenfälschung“ aber nur zu erstaunlich milden vier Jahren Gefängnis, wonach Dietz dem Delinquenten auch noch per Handschlag alles Gute für die Zukunft wünschte. Beides resultierte aus Voigts Vorgeschichte.
Der später als der „Hauptmann von Köpenick“ bekannt gewordene Voigt hatte am 13. Februar 1849 in der ostpreußischen Stadt Tilsit das Licht der Welt erblickt. Seine Mutter hing sehr an ihrem kränklichen Sprössling, während der Vater, der Schuhmachergeselle Johann Carl Voigt aus Kalkalpen, ein notorischer Trunkenbold und Glücksspieler war und seinem Kind keinerlei Liebe entgegenbrachte.
Vor dem Hintergrund der prekären Verhältnisse im Elternhaus beging der halb verhungerte 14-jährige Voigt im Juni 1863 einen Diebstahl, woraufhin ihn das Kreisgericht Tilsit zwei Wochen einsperren ließ. Anschließend musste der nunmehr Vorbestrafte die Schule verlassen und wie einst sein ungeliebter Vater eine Lehre zum Schuster absolvieren. Dabei wurde er in Tilsit gleich noch mehrmals kriminell. Deshalb verurteilte ihn das dortige Kreisgericht im September 1864 zu drei Monaten Gefängnis und ein Jahr später dann wegen Diebstahls im Wiederholungsfall erneut zu neun Monaten Haft.
Ein wachsendes Strafregister
Nach der Entlassung verließ Voigt seine Heimatstadt und ging auf Wanderschaft, die ihn durch weite Teile der preußischen Provinzen Pommern und Brandenburg führte. Allerdings verbrachte er dabei deutlich mehr Zeit im Zuchthaus als in Freiheit, denn die Liste seiner Straftaten wurde immer länger und länger. Am Ende schickte ihn das Schwurgericht Prenzlau im April 1867 wegen Urkundenfälschung für zwölf Jahre hinter Gitter. Wieder in Freiheit, vagabundierte Voigt in ganz Osteuropa herum und hielt sich dabei unter anderem in Riga, Prag, Budapest sowie in Odessa auf. Dann kassierte er vom Landgericht Posen 1889 ein weiteres Jahr Haft wegen schweren Diebstahls.
Kaum entlassen, versuchte Voigt 1890 gemeinsam mit dem Zigarrenmacher Callenberg, die Gerichtskasse des Kreises Wongrowitz zu rauben. Dafür verurteilte ihn das Landgericht Gnesen im Februar 1891 zur Höchststrafe von 15 Jahren Zuchthaus, die er auch bis zum allerletzten Tage absitzen musste.
Aus dem Zuchthaus Rawitsch bei Posen begab sich der nunmehr 57 Jahre alte Voigt im Februar 1906 nach Wismar, um dort auf Vermittlung des Strafanstaltsgeistlichen Banner eine Stelle als Geselle des Hofschuhmachermeisters Hilbrecht anzunehmen. Allerdings wurde er wegen seiner kriminellen Vergangenheit schon im Mai 1906 aus dem Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin ausgewiesen – so wie nachfolgend auch aus 30 weiteren verschiedenen Orten im Königreich Preußen. Schließlich zog Voigt nach Rixdorf bei Berlin, wo er als Maschinist in einer Filzschuhfabrik arbeitete.
Bemüht, aber chancenlos
Am 24. August 1906 wurde ihm aber auch hier der Aufenthalt verboten, woraufhin er bis zu dem großen Coup in Köpenick in Berlin untertauchte.
Angesichts dieser Odyssee billigte das Berliner Landgericht Voigt mildernde Umstände zu, weil er „nach Verbüßung seiner letzten Strafe ernst und – soweit es an ihm lag – erfolgreich bemüht gewesen ist, sich seinen Lebensunterhalt ehrlich zu erwerben, und auf dem besten Wege war, ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden, daß aber dieses Bemühen ohne seine Schuld vereitelt und er wieder auf den Weg des Verbrechens gedrängt wurde“.
Wie gewonnen so zerronnen
Ähnlich sah das wohl auch Kaiser Wilhelm II., denn er begnadigte Voigt am 15. August 1908. Danach war der falsche Hauptmann von Köpenick, der bereits in der Haft Unmengen von Fan-Post und sogar Heiratsanträge erhalten hatte, recht schnell ein gemachter Mann. Seine Grammophon- und Filmaufnahmen sowie auch Vorträge in ganz Deutschland, Europa und den USA brachten ihm so viel Geld ein, dass er sich 1910 im Großherzogtum Luxemburg niederlassen und ein Haus kaufen konnte. Allerdings litt Voigt ab dem Ersten Weltkrieg an einer schweren Lungenerkrankung, an der er schließlich am 3. Januar 1922 im Alter von 72 Jahren – und aufs Neue verarmt – starb.