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Arzneimittel

Deutschland im Griff chinesischer Lieferanten

Aktuelle Studie beweist: Stellt Peking die Wirkstoff-Produktion ein oder verringert sie, wäre die Grundversorgung der Bundesrepublik akut gefährdet

Peter Entinger
03.11.2025

Die in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie „Wie verletzlich ist Europa?“ des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln und des EU Institute for Security Studies im Auftrag des Verbands Pro Generika kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Bei einem plötzlichen Lieferstopp aus China könnte rund ein Drittel der für Deutschland besonders wichtigen Arzneiwirkstoffe nicht ersetzt werden. Untersucht wurden 56 versorgungsrelevante Wirkstoffe – darunter Antibiotika, Schmerzmittel und Diabetesmedikamente. Für 20 davon sehen die Autoren ein „hohes Risiko akuter Versorgungsausfälle“, sollte China als Produzent kurzfristig ausfallen. Besonders betroffen seien unter anderem das Diabetesmittel Metformin, das Breitbandantibiotikum Amoxicillin, das Schmerzmittel Metamizol sowie Ibuprofen, Paracetamol, verschiedene Vitamine und Alkaloide.

Die Studie verweist auf den hohen globalen Marktanteil Chinas bei chemischen Vorprodukten, Wirkstoffen und Fertigprodukten. Während europäische Hersteller nur rund ein Viertel der weltweit genutzten Wirkstoffe liefern, stammen etwa 68 Prozent der eingesetzten Substanzen aus Asien – 24 Prozent davon aus China. Diese Abhängigkeit hat sich in den vergangenen Jahren noch verstärkt. Der gezielte Ausbau chinesischer Produktionskapazitäten sei kein Zufall, sondern Ergebnis strategischer Industriepolitik.

„Ein Ausfall chinesischer Arzneimittel-Kapazitäten im Krisen- oder Konfliktfall stellt ein signifikantes Risiko für die Grundversorgung Europas dar“, schreiben die Studienautoren. Die Importabhängigkeit mache das System „verwundbar und damit politisch erpressbar“. Neben der reinen Produktionsmenge sei auch das Fehlen alternativer Bezugsquellen problematisch. Für viele Wirkstoffe existieren außerhalb Chinas keine ausreichend großen Kapazitäten. Eine kurzfristige Verlagerung sei technisch und wirtschaftlich kaum möglich. Die Autoren warnen, dass bei Wegfall chinesischer Exporte rund 42 Millionen Medikamentenpackungen pro Jahr allein in Deutschland nicht ersetzt werden könnten.

In Reaktion darauf wurde im Juli 2023 das Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln (ALBVVG) verabschiedet. Es verpflichtet Hersteller bestimmter Rabattarzneimittel, künftig sechs Monate Vorratshaltung nachzuweisen. Zudem müssen bei Ausschreibungen von Antibiotika-Generika künftig auch Anbieter berücksichtigt werden, deren Wirkstoffproduktion im EU-Wirtschaftsraum erfolgt. Ziel ist es, zentrale Produktionen schrittweise nach Europa zurückzuholen. Auch die EU-Kommission hat auf die zunehmende Abhängigkeit reagiert. Mit dem vorgeschlagenen „Critical Medicines Act“ sollen strategische Reserven für kritische Medikamente aufgebaut und eine stärkere Koordinierung der Produktionskapazitäten innerhalb der Mitgliedstaaten erreicht werden. Die EU strebt so eine höhere strategische Autonomie in der Arzneimittelversorgung an.

Ähnlich wie bei russischem Gas
Scharfe Kritik an der gegenwärtigen Situation kam vom Verband Pro Generika. Geschäftsführer Bork Bretthauer sagte: „Die Politik darf nicht zulassen, dass wir genau so enden wie beim russischen Gas.“ Der Vorsitzende des Verbands, Andreas Burkhardt, nannte die Versorgungslage ein „sicherheitspolitisches Thema“. Arzneimittelversorgung sei ein Teil der kritischen Infrastruktur.

Auch wirtschaftlich wird die starke Auslandskonzentration zunehmend als Risiko bewertet. Hersteller berichten, dass insbesondere bei älteren, wenig profitablen Generika das Preisniveau in Europa kaum noch eine wirtschaftliche Produktion ermögliche. In der Folge ziehe sich eine wachsende Zahl von Produzenten zurück, während sich die Marktkonzentration weiter verschärfe. In Deutschland soll zum Jahresende 2025 die großtechnische Produktion von Metamizol am Standort Frankfurt-Höchst eingestellt werden – einem Schmerzmittel, das jährlich mehr als 40 Millionen Mal verschrieben wird. Ähnliche Entwicklungen betreffen die Herstellung von Grundsubstanzen für Antibiotika. Die Studienautoren betonen daher die Notwendigkeit, neben Notfallreserven auch wirtschaftlich tragfähige Rahmenbedingungen für europäische Produzenten zu schaffen. Dazu zählen langfristige Lieferverträge, ein größerer Preisspielraum sowie harmonisierte Regeln innerhalb der EU.

Verringerung der Verwundbarkeit
Die Studie empfiehlt abschließend ein Bündel an Maßnahmen: den Erhalt bestehender europäischer Produktionsstandorte, die gezielte Diversifizierung der Lieferketten, eine kontrollierte Lagerstrategie und eine koordinierte Förderpolitik für Innovation und Fertigung. Nur mit einem solchen mehrstufigen Ansatz lasse sich die strukturelle Verwundbarkeit dauerhaft verringern.


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Kommentare

Peter Wendt am 31.10.25, 09:34 Uhr

Ist es besonders intelligent Kerntechnologien freiwillig und ohne „Preis“ zu exportieren? In der Wirtschaft gilt nur ein Grundsatz. Mache dich niemals abhängig von einem Wettbewerber. Wirtschaften bedeutet Krieg, nur mit anderen Mitteln. Das wurde an deutschen Schulen in den letzten 30 Jahren nicht vermittelt. In der heilen Welt der grünen Jünger kommt Strom immer noch aus der Steckdose. Die ehemaligen Entwicklungs- und Schwellenländer lachen sich derweil Schlapp über die Naivität des Westens.

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