05.10.2025

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Die MS „Nordstjernen“ kurz vor ihrem Stapellauf in der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss im Jahr 1956
Bild: Schmidt-WaltherDie MS „Nordstjernen“ kurz vor ihrem Stapellauf in der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss im Jahr 1956

Historisches Schiff

Die etwas andere Eroberung des Nordsterns

Das norwegische Motorschiff „Nordstjernen“ vereint Charme, Ästhetik, Romantik und so richtig schönes Seemannsgarn

Peer Schmidt-Walther
05.10.2025

High noon: Da stehen sie, breitbeinig, die Daumen im Koppel, den Colt lässig an der Seite hängend. Keine Szene aus einem alten Western mit John Wayne, Clint Eastwood oder Gary Cooper. Ganz im Gegenteil: Gemeint sind nur sieben Bundespolizisten und Zollbeamte an einem Montagmorgen am Warnemünder Kreuzfahrtterminal. Sie sollen ein Schiff kontrollieren, das gerade anlegt. „Aber“, so gesteht einer der Uniformierten lächelnd, „uns interessiert vor allem dieser Dampfer. Der soll ja was ganz Besonderes sein!“

Wenn es nach der Gruppe von Stralsundern ginge, die gerade von einer zweiwöchigen großen Nord-Ostsee-Fahrt zurückgekommen sind, würden sie 2026 unbedingt in Stralsund auf „ihr“ Schiff gehen. So begeistert sind sie von der kürzlich in Warnemünde zu Ende gegangenen Reise auf dem ältesten Hochsee-Kreuzfahrtschiff der Welt, dem norwegischen Motorschiff „Nordstjernen“. Das hat sie sogar – neben Riga und Libau [Liepāja] in die lettische Partnerstadt von Stralsund geführt: nach Windau [Ventspils] in Kurland, nach der auch das bekannte Restaurant an der Sundpromenade benannt ist.

An der Pier gegenüber die lettische Marineflotte: ein alter Bundesmarine-Minensucher und mehrere Boote aus französischen Beständen. Das ist alles. Draußen auf See patrouilliert derweil ein russischer Zerstörer aus Pillau, während ein US-Navy-Verband ohne AIS-Erkennungssignal gen Westen dampft. Die Unruhe unter den Passagieren ist spürbar. Manche rechnen sogar mit dem urplötzlichen Auftauchen eines russischen U-Bootes, während mehrere „Schattentanker“ mit Kurs auf russische Ölhäfen nach Osten dampfen. „Die sollen wohl beschützt werden“, mutmaßt ein Gast. Kapitän Odd Nordahl-Hansen stört das nicht. Der ruhige Norweger behält unbeirrt seinen Kurs bei und zeigt Passagieren die Brücke. Durch seine Maschine führt Chief Joselito Reoma von den Philippinen.

Ein Blick zurück: 1955/56 wurde das Passagierschiff bei der Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss in solider Nietbauweise mit höchster Eisklasse gebaut. Bis 2012 war es entlang der 2000 Kilometer langen norwegischen Küste und bis nach Spitzbergen und Schottland als Postschiff im Einsatz, wurde dann nach 50 Dienstjahren außer Dienst gestellt, 2012/2013 aufwendig auf der Remontova-Werft in Danzig restauriert und sogar unter Denkmalschutz gestellt.

Veränderungen sind nur in einem sehr begrenzten Maße erlaubt. So ist das Schiff im Originalzustand erhalten geblieben: der Nordstern am Nordhimmel. Schiffsfans möchten nicht mit dem Riesenpott tauschen, der mit 2000 Passagieren beladen um die Ecke liegt und die kleine „Nordstjernen“ haushoch überragt. Der immer lachende, versierte philippinische Bootsmann Christofferson Magpantay hat nur ein müdes Lächeln für den Koloss übrig: „Das ist doch keine Seefahrt mehr!“, sagt er etwas augenzwinkernd abschätzig und streichelt dabei liebevoll „sein“ Schiff.

Auch in diesem Sommer hat das historische 80,77 Meter lange, 12,60 Meter breite und 4,50 Meter tief gehende
2191-BRZ-Motorschiff wieder Fahrt aufgenommen für verschiedene spannende Nord-Ostsee-Reisen.

In Sack und Tüten
Der reizvolle „Nordstjernen“-Vorteil: Neben allen großen Häfen können kleine und kleinste angelaufen werden, zum Beispiel: Aeresköbing, Karlskrona, Liepaja, Gudhjem, Christiansö, Pärnu, Fredericia und und und. Wenn es nicht anders geht, wird geankert. Mit Zodiac-Expeditionsschlauchbooten wird man dann an Land gebracht – auch mal durchnässt. Das hat schon einen Hauch von Abenteuer, aber mit der richtigen Schutzkleidung ist das kein Problem. Natürlich kann es bei Wind auch Wellen geben, die die kleine „Nord-stjernen“ schon mal „wackeln“ lassen, wie die Gäste an Bord dann gern sagen. Aber dafür hält Klaus-Peter ja die kleinen magischen Pillen bereit: „Die machen nur ein bisschen müde“, flüstert er verschmitzt lächelnd, „aber die schaden nicht.“

Es dauert, bis alles so weit in Sack und Tüten ist. Mindestens ein Jahr im Voraus gilt es Vorschriften für die einzelnen Häfen zu sondieren und Institutionen zu befragen, was geht und was nicht. Darum kümmern sich für die norwegische Reederei Vestland Classic zwei Frauen: Ruth Moritz und Margit Distler. Sie nehmen Kontakt auf zum Hafenkapitän, der Hafengesellschaft, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sowie der Wasserschutzpolizei des Landes.

Hierbei geht es darum, die nautischen Vorgaben – zum Beispiel ob ein oder zwei Schlepper notwendig sind – und die internationalen Sicherheitsvorschriften ISPS zu erfüllen. Dazu wiederum gehört ein Röntgen-Scanner samt einer zertifizierten Bedienung und eine Umzäunung.

Daran und an den Landgangs-Programmen werde noch gearbeitet, wie Margit Distler und ihr mitstreitender Ehemann Klaus-Peter mitteilten. Sie ist Nürnbergerin „mit Salzwasser im Blut“, wie sie selbst sagt. Die Hamburgerin Ruth und die Fränkin Margit sind beide Reiseleiterinnen und gleichzeitig auch die Reisevermittlerinnen.

Ein Stück Seefahrtsgeschichte
Wenn das alles klappt, kann davon ausgegangen werden, dass Passagieren und Schiff wie schon bei anderen Erstanläufen im Frühsommer 2026 am Sund ein „großer Bahnhof“ bereitet wird.

Da die „Nordstjernen“ von ihren Abmessungen her durch die 24 Meter breite Ziegelgrabenbrücke passt, geht man als Liegeplatz von der Steinernen Fischbrücke aus. Es könnte aber auch der 16er sein, der umzäunt gegenüber der Fischbrücke liegt. Der unbestrittene Vorteil: eine zentrale Lage mit Fußläufigkeit in die Stadt, zum Ozeaneum, zur „Gorch Fock“ (I) und zum Meeresmuseum.

Die Preise für die exklusiven einwöchigen Nostalgie-Reisen zu einigen bisher kaum von Kreuzfahrtschiffen angelaufenen Destinationen liegen zwischen 978 (einfachste Kabine, Du/WC auf dem Gang) und 2442 Euro pro Person für den gehobenen Standard, je nach Allein- oder Doppelbelegung und Route. Maximal können 110 Gäste mitfahren. Vom Essen aus der kleinen Kombüse vom dänischen Chefkoch Thomas Kristiansen schwärmen sie übrigens alle. Sein Vater Per verwaltet den Hotelbereich, Aliona Votcel aus Litauen assistiert ihm dabei absolut hoch engagiert.

Für Stralsunder wäre es eine tolle Gelegenheit, von ihrer Heimatstadt aus eine Seereise mit einem historischen Passagierschiff, das ein lebendiges Stück Seefahrtsgeschichte repräsentiert, in einzigartiger familiärer Atmosphäre anzutreten.

Darüber hinaus wäre die klassische „Nordstjernen“ ein Lichtblick für das noch zarte Stralsunder Kreuzfahrt-Pflänzchen. Womit auch weitere Reedereien und Veranstalter auf das Potenzial der Hansestadt aufmerksam gemacht werden. Wie kürzlich zum zweiten Mal die MS „Hamburg“ bewiesen hat. Geplant sind bei optimalen Bedingungen dann mehrere Anläufe und sogar ein Basishafen-Status, denn Warnemünde gilt mit 3000 Euro pro Tag als zu teuer.

Auch Kreuzfahrt-Fan Oberbürgermeister Alexander Badrow hat seine Freude daran, die bekannte Oldtimer-Legende am Sund nicht nur einmal willkommen zu heißen.

 


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