24.12.2025

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Historische Bahn: In der Adventszeit fährt die Ringlinie 42 als Weihnachts-Tram zu den schönsten Plätzen in Prag
Foto: LädtkeHistorische Bahn: In der Adventszeit fährt die Ringlinie 42 als Weihnachts-Tram zu den schönsten Plätzen in Prag

Prag

Die Goldene Stadt im festlichen Gewand

Nostalgische Kreuzfahrt auf Schienen – Mit einer historischen Straßenbahn zu den Weihnachtsmärkten von Böhmens Hauptstadt

Manfred Lädtke
24.12.2025

Ein blasser, schwermütiger Himmel wölbt sich über Prag. Im Altstädter Brückenturm mühen sich Frühaufsteher 138 Stufen der schmalen Wendeltreppe auf die Aussichtsetage hinauf. Handys klicken, Kameras surren, um die morgendliche Melancholie unten auf der Karlsbrücke festzuhalten. Vor 400 Jahren wurden hier nach einem Aufstand gegen die Habsburger die Köpfe von 27 Rebellen zur Abschreckung aufgehängt. Das Turmmuseum erinnert an das grauenhafte Exempel – was die Weihnachtsstimmung im milchigen Morgengrau so gar nicht hebt.

Es ist an der Zeit, wieder hinabzusteigen ans Ufer der Moldau. Beschaulich fließt der Fluss inmitten einer scheinbar heilen Welt dahin. Im kleinen Smetana-Museum am Fuß der Brücke ist die „Moldau“, Smetanas Orchesterstück, sogar zu hören. 15 Gehminuten weiter, vor der Juristischen Fakultät, heißt es „einsteigen“ zu einer nostalgischen Kreuzfahrt auf Schienen. Die festlich geschmückte historische Ringlinie 42 verbindet touristische Sehenswürdigkeiten und kutschiert Gäste zu insgesamt 20 Haltepunkten diesseits und jenseits des großen Flusses. Sollten sämtliche Holzsitze in den Wagen aus der Monarchie und den 1950er Jahren besetzt sein – egal. 20 Minuten später poltert schon der nächste rote Oldtimer heran.

Garantiert leer wird es an der Station „Prazsky hrad“. Weihnachten ist ganz Prag im Ausnahmezustand und der Hradschin täglich Sehnsuchtsort für Zigtausende Besucher aus aller Welt. Wer eben noch in der Besichtigungsschlange auf der Burg vor dem Veitsdom geduldig ausharrte oder im Strom der Menschen das größte geschlossene Burgareal der Welt erkundet hat, folgt jetzt einer ansteigenden Gasse. Plötzlich, ganz unverhofft, öffnet sich ein Mini-Weihnachtsmarkt mit Weitblick. Der traditionelle böhmische Honigwein „Medowina“ versüßt die stimmungsvolle Aussicht vom Burgberg. Es schneit. Schneeflocken malen weiße Tupfer auf die Dächer und Mauern der Goldenen Stadt.

Langsam verabschiedet die Dämmerung den Tag, zarte Schatten legen sich über Prag. Um diese Zeit zündet ein Lampenwärter auf der Karlsbrücke die Laternen an, die blass durch den sinkenden Tag schimmern. Überall gehen Lichter an. Prag lässt das graue Gewand fallen und lockt im glitzernden Festtagskleid. Hinab vom Hradschin zum weihnachtlichen Mittelpunkt auf dem Altstädter Ring führt der schönste Weg über Treppen durch das Gassengewirr der Kleinseite.

Eine Tanne aus Reichenberg
In einem der vielen plüschigen Mini-Cafés hat beseelt von verdienten Literaten wie der vor 150 Jahren geborene Dichter Rainer Maria Rilke, der „rasende Reporter“ Egon-Erwin Kisch und Franz Kafka ein junger Mann Platz genommen. Auf dem Tisch liegen Ansichtskarten, Couverts und Briefpapier. „Wussten Sie, dass Prag eine Briefstadt war? Im vergangenen Jahrhundert wurden hier die wundervollsten Liebesbriefe geschrieben“, verrät der Student mit tschechischem Akzent.

An der anderen Uferseite auf dem größten Weihnachtsmarkt der Hauptstadt wird garantiert jedem warm ums Herz. Zwischen dem Rathaus mit der astronomischen Uhr und der zweitürmigen Teynkirche erhebt sich vor der Kulisse aus Renaissance-, Barock- und Rokokohäusern der hoch aufragende Christbaum in den Himmel. Jedes Jahr wird die ansehnlichste und stärkste Tanne aus der nordböhmischen Region um Reichenberg geliefert und für die Adventszeit feierlich illuminiert. Kinder machen große Augen, und Erwachsene durchstöbern Stände nach böhmischen Raritäten.

Weil es im Getümmel der engen Gassen rund um den zentralen „Staromestské námesti“ zuletzt kaum noch ein Vor und Zurück gab, teilen die Stadtväter aus Sicherheitsgründen keine Uhrzeit mehr für die Premiere der Christbaumbeleuchtung mit. Stattdessen findet jeden Abend ein kurzes Leuchtspektakel statt. Keine Eile, aber viel Gelassenheit sollte im Dezember also unbedingt im Reisekoffer sein, damit im Schieben und Drängeln der dichten Menschenmassen die Festtagsstimmung nicht auf der Strecke bleibt. Der Duft von Punsch, Backwaren und Gebratenem umschmeichelt die kalten Nasen. Und überall liegt Musik in der Luft.

Knurrt jetzt der Magen? An einem Stand rollt die Verkäuferin einen weichen Hefeteig, röstet ihn über offenem Feuer und bestäubt das beliebte slowakische Gebäck mit Zucker, Zimt und Nussraspeln. „Sehrr, sehrr süß, hat aber Loch in Mitte, macht nicht so dick“, scherzt sie und reicht die trichterförmige „Trdelnik“ über die Theke. Derweil wechseln sich auf einer Bühne stimmgewaltige Chöre aus ganz Europa ab, während in der prachtvollen Teynkirche Besucher einem Konzert des Prager Philharmonic Chamber Orchestra lauschen.

Dort, wo Clinton Saxofon spielte
Wenige Straßen entfernt auf dem Wenzelsplatz geht der Zauber böhmischer Weihnacht in die Verlängerung. Mit Lampenketten dekorierte Bäume tauchen den 760 Meter langen Boulevard in ein schillerndes Meer aus Lichtern. Zeitgenossen, die Ruhe und Beschaulichkeit bevorzugen, fahren am Ende des Platzes hinter dem Nationalmuseum mit der Straßenbahn zum Stadtteil Königliche Weinberge (Vinohrady) und schlendern durch die Budenstadt auf dem Friedensplatz (Námestí Míru). Den Weihnachtsmarkt vor der mächtigen Sankt-Ludmilla-Kirche schätzen Einheimische für sein traditionelles heimisches Kunsthandwerk, seine handgefertigten Kinderspielsachen sowie für die deftigen und leichten Raffinessen vom böhmischen Herd. Als die Kirchenglocken läuten, murmelt eine Bablicka (Großmutter): „Wie tröstlich dieser Wohlklang in rauer Zeit ist.“

Leinen los, der Abend kommt. „Verlasst Prag nie, ohne eine romantische Bootspartie auf der Moldau“, hatte eine Stadtführerin empfohlen. Am Altstädter Ufer neben der Karlsbrücke weisen heilige Figuren aus Stroh den Weg zur Anlegestelle. Personal in Matrosenanzügen serviert am Ticketschalter im Brückenmuseum Heißgetränke. Unter dem letzten erhaltenen Bogen der alten Judithbrücke – die Vorgängerin der Karlsbrücke – tuckern Ausflugsschiffe zur einstündigen Moldau-Tour. Passagiere versorgen sich noch schnell mit Bier und Glühwein. Einen klaren Kopf braucht nur der Kapitän.

Auf dem Fluss zieht die funkelnde Metropole mit der leuchtenden Prager Burg wie ein Breitbandfilm vorbei. Nur zwei junge Passagiere schenken dem Panorama kaum einen Blick. Für das eng umschlungene Paar hat das „Fest der Liebe“ an diesem kalten Winterabend seine ganz eigene Bedeutung. Später werden beide den Touristen-Karawanen aus dem Weg gehen und auf einer Bank in der lärmenden traditionsreichen Schenke „Zum goldenen Tiger“ Platz nehmen: Gleich um die Ecke in der Husova 17. Da, wo Weihnachten vor der Tür bleibt. Wo Künstler, Müllkutscher und Touristen an langen Biertischen zechen. Wo der frühere US-Präsident Bill Clinton Saxofon spielte, Tschechiens Ex-Staatschef Václav Havel schaumiges Pilsner stemmte und der mittellose Dichter Bohumil Hrabal vorlas und sich so seinen Weihnachtsbraten verdiente.


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