18.10.2024

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Gruppenaufnahme des IMTFE vom 29. Juli 1946: Vorne sitzen William Donald Patrick, Myron Cady Cramer, William Flood Webb, Mei Ju-ao und Iwan Sarjanow; hinten stehen Radhabinod Pal, Bernard Victor Aloysius Röling, Edward Stuart McDougall, Henri Bernard, Eri
Foto: United States Army Signal Corps. National Archives and Records AdministrationGruppenaufnahme des IMTFE vom 29. Juli 1946: Vorne sitzen William Donald Patrick, Myron Cady Cramer, William Flood Webb, Mei Ju-ao und Iwan Sarjanow; hinten stehen Radhabinod Pal, Bernard Victor Aloysius Röling, Edward Stuart McDougall, Henri Bernard, Eri

Tokioter Prozesse

Die japanischen Pendants zu den Vorbildern aus Nürnberg

Vor 75 Jahren stellten die US-amerikanischen und internationalen Gerichte die Verfahren gegen Nippons Kriegsverbrecher ein

Wolfgang Kaufmann
18.10.2024

Neun Tage nach der japanischen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg vom 2. September 1945 befahl der US-amerikanische Fünfsternegeneral Douglas MacArthur in seiner Eigenschaft als SCAP (Oberkommandierender für die Alliierten Mächte) die Verhaftung von 39 politischen und militärischen Führern des fernöstlichen Kaiserreiches. Zu diesen gehörte nicht zuletzt General Tōjō Hideki, welcher der Einheitspartei Taisei Yokusankai vorgestanden sowie als Premier-, Heeres-, Innen-, Außen-, Kultus- und Wirtschaftsminister sowie Generalstabschef fungiert hatte. Er wurde unter anderem für den Tod von vier Millionen Chinesen und die Entfesselung des Pazifikkrieges gegen die Westalliierten verantwortlich gemacht.

Viereinhalb Monate später setzte McArthur die Tokio Charta in Kraft, auf deren Grundlage ein Internationaler Militärgerichtshof für den Fernen Osten (IMTFE) zur Verurteilung der japanischen Kriegsverbrecher zusammentrat. Dieser Gerichtshof unterschied sich in mancherlei Hinsicht vom Nürnberger Tribunal. Zum Ersten basierte er auf keiner Vereinbarung zwischen den Siegermächten, sondern auf einer militärischen Anordnung des SCAP. Zum Zweiten stand die gesamte Zeitspanne ab der japanischen Invasion in der Mandschurei im September 1931 bis zum Kriegsende 1945 zur Verhandlung. Zum Dritten blieb der Oberbefehlshaber der Streitkräfte des besiegten Landes, Kaiser Hirohito, komplett unbehelligt, weil MacArthur den Monarchen benutzen wollte, um die von den USA oktroyierten Nachkriegsreformen in Japan möglichst reibungslos umzusetzen. Und zum Vierten war das Tribunal internationaler besetzt, wenn allerdings auch diesmal nur die Kriegssieger vertreten waren und weder Neutrale noch gar der Kriegsverlierer. In Nürnberg hatten die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion jeweils zwei Richter und einen Ankläger gestellt. In Tokio hingegen waren die vier Großmächte und sieben mit ihnen gegen Japan verbündete beziehungsweise zu deren Imperien gehörende Länder durch jeweils einen Richter und einen Ankläger vertreten.

Für die Richterbank benannten die USA erst John Patrick Higgins und dann Myron Candy Cramer, die Niederlande Bernard Victor Aloysius Röling sowie die Philippinen Delfin Jaranilla. Die UdSSR schickte Iwan Sarjanow, das Vereinigte Königreich William Donald Patrick, Frankreich Henri Bernard, China Mei Ju-ao, Neuseeland Erima Northcroft, Kanada Edward Stuart McDougall, Britsch-Indien Radhabinod Pal und Australien schließlich William Flood Webb, der den Vorsitz übernahm.

Internationalere Richterschaft
Am 29. April 1946 begann der Prozess gegen letztlich 28 Angeklagte im vormaligen Gebäude des japanischen Kriegsministeriums im Tokioter Stadtteil Ichigaya. Die Ankläger um den von den USA gestellten Chefankläger Joseph B. Keenan warfen den Beschuldigten Verschwörung gegen den Weltfrieden, Mord und Kriegsverbrechen beziehungsweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Dabei beriefen sie sich unter anderem auf die Haager Landkriegsordnung sowie die Genfer Konvention. Ihr erklärtes Ziel bestand darin, alle Angeklagten „des Glamours der Nationalhelden zu berauben“.

Die Verhandlungen, in deren Verlauf 419 Zeugen gehört und 4336 Beweismittel vorgelegt wurden, erstreckten sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren. Dann verkündeten die elf Richter am 12. November 1948 ihr Urteil, dessen Begründung 1781 Seiten umfasste. Sieben Angeklagte erhielten die Todesstrafe. Neben Tōjō wartete der Galgen im Sugamo-Gefängnis auf die Generäle Mutō Akira, Itagaki Seishirō, Matsui Iwane, Kimura Heitarō und Doihara Kenji sowie den vormaligen Ministerpräsidenten und Außenminister Hirota Kōki. 18 weitere japanische Militärs und Politiker sowie die ehemaligen Botschafter des Kaiserreiches in Deutschland, Italien und der Sowjetunion verurteilte das IMTFE zu lebenslangen oder zeitlich begrenzten Haftstrafen.

Den Truppenkommandeuren wurden vor allem die unter ihrem Befehl verübten Massentötungen von Zivilisten und Kriegsgefangenen sowie die Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen gegen China und andere Staaten zur Last gelegt. Dahingegen musste Hirota dafür büßen, dass er nichts unternommen hatte, um das Massaker von Nanking zu verhindern, bei dem Ende 1937 bis zu 300.000 chinesische Soldaten und Einwohner der Stadt ums Leben kamen. Mitverantwortlich für dieses Verbrechen war allerdings auch Kaiser Hirohito, der am 5. August 1937 explizit den Befehl erteilt hatte, bei der Behandlung chinesischer Kriegsgefangener das geltende Kriegsvölkerrecht zu ignorieren.

Bei der Verlesung der Urteilsbegründung kam zutage, dass immerhin fünf der elf Richter abweichende Positionen zu Protokoll gegeben hatten. So bemängelten der Vorsitzende Webb sowie Bernard aus Frankreich, dass der Kaiser nicht auf der Anklagebank saß. Noch kritischer äußerte sich Pal. Der Richter aus Indien votierte dafür, alle Angeklagten freizusprechen, und bezeichnete das IMTFE als Werkzeug einer einseitigen Siegerjustiz. Außerdem forderte er, auch die US-amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gerichtlich zu untersuchen.

Vorrang von US-Interessen
Die Exekution der Todeskandidaten fand am 23. Dezember 1948 auf Befehl von MacArthur statt, der die Vorschläge Australiens, Kanadas, Indiens und der Niederlande hinsichtlich einer Abmilderung der Strafen brüsk zurückwies. Allerdings kam es nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Japan und den alliierten Mächten vom 8. September 1951 zu einer mehrmaligen Reduzierung der verhängten Haftstrafen. Dadurch kamen alle überlebenden Verurteilten bis 1955 frei.

Parallel zu dem großen Prozess vor dem IMTFE in Tokio fanden auf Veranlassung der USA sowie Australiens, Chinas, Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion, der Niederlande und der Philippinen zahlreiche weitere Tribunale gegen japanische Kriegsverbrecher statt. Dabei wurden 5700 Personen angeklagt, von denen 984 die Todesstrafe und 475 lebenslängliche Haftstrafen erhielten. Zu den aufgrund eines solchen Schuldspruches Gehängten zählte auch General Yamashita Tomoyuki, der Verantwortliche für die Kriegsgräuel in Singapur und auf den Philippinen, die vermutlich 57.000 Menschenleben forderten.

Die Verfahren vor den US-Militärtribunalen endeten allesamt vor 75 Jahren am 20. Oktober 1949, ohne dass sich auch nur ein einziges Mitglied der berüchtigten Einheit 731 der japanischen Kwantung-Armee vor Gericht verantworten musste, obwohl diese in der Mandschurei verbotene biologische Waffen erprobt und eingesetzt hatte. Diese Nichtverfolgung resultierte aus einem Deal mit den USA, der die Übergabe der Forschungsergebnisse im Austausch gegen strafrechtliche Immunität vorsah.


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