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Über das Wirken der Politikerin Angela Merkel, die Motive ihres Handelns und die Bilanz ihrer Amtszeit
Rund drei Jahre nach ihrem Abgang und wenige Tage vor dem Erscheinen ihrer eigenen Memoiren legt der Publizist Klaus-Rüdiger Mai mit „Angela Merkel. Zwischen Legende und Wirklichkeit“ eine „kritische Biografie“ der ersten deutschen Kanzlerin vor. Es ist weniger eine klassische Beschreibung eines politischen Lebenslaufs als vielmehr eine harte Auseinandersetzung mit einer Kanzlerin, die von den Medien in ihrer Amtszeit überwiegend sanft behandelt wurde.
Herr Mai, schon zu Beginn Ihres Buches wird klar, dass hier kein Bewunderer Angela Merkels das Wort ergreift. Was hat Sie dazu bewogen, sich dennoch mit der ersten Kanzlerin auseinanderzusetzen?
Bewunderung wäre für jede Biographie der falsche Ansatz. Grundsätzlich schreibe ich Biographien, um eine bestimmte Zeit zu verstehen. Um Carl Sternheim zu paraphrasieren: In der Biographie Merkels wird die jüngste Geschichte Deutschlands im Gleichnis von Merkels Leben erzählt. Man kann sich die Protagonisten nicht immer aussuchen. Die Zeit von 2005 bis weit über ihre Kanzlerschaft hinaus, wohl bis 2028, kann man für Deutschland als die Merkel-Zeit bezeichnen. Ob uns das gefällt oder auch nicht.
Sie steigen in Ihr Buch nicht mit der Kindheit und Jugend Merkels ein, sondern mit ihrem politischen Ende, dem Zapfenstreich zum Ausscheiden aus dem Kanzleramt unter den verschärften Bedingungen der Corona-Zeit. Und Sie sagen, dass dieser Augenblick sinnbildlich für die ganze Ära Merkel sei. Warum?
Der Auslöser für dieses Buch war nicht die Person Merkel, sondern ich wollte verstehen, was mit und was in Deutschland seit Jahren geschieht, in welcher Lage wir uns befinden und wie wir in die gegenwärtige Krise geraten konnten. Unser Land taumelt immer heftiger in eine Wirtschaftskrise, in eine Staatskrise, in eine Gesellschaftskrise und möglicherweise in eine Verfassungskrise, wenn am Bundesverfassungsgericht geschraubt wird. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als im Heute zu beginnen. Man kann ja schlecht nach den Gründen eines Niedergangs fragen, wenn man diesen zuvor nicht benannt hat.
Mir geht es nicht um die Dämonisierung des Menschen Merkel, sondern um die Frage, in welchem Zustand sich Deutschland befindet, dass jemandem wie ihr der Aufstieg zu dieser Machtfülle gelingen konnte. Außerdem ist die Maske, die sie zu ihrem Zapfenstreich trug, das perfekte Symbol, denn niemand beherrschte die Kunst der Maskierung so perfekt wie Merkel. Kein Satz war wohl jemals weiter von der Wahrheit entfernt als ihre Wahlkampfaussage 2013 „Sie kennen mich.“ In Wahrheit kennt niemand im politischen Raum die ehemalige Kanzlerin wirklich.
Außerdem musste ich mit der Corona-Zeit beginnen, weil sich in Merkels Pandemie-Regime ihr Regierungsverständnis am reinsten ausdrückt. Nicht der Staat steht im Dienst der Bürger, sondern die Bürger stehen im Dienst des Staates.
Allerdings haben auch viele andere Regierungen in der Welt zu Masken als Mittel im Kampf gegen die Pandemie gegriffen.
Richtig. In Deutschland wurde die Maskenpflicht jedoch zu einem Symbol für die Einschränkung der Freiheitsrechte, für ein Regieren mit Gremien, die das Grundgesetz gar nicht vorsieht, wie der Konferenz der Ministerpräsidenten, und nicht zuletzt auch für die Drangsalierung Andersdenkender, die maßlos beschimpft und mit hohen Bußgeldern bestraft wurden, wie man es sonst nur aus totalitären Regimen kennt.
Merkels Pandemiepolitik, aber auch ihr Agieren bei anderen Themen in jener Zeit wie bei der Thüringen-Wahl 2020, zerbrach den demokratischen Konsens. Während Helmut Kohl der Kanzler der Einheit war, ist sie die Kanzlerin der Spaltung.
Merkels Kanzlerschaft steht auch für grundlegende Weichenstellungen, denen allesamt gemein ist, dass sie wenig mit den traditionellen Positionen ihrer Partei, der CDU, gemein haben, dafür um so mehr mit der Programmatik der Grünen. Was hat sie Ihrer Meinung nach dabei angetrieben?
Merkel wurde meiner Analyse nach weniger von Ideologien bestimmt, sondern vielmehr von der Idee der Macht; von dem Wunsch, Politiker zu sein, und dem Drang, sich als die beste, als Klassenprima zu erweisen. Ihre logische Schlussfolgerung daraus war, nicht gegen den Zeitgeist regieren zu können. Nur der Pakt mit dem Zeitgeist garantierte die persönliche Macht.
Zeitgeist ist für Merkel nichts Abstraktes, sondern etwas sehr Konkretes, täglich Wahrnehmbares, wie er sich als veröffentlichter Zeitgeist und in Umfragen abbildet. Veröffentlichter Zeitgeist meint die Medien. Schon sehr früh schuf sich Merkel ein Netzwerk in den Medien und reagierte auch auf die Medien, ich würde es eine unheilvolle Symbiose nennen. Und da die Medien seit Langem sehr stark grün orientiert sind, wurde Merkel zur besten Politikerin, die die Grünen je hatten.
So trieb sie mit grünen Themen von der für Deutschland katastrophalen Energiewende über die Turbomigration in die Sozialsysteme, die Klimaapokalyptik, die Rezeption des marxistischen Konzepts des Klassenkampfes als „Kampf gegen rechts“, über den Kampf gegen die Meinungsfreiheit als Kampf gegen „Hass und Hetze“ gelabelt, bis zur totalitären Vorstellung von der Alternativlosigkeit die Vergrünung Deutschlands voran. Die Ampel hat diese Politik dann beschleunigt fortgesetzt und damit Deutschland in eine Krise getrieben, die jeden Tag, an dem diese Politik fortgesetzt wird, für unser Land immer existentiellere Dimensionen annimmt.
Die Geschichte antwortet darauf jedoch nicht mit Ironie, sondern mit Sarkasmus. Denn der Lohn für ihre grüne Politik ist, dass die Grünen das Scheitern ihrer Politik nun Merkel in die Schuhe schieben: Als Kanzlerin habe sie zu sehr gezögert, habe nicht schnell und nicht konsequent genug den im wahrsten Sinne des Wortes Endspurt in die große Krise Deutschlands wahrgenommen, sodass jetzt die Grünen letzte Hand anlegen müssen.
Wenn Merkel so sehr dem Zeitgeist verhaftet war, warum ist sie dann in der Zeit der Wende von 1989/90 in der seinerzeit noch deutlich konservativeren CDU gelandet?
Das hat auch Mitschüler, Kommilitonen, Arbeitskollegen verwundert, die sie schon damals eher bei den Grünen verortet hätten. Merkel begann erst sehr spät, sich zu engagieren, als keine Gefahr mehr bestand. Sie ging zum Demokratischen Aufbruch, weil dort auch Leute aus ihrem Umfeld waren. Der DA vereinigte sich im Sommer 1990 mit der Ost-CDU und diese im Herbst mit der West-CDU.
Erster Regierungschef nach der ersten und einzigen freien Volkskammerwahl wurde Lothar de Maiziere, Sohn von Clemens de Maiziere, der wiederum eng mit Merkels Vater, dem Pfarrer Horst Kasner, zusammengearbeitet hatte. Sie wurde de Maizieres stellvertretende Regierungssprecherin. Da sich im Bündnis 90 oder auch in der Ost-SPD viele junge Frauen engagierten, in der CDU nicht, hatte sie bei den Christdemokraten bessere Karrierechancen, zumal Helmut Kohl für sein Kabinett nach der ersten gesamtdeutschen Wahl eine junge Frau aus dem Osten suchte.
Nach meiner Beobachtung war die CDU für Angela Merkel nie mehr als die perfekte Karrieremaschine. Nach fast zwanzig Jahren ihres Parteivorsitzes war die Partei dann so grün, wie sie es sich immer gewünscht hatte.
Bezüglich der Motive des Merkelschen Handelns wird von Kritikern immer wieder auch über ihre Zeit in der DDR und eine mögliche Verwicklung mit dem kommunistischen Regime spekuliert. Was haben Sie dazu herausfinden können?
Merkel hatte sich in Organisationen wie der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, der Freien Deutschen Jugend, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund und dem DRK engagiert und auch Leitungsfunktionen wahrgenommen.
Diejenigen, die auf eine tiefere ideologische Verwicklung spekulieren, gehen jedoch meines Erachtens am Kern des Problems vorbei. Ich denke, dass sie immer schon Politiker werden wollte – und das ging in der DDR nicht, oder nur im eingeschränkten Maße in den staatlich gelenkten Massenorganisationen. Im Westen wäre sie möglicherweise zur Grünen Jugend gegangen. So wie es Leute gibt, die ein besonderes handwerkliches Geschick besitzen, hat Merkel dieses Politiker-Gen, das erst nach der Wende reüssieren konnte. Diesen unbedingten Machtwillen.
Von den wesentlichen Weichenstellungen der Ära Merkel war die faktische Öffnung der deutschen Grenzen für über eine Million Migranten im Spätsommer 2015 wahrscheinlich die weitreichendste. Was hat sie Ihrer Meinung nach dazu bewogen?
Merkel entschied grundlegende Fragen immer erst, wenn sie absehen konnte, wohin sich etwas bewegte, um keine Fehler zu machen. Sie nannte das „eine Sache vom Ende her zu denken“, und das „Ende“ war der Moment, in dem sich die Tendenz einer Entwicklung zeigte. Für sie stand stets im Vordergrund, welche Entscheidung ihr nutzen und welche ihr schaden könnte.
In der Flüchtlingskrise floh sie, wie in der Biographie dokumentiert wird, erst vor der Verantwortung, dann stolperte sie in falsche, ja katastrophale Entscheidungen. Um ihre Fehler zu vertuschen, wurde die „Willkommenskultur“ dann zum Dogma erhoben, dem sich alle zu unterwerfen hatten. Nicht die demokratische Frage, ob die Bürger das wollen, wurde gestellt, sondern von oben verfügt, dass „wir“ das zu schaffen haben.
Ein Vorwurf, den Sie Merkel mehrfach machen, ist, dass sie während ihrer Kanzlerschaft oft mit einer „Angstkommunikation“ agiert habe. Wie meinen Sie das?
Einer ihrer Berater in der Pandemie-Zeit, der Soziologe Heinz Bude, hat es ja offen zugegeben, dass man den Leuten bewusst Angst gemacht hat, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. Er hat auch zugegeben, dass man über keine wissenschaftlichen Argumente verfügte, sondern nur über Behauptungen, die wie Wissenschaft aussahen.
Und so wurden – ob bei Corona oder beim Klima – unter Merkel immer wieder Hysterien geschürt, um den Umbau der Gesellschaft voranzutreiben. Gedroht wurde immer mit der Apokalypse, vernünftiges Diskutieren auf der Grundlage überprüfbarer Evidenzen wurde als „Verschwörungstheorie“ gebrandmarkt und diejenigen, die sich Wissenschaftlichkeit und Rationalität nicht verbieten lassen wollten, vom gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen. Deshalb spreche ich von „Angstkommunikation“, die für mich die perfideste Form von Demagogie ist.
Damit einher geht Ihr Vorwurf, Merkel habe in ihrer Amtszeit – vor allem während der Corona-Pandemie – immer wieder bürgerliche Freiheiten beschnitten. Womit begründen Sie dies – und wie empfinden Sie es, dass Merkels eigene, in wenigen Tagen erscheinenden Memoiren den Titel „Freiheit“ tragen?
Der Impf-Befehl, der Masken-Befehl, das Infektionsschutzgesetz, die Lockdowns – weitere Beispiele gefällig? Für Merkel besitzt Freiheit meines Erachtens keinen Wert, da ist sie eine echte Grüne, denn Freiheit beginnt nicht bei der Gruppe, sondern immer beim Einzelnen, beim Bürger.
Was man zum Titel ihrer Memoiren sagen soll? Er scheint nicht vollständig zu ein, er müsste eigentlich heißen: „Die Unverzeihlichkeit der Freiheit“.
Angesichts Ihrer harten Kritik: Sehen Sie in der Ära Merkel auch Positives?
Bis auf die Weltfinanzkrise, die sie mit Peer Steinbrück nicht schlecht gemanagt hat, im Gegensatz zur Griechenland-Krise, nein, nichts. Merkels Bilanz besteht darin, dass sie erstens den Ertrag der Schröderschen Reformen verfrühstückt hat, und zweitens in sechzehn verlorenen Jahren für Deutschland. Drittens hat sie ein tief in sich gespaltenes Land hinterlassen. Viertens hat die Parteivorsitzende Merkel der CDU die Seele ausgetrieben.
Und mithin könnte man mit Blick auf Shakespeares „Hamlet“ sagen: Die Ampel ist der Auftritt von Merkels Geist.
Das Interview führte René Nehring.
sitra achra am 02.12.24, 18:08 Uhr
In diesem land gibt es leider zu viele Merkelnde, als dass man einer einzelnen Person die Schuld für den staatlichen und gesellschaftlichen Verfall in die Schuhe schieben dürfte.Die plumpe Personalisierung auf die Kazmierza (Kasner) kann nicht zur Aufklärung dieses Irrwegs führen.
Peter Wendt am 25.11.24, 15:34 Uhr
Merkel war und ist immer distanziert zu ihren Mitbürgern geblieben, die Sorgen der Menschen im geeinten Deutschland interessieren sie bis heute nicht. Zudem versteht sie bis heute nicht warum Menschen es wagen können sie zu kritisieren. So sehr sie die „richtige Frau“, zur rechten Zeit am rechten Ort schien, umso übler war die sorglose und fahrlässige Entscheidung der Verantwortlichen, allen voran Helmuth Kohl, ausgerechnet Frau Merkel in einem politisch kritischen Umfeld an die Macht zu lassen. Ohne ausreichende politische Erfahrung, mit persönlich fragwürdigem Charakter und ungeklärten SED Verbindungen, ohne Visionen ohne Lösungen. Die negativen Folgen dieser Fehlentscheidung haben dem Land massiv geschadet und setzen sich in der Ampel fort. Mit Merz &Co. wird das nicht besser.