27.12.2025

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Die linke rechte Union

Hartmut Barthel
12.11.2025

In der Unionsfraktion brodelt es – und zwar nicht leise, sondern offen und zunehmend öffentlich. Die Frage der Rückkehr syrischer Asylsucher ist nur der Auslöser, hinter dem sich ein viel tieferliegendes Machtspiel abzeichnet: die Zerrissenheit zwischen mehreren klar unterschiedlichen Lagern innerhalb von CDU und CSU. Außenminister Johann Wadephul (CDU) warnte bei einem Besuch in Syrien: „Eine Rückkehr in großem Stil ist zum jetzigen Zeitpunkt schlicht nicht verantwortbar.“ Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hingegen drängt auf Rückführungen, besonders von Straftätern, und beruft sich auf rechtliche Grundlagen sowie den Koalitionsvertrag. „Wir können nicht nur über Prinzipien reden – wir müssen auch handeln, gerade wenn es um die Sicherheit unserer Bürger geht“, betont Dobrindt. Auf den ersten Blick geht es um Migration und Asyl – tatsächlich aber spiegelt sich hier ein grundsätzlicher Konflikt über Richtung, Prioritäten und politische Identität der Union wider.

Fraktion mit vielen Rollen
Die Lager sind klar umrissen. Wadephul steht für das außenpolitisch orientierte, auf internationale Verantwortung, Menschenrechte fokussierte Lager. Für ihn zählt die langfristige Reputation Deutschlands, Beachtung internationaler Standards und die Vermeidung politischer Abenteuer. Dobrindt hingegen verkörpert das innenpolitische, auf Sicherheit, Durchsetzung und praktische Umsetzung gerichtete Lager. Zwischen diesen beiden Polen liegt die Herausforderung für die Union: Wie kann die Fraktion geschlossen auftreten, wenn die Minister öffentlich gegensätzliche Botschaften senden?

Und als wenn das nicht schon schwierig genug wäre, kommt noch ein drittes Lager hinzu, das die ohnehin fragile Fraktionskohärenz weiter untergräbt: eine Gruppe von 18 jungen Abgeordneten rund um JU-Chef Johannes Winkel, die in der Vergangenheit beim Thema Rente hörbar aus der Reihe scherte und sich mittlerweile als eigene Kraft innerhalb der Union positioniert. Diese Jungpolitiker nutzen jede Gelegenheit, um ihre eigenen Themen und Vorstellungen zu platzieren, und machen deutlich, dass sie sich weder Wadephul noch Dobrindt oder der Kanzlerlinie automatisch unterordnen. Ein CDU-Insider kommentiert dazu: „Die Union kämpft gerade weniger um Politik, sondern mehr um Narrative – wer spricht, wer entscheidet und wer gewinnt letztendlich die Deutungshoheit.“

Die offene Auseinandersetzung zwischen Wadephul und Dobrindt offenbart ein grundlegendes Strukturproblem: die Union als Fraktion mit mehreren Selbstverständnissen. Die CSU beansprucht die Rolle der Wächterin innerer Sicherheit und territorialer Kontrolle; die CDU sieht sich stärker als politische Kraft für internationale Verantwortung und moralische Legitimation; die Jungpolitiker der dritten Gruppe fordern Dynamik, Reformen und eine andere Prioritätensetzung. Jede Entscheidung wird zur Machtprobe: Wer setzt sich durch, wer formt die öffentliche Wahrnehmung, wer definiert die Linie der Union?

Die Wirkung nach außen ist deutlich: Beobachter in Deutschland und im Ausland nehmen die Uneinigkeit wahr und interpretieren sie als Führungsproblem. Ein Land, das sich international als verlässlich darstellen möchte, vermittelt ein widersprüchliches Bild, wenn zwei Minister der gleichen Fraktion gegensätzliche Botschaften senden und gleichzeitig ein drittes Lager lauthals eigene Forderungen aufstellt. Intern verstärkt dies die Spannungen: Fraktionsmitglieder und Strategen beobachten genau, welches Lager an Einfluss gewinnt, welche Argumente sich durchsetzen und welche Signale an die Basis gesendet werden. Jede öffentliche Meinungsverschiedenheit kann dabei als Indikator für Machtverschiebungen innerhalb der Union gelesen werden.

Diese Zerrissenheit betrifft nicht nur inhaltliche Fragen, sondern auch strategische und symbolische Dimensionen. Wadephuls Linie signalisiert ein moralisierendes CDU-Lager, das auf internationale Akzeptanz und moralische Legitimation setzt. Dobrindt demonstriert Handlungsfähigkeit und Nähe zur Basis, während die jungen Abtrünnigen für Reformeifer, Eigenständigkeit und Fraktionsunabhängigkeit stehen. Jede gegensätzliche Aussage wird sofort medial aufgegriffen und als Prüfstein für die Autorität des Kanzlers interpretiert. Kanzler Merz muss dabei eine Balance finden: Er darf die Lager nicht gegeneinander ausspielen, muss aber eine eindeutige Linie vorgeben, um die Glaubwürdigkeit der Regierung zu wahren.

Kampf um die Deutungshoheit
Die aktuelle Debatte dient somit weniger der Klärung der Flüchtlingspolitik als eher der Inszenierung von Macht innerhalb der Union. Die Frage nach Rückführungen wird zum Symbol für die Kontrolle über politische Narrative, für die Frage, welche Themen Priorität haben, und für die Durchsetzungskraft des Kanzlers. Wadephul kann sein Lager als moralische Instanz profilieren, Dobrindt demonstriert Handlungsfähigkeit, und die „Jungen Reformhungrigen“ zeigen, dass die Fraktion nicht automatisch geschlossen ist.

Die inneren Spannungen sind nicht neu, werden aber in dieser Debatte besonders sichtbar. Zwei etablierte Lager und ein drittes disruptives Lager mit eigenen politischen Agenden kämpfen um die Vorherrschaft. CDU-Politiker warnen bereits: „Wenn wir keine klare Linie finden, droht die Union im öffentlichen Bild als zerstrittene Fraktion wahrgenommen zu werden.“ Solange die divergierenden Positionen offen ausgetragen werden, bleibt die Union nach außen wie nach innen zerrissen. Jede Entscheidung, jede Äußerung kann die Fraktionskohärenz weiter destabilisieren. Der Konflikt offenbart damit nicht nur eine Momentaufnahme in der Flüchtlingspolitik, sondern ein Strukturproblem der Union: die Schwierigkeit, selbstbewusste, in ihren Prioritäten fest verankerte Lager unter einer gemeinsamen politischen Führung zu vereinen.

Die Herausforderung für den Kanzler ist enorm. Er muss die unterschiedlichen Lager befrieden, die öffentliche Wahrnehmung steuern und gleichzeitig handlungsfähig bleiben – oder werden. Gelingt dies nicht, droht nicht nur politisches Signalchaos im Ausland, sondern auch ein strategisches Vakuum innerhalb der Union selbst. Der Konflikt ist ein Prüfstein für Macht, Autorität und politische Einigkeit der gesamten Fraktion.


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