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Erbaut, verfallen und wiederaufgebaut – Eines der ältesten Gotteshäuser Ostpreußens wird heute als Kloster genutzt
Die älteste noch stehende deutsche Kirche im nördlichen Ostpreußen stammt aus dem 13. Jahrhundert und steht in Juditten. 1985 wurde sie zugleich die erste orthodoxe Kirche des Gebiets. Seit 1999 ist sie ein orthodoxes Frauenkloster unter der Leitung der russlanddeutschen Äbtissin Sophia Hergenreder.
Das Königsberger Gebiet war die atheistischste Region der Sowjetunion. Erst am 21. November 1985 beschloss das Amt für religiöse Angelegenheiten, die in Ruinen stehende Juditter Kirche zur ersten orthodoxen Kirche der Region in der Nachkriegsgeschichte umzuwandeln. Es besteht keine Einigkeit darüber, wann exakt die Juditter Kirche gebaut wurde. Auf jeden Fall gilt dieses Gebäude als das älteste Bauwerk in Nordostpreußen und als einziges Denkmal der gotischen Architektur des 12. Jahrhunderts in der ganzen Region.
Die Kirche ist ein besonderes spirituelles Zentrum, denn so wie in alten Zeiten Pilgerscharen zur wundertätigen Statue der Jungfrau Maria strömten, so kommen heute viele Menschen zum großen Wundertäter St. Nikolaus, dem ersten Heiligen Russlands.
Erste orthodoxe Kirche im Gebiet
Die Kirche wird im Volksmund als „Mutter aller Kirchen des Kaliningrader Gebiets“ und „das lokale Jerusalem“ bezeichnet. Ihre Einzigartigkeit zieht viele Menschen aus der ganzen Welt an, insbesondere Deutsche aus der Bundesrepublik, für die sie ein Ort der Erinnerung ist. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde Juditten zu einem Vorort Königsbergs und am 16. Juni 1927 als Stadtkreis in die Stadt Königsberg eingegliedert. Am 25. Juli 1947 wurden die Bezirke Juditten, Hufen, Amalienau, Kosse, Luausken und Rathshof zum Stadtkreis Stalingrad, später Oktjabrskij und dem heutigen Bezirk Mitte zusammengelegt.
Der Deutsche Orden baute sie in der ihm eigenen Tradition. Die frühe Gotik jener Zeit war sehr streng, sodass die Kirche selbst eher schlicht und fast ohne Verzierungen ist. Zu ihrer Zeit diente die Kirche auch als Festung, wovon die mächtigen Steinmauern (1,5–2 Meter) und ein zugemauerter Geheimgang zeugen.
In alten Zeiten befand sich unter den Gewölben dieser Kirche eine wunderbare Skulptur der Jungfrau Maria – die Madonna mit dem Kind auf der Mondsichel, die von einem unbekannten Meister geschaffen wurde und zu der Scharen von Pilgern strömten. Sie war aus Holz gefertigt, größer als ein Mensch und in ihrer künstlerischen Ausdruckskraft in Preußen unerreicht. Die Skulptur galt als Meisterwerk der Plastik des 15. Jahrhunderts.
Legendenumwoben
Der Legende nach war die Skulptur immer warm, und ihr wurden allerlei Wunder und Heilungen zugeschrieben. Allein ihre Berührung löste bei den Gläubigen unaussprechliche Freude aus. Und das brachte jahrhundertelang (auch nach der Reformation) Scharen von Pilgern aus Deutschland, Holland und Rom nach Juditten.
Von 1797 bis 1810 war Königin Luise von Preußen, die Mutter der russischen Zarin Alexandra, eine häufige Besucherin. 1672 fertigte der berühmte Königsberger Meister Schimmelpfenning einen Altar für die Kirche. Im 17. Jahrhundert baute Erhard von Röder, der Vater eines bekannten Feldmarschalls in Ostpreußen, einen Anbau, der den Glockenturm mit der Kirche verband, als Grabstätte für sich und seine Nachkommen. 1840 wurde die von Meister Scherwint aus Königsberg gebaute Orgel in die Kirche eingebaut.
Die größte Anzahl der bis auf den heutigen Tag erhaltenen Denkmäler schuf der Königsberger Bildhauer Stanislaus Cauer (1867–1943). Er verstarb während des Krieges und wurde auf dem Friedhof der Juditten-Kirche beigesetzt. Sein Grab blieb nicht erhalten.
Die Kirche in der Juditter-Kirchenstraße wurde während des Zweiten Weltkrieges nicht wesentlich beschädigt. Bis 1948 wurde sie noch von der evangelischen Kirche genutzt. Letzter deutscher Pfarrer von Juditten war Kurt Flack. Einer der letzten deutschen Pfarrer, die bis zur Ausweisung im Jahr 1948 in Königsberg blieben, war Hugo Linck.
Danach wurde das Gebäude der Juditter Kirche als Lagerhaus genutzt und fiel einem Brand zum Opfer. Ende der 1950er Jahre war das Dach eingestürzt. In den 1970er Jahren begannen die Mauern einzustürzen. Anfang der 1980er Jahre wurde die Kirche sogar als Steinbruch benutzt.
Neues Leben als Frauenkloster
Seit 1999 befindet sich in der Juditter Kirche, die bei den Russen St.-Nikolaus-Kirche heißt, ein russisch-orthodoxes Frauenkloster. Auf diese Weise erhielt die wiederaufgebaute Kirche in Juditten neues Leben und eine neue spirituelle Bedeutung. Das Hauptkloster befindet sich jetzt bei Palmnicken, die St.-Nikolaus-Kirche dient als Klosterkirche, in der etwa zwanzig Nonnen unter der Leitung der Mutter Oberin (seit 2009), der „Russlanddeutschen“ Hegumena Sophia (Hergenreder), ein beschauliches Leben führen. Die Äbtissin kam 1988 aus Kasachstan in die Bundesrepublik, wo sie bis 2006 in Wiesbaden lebte. 1998 wechselte sie vom lutherischen zum orthodoxen Glauben. Auf dem Gelände des Klosters befinden sich eine Sonntagsschule und das Progymnasium „Peresvet“. Neben dem Kloster gibt es noch einen alten wiedererrichteten deutschen Friedhof und ein Gemeinschaftsgrab für 36 Rotarmisten. Für sie wurde 2005 ein Denkmal errichtet.