20.04.2024

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Hinterpommern I

Die Rügenwalder Sturmflut im September 1497

Als Kähne und Schiffe weit ins Land hinein geworfen wurden

Karl-Heinz Engel
07.10.2021

Herzog Erich I. von Pommern-Stolp, viele Jahre lang auch König von Dänemark, Norwegen und Schweden und damit einer der bekanntesten Regenten Pommerns, hatte die Zerstörung seiner geliebten Residenzstadt Rügenwalde (heute Darlowo) im September 1497 nicht mit ansehen müssen. Er starb bereits 1459 im Alter von 71 Jahren.

Fluten brachten Verderben

Als um die Mittagsstunde des 15. September 1497 ein Orkan über die Ostsee hereinbrach, der bis Mitternacht unvermindert anhalten sollte, überschwemmten haushohe Fluten weite pommersche Küstenstriche. Das als Fischerdorf ungeschützt vor der See liegende Rügenwal­dermünde und eben auch das etwas landeinwärts an der Wipper erbaute Rügenwalde gerieten in höchste Not. Denn der Sturm tobte aus Nordwest, weshalb die aufgepeitschte See auf beide Orte im rechten Winkel traf. Die Küste macht vor Rügenwalde nämlich einen deutlichen Schwenk nach Nordosten. Kähne und Schiffe sollen weit aufs Land geworfen worden sein. Wer konnte, suchte in der etwas höher gelegenen Gertrudkirche Schutz. Es muss das pure Chaos gewesen sein für die Bewohner. Gemeindepfarrer und Stadtrat sollen sodann in ihrer Verzweiflung Gott um Errettung angerufen und gelobt haben, jährlich eine Dank- und Bußprozession zu veranstalten.

Und die fanden dann, so wird berichtet, auch tatsächlich über die Jahrhunderte hinweg statt. Erst ab 1945 mit Beginn der kommunistischen Zeit blieben sie aus. Seit 1991 aber wird die Tradition wieder gepflegt. Immer im September versammeln sich die Darlowoer zunächst zu einem Gottesdienst in der Gertrudkirche. Anschließend begibt sich die Prozession, die einem historischen Umzug mit Ritterspielen gleicht, zur Marienkirche im Stadtzentrum. Dabei werden eigens zu diesem Zweck gebackene Butterkekse an die meist zahlreichen Zuschauer verteilt.

Auswirkungen der Flut bis ins Landesinnere

Über die Ursachen der Flut sind Experten mitunter unterschiedlicher Auffassungen. So ist auch von einem Tsunami infolge eines Seebebens die Rede. Andere Fachleute halten eine so zerstörerische Flutwelle wegen der bescheidenen Tiefe und des daraus resultierenden geringen Wasservolumens der Ostsee aber für eher unwahrscheinlich. Über die Gewalt der Wassermassen aber besteht kein Zweifel.

So wurde bei Erdbohrungen 1300 Meter landeinwärts von Rügenwalde eine Schicht Ostseesand gefunden, die ihren Ursprung in den Überschwemmungen hat. In den Flutannalen findet die Existenz der für Pommern ungewöhnlichen, weil auf polygonalem Grundriss errichteten Gertrudkirche übrigens erstmals schriftliche Erwähnung.

Das schon damals wegen der fruchtbaren Böden des Hinterlandes und der Vollmitgliedschaft in der Hanse wohlhabende Rügenwalde brauchte viele Jahre, um sich von der Katastrophe zu erholen. 1515 wird die Stadt in den „Bau- und Kunstdenkmälern der Provinz Pommern“ als „sehr in Verdarf gekommen“ beschrieben. Der Chronist Thomas Kantzow charakterisiert Rügenwalde 1540 jedoch schon wieder als eine „ziemliche Stadt mit vielen steinernen Häusern“. Obwohl Sturmfluten die Küste auch später immer wieder heimsuchten, verlor Rügenwalde nie seinen Rang als Zentrum der Nahrungsgüterwirtschaft und des Handels. So rühmte man die Rügenwalder Spickgans in ganz Deutschland. Dem Pommerschen Hausbuch von 1904 zufolge versandten die Schlachtereien der Stadt jeden Herbst mehr als 80.000 geräucherte Gänsebrüste. Ähnlich beliebt ist bis zum heutigen Tag die Rügenwalder Wurst.

Wer die im Zweiten Weltkrieg kaum beschädigte Stadt besucht, findet ein restauriertes Zentrum vor. Im Hof des Pommernschlosses erinnert ein Denkmal an den bedeutenden Regenten Herzog Erich, der ursprünglich Bogislaw hieß. Der Markt mit Marienkirche, in der Erich begraben wurde, das Rathaus sowie Boulevard, Wipperpromenade und Restaurants laden zum Verweilen im beschaulichen, 15.000 Einwohner zählenden Städtchen ein.


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Kommentare

Siegfried Hermann am 07.10.21, 09:34 Uhr

Die PAZ erinnert uns immer wieder daran, dass es VOR Autos und Industrialisierung schon CO2-Klimaveränderungen gab.

Wenn da Kutter "meterweit" aufs Land geschleudert worden sind, muss das schon wirklich heftig gewesen sein. Von ein bisschen mehr Regen kommt datt nich. Selbst ein Orkan schafft das nur in Hurricane-Form, die bei uns praktisch ausgeschlossen sind.
Warum das Planschbecken Ostsee dermaßen mächtige Wellen entwickeln kann wäre schon eine Studie wert.... für die Zukunft.

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