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Interview

„Du bist eine Granate“

Die russlanddeutsche Chansonsängerin Helena Goldt spricht über ihre Herkunft, die Karriere, ihr Repertoire und weitere Ziele

15.08.2020

Im Gespräch mit Helena Goldt

Helena Goldt hat bereits in einigen großen Häusern auf der Bühne gestanden. Ihr Repertoire ist so vielseitig, dass es in keine Schublade passt. Im Folgenden stellen wir die Sängerin vor, die auch schon bei Vertriebenentreffen und in Königsberg aufgetreten ist.

Frau Goldt, Sie kommen ursprünglich aus Kasachstan, wo Sie die ersten Jahre Ihres Lebens verbracht haben. Inwieweit hat Sie das geprägt?
Nach Deutschland zu ziehen mit sechs Jahren war ein echtes Abenteuer. Das Aufwachsen in zwei Kulturen (die nicht gegensätzlicher sein könnten) prägte auch mein Verständnis von Freiheit, Weiblichkeit, Emanzipation sowie die politische Haltung. In Deutschland lernte ich meine Meinung zu äußern. Ich habe in frühen Jahren erfahren, was Verlust heißt, sich fremd und nicht verstanden zu fühlen. Aber das hat mich wiederum sensibel gemacht für mein Umfeld.
Wir sind in den 90er Jahren in eine katholische Kleinstadt im hohenlohischen Baden-Württemberg gezogen. Die Großeltern waren froh, endlich wieder Deutsche sein zu dürfen, und die Eltern mussten ironischerweise das Schicksal der Großeltern nacherleben: Sie kämpften mit ihrem starken russischen Akzent und anderen sowjetisch geprägten Gepflogenheiten. Dieser von beiden, Eltern und Großeltern, empfundene Schmerz des Heimatverlustes, der Verunsicherung im Allgemeinen, denn die Sowjetunion ist zerfallen, das ganze Geld war plötzlich nichts mehr wert, das sowjetische Kasachstan wurde plötzlich kasachisch und meiner Familie fremd, das ist auch Teil meines Lebens.
Meine Kindheit war eine Oper. Ein ständiger Wechsel zwischen Dur und Moll. Die Liebe zum Essen, Singen, Klavierspielen, Filmeschauen und Sport gehörten zum Alltag. Das Sinnlich-Musische hatte einen hohen Stellenwert und gab meinen Eltern die Hoffnung auf einen möglichen schnellen „Aufstieg“. Ich war talentiert im Zeichnen und Singen, da hieß es dann schnell: Du machst uns berühmt!

Sie haben eine klassische Gesangsausbildung. Was hat Sie dazu bewogen, Ihren Schwerpunkt auf Musik/Chansons und Schlager der 20er Jahre zu legen?
Ich wollte die Kunst wirklich leben, intuitiv, bewusst, wild und frei. So sehr ich sie liebe, ich fühlte mich in der Klassik in meinen Möglichkeiten, mich auszudrücken, eingeschränkt, sowohl stimmlich als auch kreativ. Ich wollte die verschiedensten Facetten meiner Stimme spüren und gleichzeitig etwas erschaffen. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der anderen unbedingt eine eigene Sicht auf die Welt zeigen möchte. Ich finde meine Meinung nicht so wichtig. Es sei denn, ich merke, ich ziehe Menschen mit meiner Art an. Ich glaube, ich kann nicht anders, als ich selbst zu sein, und irgendwie passe ich damit in kein Raster. Deshalb musste ich mir eines kreieren. Die wilden 20er Jahre als Ausgangspunkt passen perfekt. Die Gratwanderung, der Tanz auf dem Vulkan, diese Spannung, die Leidenschaft, das zieht auch mich an.
Als das deutsche Kaiserreich durch die Weimarer Republik abgelöst wurde, empfanden viele den Regimewechsel als aufgesprengtes Korsett. Berlin in den Zeiten der neuen Freiheit erfand sich neu und wurde zur tosenden Weltstadt. Und ist es heute nicht auch ein wenig so? „Ich mach' keine Witze, Flackersterne, kurze Blitze, so das Leben flitzeflitze, sprech zu dir aus voller Hitze: Einmal Bum, Leben rum, kleiner Mensch weiß nicht warum ...“, heißt es in einem meiner Lieder. „Du bist eine Granate“, das beschreibt Berlin von damals und heute ganz gut, wie ich finde. Meine Lieder lehnen sich teilweise an die 20er Jahre an, aber ich höre genauso gern den alten Schlager und Chansons bis in die 70er Jahre hinein aus Europa, Russland und sogar aus dem Orient. Ich versuche in meiner Musik, die 20er Jahre neu zu denken. Man kann schon sagen, dass ich mit meiner Musik im Chanson oder Schlager der 20er bis 70er anknüpfe.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie – ähnlich wie Helene Fischer den Schlager populär gemacht hat – das Chanson wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken möchten. Wie sehen Sie die Chancen, dass Sie Erfolg damit haben?
Ich denke, während Helene Fischer den Schlager mit besonderem Können und Anmut wieder salonfähig gemacht hat, sehe ich die Herausforderung im Genre Chanson, ihm durch einen aktuellen thematischen Bezug, durch Leichtigkeit und eine existenzielle emotionale Erfahrung neue Brisanz zu verleihen, um es einem größeren Publikum schmackhaft zu machen. Aufgrund der vielen Brüche in meiner Biografie bringe ich auch als junger Mensch die emotionale Tiefe und Reife mit, um damit glaubhaft zu sein. Und ich habe eine Vorliebe für den Glamour und die Eleganz der 20er bis 50er Jahre auf der Bühne. Darum handelt es sich in meinen Liedern: Ja zum Leben zu sagen, Hingabe zu spüren, mit allem, was kommt, weil wir nur ein Leben haben.

Bei Ihren Auftritten wechseln Sie nicht nur häufig zwischen den Genres Revue-, Chanson- oder Schlagersängerin, Sie schlüpfen dabei auch immer wieder in die Rolle verschiedener Frauentypen. Steckt in Ihnen auch eine Schauspielerin?
Eigentlich kann ich nur mich selbst spielen. Aber ich machte mit 14 Jahren eine Selbsterkenntnis. Ich war damals wie wohl jeder Teenie auf der Sinnsuche und eher im Widerstand gegen meinen eigenen Körper. Ich wollte sogar tatsächlich keine Frau werden. Denn das hatte so etwas Verwundbares. Im Verständnis meiner Mutter war damals auch eine Frau keine ganze Frau ohne einen Mann. Ganz zu schweigen ohne ein Kind.
Mit männlich assoziierte ich „sein eigenes Ding zu machen, etwas zu erschaffen“ und mit einer Frau „zu jemandem zu gehören“. Ich war mir sicher, ich wäre ein viel besserer Junge und so beschloss ich: Wenn ich schon kein Junge sein kann, dann werde ich auch nicht erwachsen. Ich war schon ein bisschen verzweifelt und schmollte. Dann erblickte ich eines Abends im Spiegel eine Frau, die um die 50 war, sie strahlte so viel weise Zuversicht aus, sie wirkte stark und ihre Augen blitzten mich geheimnisvoll lächelnd an. Da wusste ich, ich werde ein spannendes Leben führen. Diese Frau war niemand anderes als ich selbst, nur älter. Mein (mögliches) späteres Ich sprach zu mir. Also fing ich an, Biografien zu lesen über starke Frauen, die die Welt bewegten und mich anregten: leidenschaftliche Lebenskünstlerinnen wie die mexikanische fantastische Malerin Frida Kahlo oder die französisch-amerikanische Schriftstellerin Anais Nin. Sie alle waren Anfang des 20. Jahrhunderts ihrer Zeit voraus, indem sie etwas wagten, das sonst nur Männer taten.

Sie sind im vergangenen Jahr mit dem „Kaliningrader Sinfonieorchester“ des Dirigenten Arkadij Feldman aufgetreten und arbeiten mit dem Königsberger Konstantin Belonogow zusammen. Welche Verbindung haben Sie zu Ostpreußen?
Zum Einen gibt es den Bezug über Vorfahren mütterlicherseits, zum Anderen aktuell über die Musik, die mich mit der Stadt Königsberg verbindet. Das Staatliche Sinfonieorchester unter der Leitung von Arkadij Feldman feierte 2016 das Geburtsjubiläum des Komponisten Werner Richard Heymann, der 1896 in Königsberg geboren wurde. Er arbeitete für die UFA als Filmkomponist, schrieb Operettenhits und später auch Musik für Hollywood, nachdem er als Jude vor dem Nazi-Regime dorthin ins Exil geflüchtet war. „Das gibt's nur einmal“, „Irgendwo auf der Welt“, „Ein Freund, ein guter Freund“ oder „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ sind Melodien, bei denen jeder mitsingen möchte.
Das deutsche Generalkonsulat in Kaliningrad beauftragte den Pianisten und Arrangeur des dort ansässigen Sinfonieorchesters Konstantin Belonogow, neue Arrangements für Heymanns Lieder für das Orchester zu schreiben. Die einzige Tochter Heymanns, Elisabeth Trautwein-Heymann, wurde eingeladen, und sie kam damals zum ersten Mal in die Heimatstadt ihres Vaters. Und ich durfte die Lieder als Solistin interpretieren. In dem Moment war mir klar: Ich bin nicht nur Sängerin, sondern auch eine Botschafterin, ich leiste Friedensarbeit. Bei dem Lied „Ein Freund, ein guter Freund“ sang ich im Duett mit einem deutschen Tenor, ich sang eine russische Strophe, das war schon sehr symbolisch und berührend für mich. Seit diesem Zeitpunkt sehe ich mich als Kulturbotschafterin der Russlanddeutschen. Wir sind schon auch ein Stück weit Heimatlose, denn alle – immerhin etwa 200 Jahre alten – deutschen Siedlungen in Russland, die einst autonome deutsche Wolgarepublik, wurden aufgelöst und zerschlagen.
Was uns wieder ein Heimatgefühl geben kann, ist die Kultur, die eine Verbindung aus deutschem mit dem russischen und postsowjetischen Kulturgut ist. Ich bin Zuhause im Brückenschlagen, quasi unterwegs zwischen mehreren, wenn auch gegensätzlichen Kulturen. Inzwischen gab es weitere historisch bedingte musikalische Events. Ich durfte die Lieder von Anna German mit dem Orchester interpretieren. Sie war ein großer Star in den 60/70er Jahren und meine Eltern sangen ihre Lieder und verliebten sich ineinander. Ich, die ich inzwischen mehr deutsch als russisch bin, mit einem starken deutschen Akzent, sang also ein gänzlich russisches Programm vor einem 1000 Kopf großen Publikum im Dramentheater Kaliningrads. Ich wurde warmherzig und feierlich aufgenommen. Wir wiederholten das Programm im Königsberger Dom, in der Saratower Philharmonie, sprich im Herzen der einstigen Wolgarepublik, und sogar in Düsseldorf. Konstantin Belonogow hat bereits einige Male für mich Musik arrangiert. Nicht zuletzt trug er einige Arrangements zu meiner CD-Produktion „Gefährlich nah“ bei. Das Album habe ich im Sommer 2019 in Rom und Berlin mit kleinem Salonorchester produziert. Musikalischer Leiter war der Pianist Ludovico Fulci, der lange Jahre die internationalen Orchestertourneen von Ennio Morricone begleitet hat. Meine CD „Gefährlich nah“ kann man überall streamen, man findet mich auch recht aktiv auf Instagram (helena.goldt) und Facebook.

Aufgrund der Corona-Krise mussten Ihre geplanten Konzerte verschoben werden. Wie haben Sie die Zeit genutzt? Wie sehen Ihre Pläne für neue Projekte aus. Bleiben Sie Ihrem Thema „20er Jahre“ noch eine Weile treu?
Mein CD-Release- und Bühnenprogramm im Duo mit dem Pianisten Ludovico Fulci „Leben.Liebe.Leidenschaft“, das in einer Revue von den spannenden Frauen erzählt, wird am 15.8. in Berlin-Lübars (Open-Air), am 3.10. im Zeppelinheim, Neu-Isenburg und 28.11. im B.Neumann Würzburg neben der Residenz aufgeführt. Weitere Termine folgen, abhängig vom aktuellen Stand der gesetzlichen Corona-Maßnahmen. Außerdem habe ich angefangen, an neuen Liedern zu schreiben, und hoffe, dass ein Hit dabei ist! Eine Zusammenarbeit mit The Capital Dance Orchestra hat in der Zwischenzeit begonnen. Das Orchester hat Größen wie Nina Hagen, Daniel Hope, Barbara Schöneberger, Bodo Wartke begleitet. Im September und Oktober 2020 kann man mich in WET, einer Variétéproduktion des GOP-Theaters in Essen, als Solistin erleben. Ich stelle eine singende „Diva“ in der Badewanne dar, inmitten einer Truppe von Akrobaten, Tänzern und Zirkusartisten. Und ich spiele eine Rolle in einem Buch, das am 15. September auf den Markt kommt: „Der innere Stammtisch“ von Ijoma Mangold, einem der bedeutendsten deutschen Literaturkritiker unserer Zeit.
Ich habe in der Corona-Zeit wie so viele Menschen die Zeit damit verbracht, nach innen zu kehren und mich zu fragen, was mir wichtig ist. Ich habe die Zeit bisher sehr schöpferisch genutzt, und nun freue ich mich umso mehr, bald wieder auf der Bühne zu stehen und von dort aus mit meiner Musik den Menschen „gefährlich nah“ zu kommen.

Das Interview führte Manuela Rosenthal-Kappi

Infos unter „www.helenagoldt.de


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