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Christian Dürr bringt sich fast ungewollt bei der liberalen Resterampe in Stellung
Am Abend der Bundestagswahl, als die FDP zur Splitterpartei wurde, war Christian Dürr der Einzige, der noch die Stellung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus hielt. Abgeschmiert auf nur noch 4,3 Prozent bei der Bundestagswahl, demontiert nur eine Woche später mit 2,3 Prozent bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg. Ausgerechnet dort, in der liberalen Elbmetropole mit ihren vielen Selbstständigen. Selbst die linksliberale Splittergruppe Volt konnten mehr Wähler begeistern. Die wenigen Parteifreunde, die sich in der Berliner Parteizentrale versammelten, waren nach den ersten Hochrechnungen recht schnell nach Hause gegangen, die Bundesprominenz gar nicht erst erschienen. Die Einordnung blieb dem Vorsitzenden der abgewählten Bundestagsfraktion vorbehalten.
Nicht wenige Journalisten wollen darin ein Zeichen gesehen haben. In der arg zerrupften FDP tobt fortan ein Stellungskrieg. Parteichef Christian Lindner übernahm die Gesamtverantwortung für das Debakel und verkündete das Ende seiner politischen Laufbahn. Er gab sich nicht einmal mehr die Mühe, den Übergang zu moderieren. Er sei jetzt Privatperson, sagte er schon während seines Auftritts vor der Bundespressekonferenz am Tag nach der Bundestagswahl. Danach entschwand er in den Urlaub und überließ seinen potentiellen Nachfolgern das Feld – oder besser gesagt den Scherbenhaufen.
Das Personalkarussell dreht sich
Urgestein Wolfgang Kubicki verkündete ebenfalls seinen Rückzug, machte nicht einmal 24 Stunden später aber eine Rolle rückwärts. Das dürfte damit zusammengehangen haben, dass die linksliberale EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann auch mit einer Kandidatur kokettierte. Für die Vertreter des libertären und des rechtsliberalen Parteiflügels ist die Frau mit dem rhetorisch forschen Mundwerk aber ein rotes Tuch. Doch sie ist mit einem Mandat abgesichert.
In der FDP war vielmehr seit Jahren damit gerechnet worden, Lindner würde irgendwann den Stab an den stellvertretenden Parteichef Johannes Vogel aus seinem nordrhein-westfälischen Landesverband weitergeben. Doch das Verhältnis der beiden hatte sich zuletzt deutlich abgekühlt. Lindner hatte 2020 die parteiintern beliebte Linda Teuteberg als Generalssekretärin durch Volker Wissing ersetzt und Vogel, der eigene Ambitionen hatte, dabei eiskalt übergangen.
Nach dem Platzen der Ampel-Koalition stand Vogel im Verdacht, Inhalte des sogenannten D-Day-Papiers an die Medien durchgestochen zu haben. „Der wird hier gar nichts“, soll Kubicki in einer Sitzung des Bundesvorstands in Richtung Vogel getobt haben. Der beeilte sich am Wahlabend zu versichern, er sehe seine berufliche Zukunft nicht mehr in der Politik. Auch Konstantin Kuhle, Landeschef in Niedersachsen und in internen Kreisen als Vogels Laufbursche verspottet, gab seinen Kandidatur-Verzicht schon bekannt, bevor er überhaupt gefragt wurde. Doch schnell wurde auch klar, dass eine Kampfkandidatur zwischen „MASZ“ und Kubicki die Partei zerlegen würde. Der Schleswig-Holsteiner genießt an der Basis Kultstatus, ist auf dem linken Flügel aber ebenso verhasst wie Strack-Zimmermann bei den Rechten. Was also tun?
„Es müssen die Leute ran, die ein Mandat haben“, forderte Vogel. Doch davon gibt es nicht mehr so viele. Der Landesvorsitzende von Baden-Württemberg, Hans-Ulrich Rülke, wäre einer gewesen, auf den sich alle hätten einigen können. Doch der hat intern schnell abgewunken. Im kommenden Jahr kämpft er um den Wiedereinzug in den Landtag. 2021 kamen die Liberalen in ihrer Hochburg auf 10,5 Prozent. Die Demoskopen sahen sie zuletzt eher unter der Fünfprozenthürde. Bei den Landtagswahlen im Frühjahr im Ländle und in Rheinland-Pfalz geht es endgültig ums Überleben. Während die Strukturen rund um die Stuttgarter Fraktion stabil sind, brodelt es in Mainz. Der Parteiaustritt Wissings hat die Landespartei hart getroffen, zudem ist Justizminister Herbert Mertin, ein Vermittler zwischen den Linien, kürzlich verstorben. Die amtierende Landesvorsitzende und Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt ist hochumstritten. Kurzzeitig brachte sich der NRW-Fraktionschef Henning Höne ins Spiel. Doch der 37-Jährige wurde gewogen und für zu leicht befunden.
Politischer Restposten-Verwalter
So richteten sich alle Augen plötzlich auf Fraktionschef Dürr. Der gilt zwar als Lindner-Mann, ist aber keiner, der polarisiert. Der Niedersachse ist mit seinen 47 Jahren im besten Alter, kann auf eine bisher beachtliche politische Karriere blicken. Bereits 2003 wurde er in den Landtag gewählt, wechselte 2017 dann nach Berlin. Der Wirtschaftswissenschaftler hat nur in der Politik gearbeitet, das macht für ihn das Parteiamt reizvoll. Erst einmal kassiert er ein ordentliches Übergangsgeld, danach sollen Sponsoren dafür sorgen, dass der künftige Parteichef hauptamtlich tätig sein kann. Dafür muss die Satzung geändert werden, doch eine Mehrheit dafür zeichnet sich ab.
Und dann stellt sich obendrein die Frage, wie es mit der gesamten Partei überhaupt weitergeht. Dürr, formal noch politischer Insolvenzverwalter in Berlin, ist in diesen Tagen derjenige, der für die FDP spricht. Als sich Union und SPD verdächtig schnell auf ein milliardenschweres Sondervermögen zur Aufrüstung verständigten, hatte Dürr, schon ganz im Stile eines Parteichefs, die passenden Sprüche parat: „Die Zeit, in der man die FDP im Bundestag vermisst, wird schneller kommen, als manchen lieb ist.“ Er könnte sogar Recht behalten.