Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der NordStream-Komplex bewegt noch immer die Gemüter. Während in den Medien vor allem über die von Deutschland beantragte Auslieferung zweier in Polen und Italien festsitzender Hauptverdächtiger für die Sprengung der Erdgasleitungen vor drei Jahren debattiert wird, sagte Altbundeskanzler Schröder dieser Tage vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern aus.
Worüber indes kaum gesprochen wird, ist die Zukunft der auf dem Grund der Ostsee ruhenden Pipelines NordStream 1 und 2. Dabei war die Lieferung russischen Erdgases bis zum Ausbruch des Ukrainekriegs ein wesentlicher Baustein günstiger deutscher Energieversorgung. Und da sich die grüne Energiewende immer mehr als Desaster für die deutsche Volkswirtschaft erweist (siehe hierzu die Seite 3 der aktuellen Ausgabe), wird früher oder später auch die Frage auf der Tagesordnung stehen, ob wieder russisches Gas durch die NordStream-Röhren fließen soll – und wer gegebenenfalls das Projekt fortsetzt.
Solange der Ukrainekrieg dauert, ist freilich nicht davon auszugehen, dass die EU-Sanktionen gegen Russland gelockert werden, womit auch die Wiederinbetriebnahme von NordStream nicht auf der Tagesordnung steht. Gleichwohl gebietet es der zunehmende Energiebedarf moderner Volkswirtschaften, alle möglichen, auch potentiellen Ressourcen für eine stabile Versorgung in Erwägung zu ziehen. Und russisches Erdgas war seit den siebziger Jahren über zahlreiche politische Krisen hinweg ein halbes Jahrhundert lang eine stabile Energiequelle für Deutschland.
Hintergründe des Konflikts
Zur Geschichte der Nord-Stream-Pipelines gehört allerdings, dass diese nie unumstritten waren. Weshalb bei jeder Überlegung über die Zukunft auch etwaige Fehler der Vergangenheit aufgearbeitet werden sollten. Die in den 1990er Jahren entwickelte Kernidee des Projekts war, eine direkte und sichere Versorgung Deutschlands und Westeuropas mit russischem Erdgas zu gewährleisten, indem die bisherigen Transitländer wie die Ukraine, Polen und Weißrussland umgangen werden. Dadurch sollten sowohl Konflikte um Transitgebühren als auch politische Abhängigkeiten vermieden werden, die in der Vergangenheit wiederholt zu Lieferunterbrechungen geführt hatten.
Die Planung begann in den späten 1990er Jahren. 1997 unterzeichneten der russische Konzern Gazprom und das finnische Unternehmen Neste (später Fortum) eine Machbarkeitsstudie für eine Pipeline durch die Ostsee. Im Jahr 2000 kam die deutsche Ruhrgas AG (heute Teil von E.ON) hinzu. Als Betreiberin des Projekts wurde 2005 die Nord Stream AG gegründet, an der neben Gazprom (mit einem Anteil von 51 Prozent), auch die BASF-Tochter Wintershall, E.ON, die niederländische Gasunie und das französische Unternehmen Engie beteiligt waren. Die später errichtete Erweiterungspipeline NordStream 2 wurde dann von Gazprom allein betrieben, jedoch von E.ON und Engie sowie Shell und dem österreichischen Konzern OMV mitfinanziert.
Doch obwohl das Projekt aus Sicht der Betreiber stets ein ökonomisches war und allein wirtschaftlichen Aspekten folgte, wurde es schnell zum Gegenstand geopolitischer Auseinandersetzungen. So weckte NordStream bei den umgangenen Polen und Ukrainern nicht nur Sorgen vor Einnahmeverlusten, sondern auch alte Ängste vor einer Umklammerung durch Russland und Deutschland. Mit dem Argument einer möglichen deutsch-russischen Allianz gelang es den Kritikern auch, die USA für eine ablehnende Haltung zu gewinnen. Unabhängig von Parteizugehörigkeiten interpretierten die Vereinigten Staaten unter den Präsidenten Obama, Trump und Biden NordStream als eine Bedrohung für die europäische Energiesicherheit und als Mittel russischer Einflussnahme in Europa. 2016 taten neun EU-Staaten in einem Brief an den damaligen EU-Kommissionspräsidenten Juncker ihre Ablehnung kund. Doch trotz aller Bedenken und teilweise auch offenen Drohungen setzten die Betreiber das Projekt fort.
Am 7. Februar 2022 erklärte dann US-Präsident Biden angesichts des russischen Aufmarsches an der ukrainischen Grenze bei einem Treffen mit Bundeskanzler Scholz in Washington: „If Russia invades – that means tanks or troops crossing the border of Ukraine again – then there will be no longer a NordStream 2. We will bring an end to it.“ Am 22. Februar, nach Russlands Anerkennung der Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk und somit noch vor der russischen Invasion der Ukraine, stoppte Scholz dann die noch ausstehende Zertifizierung von NordStream 2.
Mit der Zerstörung von drei von insgesamt vier Röhren und der Beschädigung der vierten Röhre am 26. September 2022 war nicht nur das Projekt NordStream endgültig an einem Nullpunkt angekommen. Vielmehr zeigten die Reaktionen darauf einmal mehr die unterschiedlichen Interessenlagen. Während die Bundesregierung die Sabotage als Angriff auf die kritische Infrastruktur Deutschlands verurteilte, zeigten Politiker in Polen und der Ukraine offen ihre Schadenfreude. Und während deutsche Behörden in der Folgezeit ein ukrainisches Militärkommando als Tatverdächtige ermittelten und Haftbefehle erließen, verhafteten polnische Ermittler daraufhin zwar einen in Polen lebenden Hauptverdächtigen, doch erklärte Premierminister Tusk unumwunden, dass eine Auslieferung des Ukrainers „nicht im polnischen Interesse“ liege, da der Sabotageakt „heroisch“ gegen Russland gerichtet gewesen sei.
Ein möglicher Ausweg
Die polnische Haltung ist zweifellos ein offener Affront gegenüber Deutschland, den sich die Bundesregierung – nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen guten Beziehungen zwischen beiden Ländern – nicht bieten lassen kann. Allerdings verfolgt Ministerpräsident Tusk die gleiche Linie wie alle Regierungen seines Landes seit den ersten NordStream-Plänen. Und es steht zu erwarten, dass auch seine Nachfolger – gleich welcher Couleur – bei der ablehnenden Haltung bleiben werden. Ähnliches gilt auch für die Ukraine und die USA, aber auch die baltischen Staaten. Unabhängig von der Entwicklung des Ukrainekriegs oder auch der politischen Verhältnisse in Moskau wird ein Fortbestand von NordStream nichts an den oben geschilderten Befürchtungen ändern. Somit wird auch künftig stets eine latente Gefahr bestehen, dass im Falle einer Wiederinbetriebnahme der Pipelines aus den Reihen der Kritikerstaaten ein abermaliger Sabotageakt erfolgt.
Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht einen Weg gibt, das ökonomisch sinnvolle Projekt NordStream nach dem Ende des Ukrainekriegs wieder fortzusetzen – und gleichzeitig die Bedenken drumherum zu zerstreuen. Eine Möglichkeit wäre, polnische, ukrainische oder auch US-Unternehmen als Partner ins Boot zu holen (ein amerikanischer Investor hat bereits sein Interesse an einer Übernahme der Erdgasröhren bekundet). Dann würden die Kritiker-Staaten – wie bei den bisherigen Pipelines „Jamal“ und „Druschba“ auch – an den NordStream-Erlösen beteiligt, und die Gefahr eines russisch-deutschen Sonderwegs wäre gebannt. Die bisherigen Betreiber wiederum bräuchten im Falle einer solchen Europäisierung weniger Ängste vor erneuter Sabotage zu haben. Zugleich hätten sie die Gewähr, dass beispielsweise die Ukraine Erdgasleitungen nicht mehr als Druckmittel für außenpolitische Zwecke einsetzen kann.
Nicht zuletzt bietet eine solche Idee die Chance, dass sich Russland vom Gegner wieder zu einem Partner der westlichen Länder entwickelt. Was für eine künftige europäische Friedensordnung eine allemal bessere Grundlage ist als das Zerwürfnis unserer Tage.