07.05.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Ins Amt gestolpert: Friedrich Merz nach dem ersten Wahlgang, in dem er die Mehrheit für die Wahl zum Bundeskanzler verfehlte
Bild: dpa Picture AllianceIns Amt gestolpert: Friedrich Merz nach dem ersten Wahlgang, in dem er die Mehrheit für die Wahl zum Bundeskanzler verfehlte

Politik

Ein Fehlstart als Warnung an die etablierten Parteien

Die holprige Wahl von Kanzler Merz ist Ausdruck einer bedrohlichen Dysfunktionalität des politischen Systems – für die es klare Ursachen gibt

René Nehring
07.05.2025

Die Blamage ist schon jetzt historisch. Erst im zweiten Wahlgang erreichte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz am Dienstag die erforderliche Mehrheit für die Wahl zum Bundeskanzler. Zuvor hatte er als erster Bewerber in der 75-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht im ersten Wahlgang die notwendige Anzahl an Stimmen erreicht. 

Über die Ursachen der Zustimmungsverweigerung wurde naturgemäß sowohl zwischen den beiden Wahlgängen als auch danach hektisch diskutiert. Schnell schossen Spekulationen darüber ins Kraut, wer die immerhin nicht wenigen Abweichler sein könnten, die Merz zunächst ihre Stimme versagten, und welche Motive sie bewegten. Eine Diskussion, die angesichts des Umstands, dass die Wahl geheim erfolgte, müßig war. 

Unabhängig davon offenbarte der Fehlstart einer schwarz-roten Koalition, dass sich hier politische Partner zu einer Zusammenarbeit verabredet haben, die kaum zueinander passen und dennoch zum wiederholten Male eine Notgemeinschaft bilden, um unser Land zu regieren. Weshalb es denn auch sinnvoll ist, diesen Aspekt genauer zu betrachten. 

Symptom einer tiefen Krise 

Im Laufe des Dienstags war viel von einer „Staatskrise“ die Rede – ein Begriff, der sicher zu hoch gegriffen ist, da die Mütter und Väter des Grundgesetzes durchaus einen zweiten und dritten Wahlgang für die Kanzlerwahl vorgesehen haben und sich die Ereignisse dieses denkwürdigen Tages somit vollständig im Rahmen der Verfassung bewegten. Gleichwohl erlebt die zweite deutsche Republik die Zuspitzung einer fundamentalen Krise ihres politischen Systems – eine Krise, die dazu führt, dass es auf nahezu allen Ebenen immer schwieriger wird, stabile Mehrheiten zur Regierungsbildung zu finden. Es ist eine Krise, die in den letzten rund zwei Jahrzehnten durch das Ignorieren des Willens weiter Teile der Bevölkerung zunächst im Verborgenen ausgelöst wurde, die sich dann 2013 durch das Aufkommen einer Protestpartei – der AfD – sichtbar manifestierte und anschließend durch das beharrliche Ausschließen jener Protestpartei kontinuierlich verschärfte. 

Schon seit Langem zeigt sich, zunächst auf Landesebene, dass durch die neue Konkurrenz die gewohnten Farbenspiele aus wahlweise schwarz-gelben oder rot-grünen Koalitionen nicht mehr möglich sind und die Bildung arbeitsfähiger Bündnisse zunehmend erschwert ist. So wurde die Große Koalition aus Union und SPD, die in den Jahrzehnten zuvor die Ausnahme war, zum Regelfall deutscher Politik. Versuche, diesem Zustand durch die Bildung von Dreier-Koalitionen unter gleichzeitiger Einbeziehung von FDP und Grünen zu entgehen, scheiterten 2017 noch während der Verhandlungen über eine Jamaikakoalition und 2024 durch den vorzeitigen Rauswurf der Liberalen aus der 2021 gebildeten Ampelkoalition. 

Nach der Bundestagswahl vom Februar dieses Jahres waren diese Bündnisse nicht einmal mehr theoretisch möglich, weil das jahrelange Agieren am Willen der Wähler vorbei dazu geführt hatte, dass die etablierten Kräfte entweder dramatisch an Zustimmung verloren hatten oder – wie die FDP – ganz aus dem Bundestag geflogen sind, die AfD hingegen ihr historisch bestes Ergebnis einfahren konnte. Womit allein eine Neuauflage der schwarz-roten Koalition (die schon lange niemand mehr „groß“ nennt) übrig blieb. 

Wozu diese Konstellation führte, musste vor allem die Union erfahren. Trotz sinkender Zustimmung der Wähler für die Parteien links der Mitte ließen sich CDU und CSU schon vor der Wahl von Grünen und SPD zu immer deutlicheren Absagen an jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD drängen – und gerieten so in eine immer größere Abhängigkeit von politischen Akteuren, die nicht nur in vielen inhaltlichen Fragen für eine völlig andere Programmatik stehen als die Union, sondern ihre Machthebel auch souverän zu nutzen wussten. 

Die gefangene Union 

Die volle Wirkmächtigkeit dieser Lage zeigte sich dann bei den Koalitionsverhandlungen, wo die Sozialdemokraten trotz ihres schlechtesten Ergebnisses seit der Reichstagswahl von 1887 eine Vereinbarung mit der Union erzielen konnten, die laut Eigenlob der Genossen zu rund siebzig Prozent ihre Handschrift trug. Und Merz, der noch im Wahlkampf skandiert hatte, dass die Herrschaft der „linken und grünen Spinner“ (O-Ton) vorbei sei, stand als Wortbrüchiger da, der für den Preis der Kanzlerschaft etliche Grundsätze seiner Partei über Bord geworfen hatte. 

Dass Merz all das Nachgeben gegenüber Parteien, die ihrerseits weit von einer eigenen Mehrheit entfernt sind, beinahe nichts genützt hätte, wirft von Beginn an einen tiefen Schatten auf seine Kanzlerschaft. Hinzu kommt, dass für das Ermöglichen einer zweiten Abstimmung noch am Dienstag die Geschäftsordnung des Bundestags geändert werden musste – und die Union einen Antrag hierzu zum Erreichen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit nicht nur mit SPD und Grünen, sondern auch mit der Linkspartei zur Abstimmung stellte. Womit sich, so die Kommentatoren des Senders „Welt“, CDU und CSU nunmehr auch in der Abhängigkeit von Linksaußen befinden. 

Auch wenn Merz' Wahl aus Sicht des Christdemokraten im zweiten Wahlgang noch einmal gutgegangen ist, so bleibt das grundsätzliche Problem doch bestehen: dass der Verlust großer Teile der Wählerschaft an eine Protestpartei zu einer nachhaltigen Dysfunktionalität unseres politischen Systems geführt hat. Wer diese Dysfunktionalität lösen will, muss entweder die verlorenen Wähler zurück gewinnen – oder jene Partei in das Spiel integrieren, der sich diese Wähler (laut aktuellen Umfragen immerhin rund ein Viertel) zugewandt haben. Ansonsten könnte es künftig selbst im zweiten und dritten Wahlgang schwer werden, die erforderliche Mehrheit für die Wahl eines Regierungschefs zu erreichen.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Kurt Scheuble am 07.05.25, 07:58 Uhr

Wo ist das Problem, stabile Mehrheiten zu finden? Die AFD, Fleisch aus dem Fleische einer CDU der 1980er-Jahre mit Gestalten wie Erwin Teufel, Kohl, Späth, Strauß oder Willy Wimmer, steht als potenzieller konservativer Partner für die heutige CDU zur Verfügung. Es ist die Fraktion, an der die Dichte fachlich hochkompetenter Mitglieder mit Abstand am höchsten ist ... im Vergleich mit allen anderen Bundestagsfraktionen. Diese Partei, die von Grundgesetzfeindlichkeit weiter entfernt ist als alle anderen heutigen selbsternannten "Demokraten der Mitte" aus CDU, CSU, FDP, SPD, Grünen, Linken (man denke nur an die grundgesetzfeindliche, menschenverachtende, durch keine Fakten begründbare Corona- und "Impf"Politik, die jeglichem Friedensgebot des Grundgesetzes Hohn sprechende, von Diplomatie befreite Kriegshetze, u.v.m.) gar nicht als gestaltende politische Kraft in Erwägung zu ziehen und sie stattdessen mit allen zur Verfügung stehenden Propagandaschleudern auf Steuerzahlers Kosten als "Nazi" "rechtsextremistisch" zu brandmarken, zeigt in welchem intellektuell unterirdischen, an Schwachsinn erinnernden Rausch sich die sogenannten "Etablierten" in diesem Land befinden.

Heinz-Gerd Schlagregen am 07.05.25, 06:46 Uhr

Zur Erinnerung der Linken an die korrekte politische Position der neuen CDU, musste Frau Merkel ins Plenum kommen. So wurde noch die eine oder andere Stimme von dort angeworben.

Peter Wendt am 07.05.25, 05:48 Uhr

Anscheinend plant Herr Merz mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Das ist grundsätzlich in Demokratien nicht ungewöhnlich aber auch brandgefährlich. Je schneller ein roter Faden in seiner Politik erkennbar wird und er es tatsächlich schafft zumindest einen Teil der dringend benötigten Reformen umzusetzen, umso länger wird er im Amt bleiben. Die Rolle des Bundeskanzlers muss zudem wieder gestärkt werden, der Kanzler muss deshalb auch öfter von seiner Richtungskompetenz Gebrauch machen und das Kabinett stärker in der gemeinsamen Disziplin halten. Schauen wir mal. Eigentlich kann es nur noch besser werden?

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS