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Die „Königsberger Straße“ wurde um ein Flüchtlingssiedlungshaus erweitert
Die Ganzteiltranslozierung ist abgeschlossen: Vom 27. bis 31. Januar ist ein 1955 erbautes Flüchtlingssiedlungshaus in einem aufwendigen Verfahren ins Freilichtmuseum am Kiekeberg gefahren worden. Für das Museum ist es besonders wertvoll, denn es ist weitgehend so erhalten, wie es vor über 60 Jahren erbaut worden ist. Jetzt wird das Gebäude am Kiekeberg restauriert, historisch gerecht eingerichtet und wohl im Frühjahr 2023 eröffnet.
Eröffnung im Jahr 2023
Das Gebäude steht in der „Königsberger Straße. Heimat in der jungen Bundesrepublik“, der neuen Baugruppe am Kiekeberg, die die Zeit von 1949 bis 1979 darstellt. Dazu baut das Museum fünf regionaltypische Gebäude mit entsprechender Einrichtung und aussagekräftigen Geschichten auf, legt Gärten und Straßen an. Ausstellungen zeigen politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen in Deutschland. Bewohnergeschichten und Einzelschicksale aus der Zeit illustrieren besonders eindringlich die individuellen Auswirkungen.
„Für uns ist das komplett erhaltene Siedlungshaus ein Glücksfall. Originalbaumaterial, -ausstattung, - einrichtung sind zum Großteil erhalten, mit den früheren Bewohnern werden intensive zeitgeschichtliche Forschungen durchgeführt“, sagt Museumsdirektor Stefan Zimmermann. „Die Eigentümerfamilie begrüßt es, dass ihr Haus gezeigt und auch ihre Familiengeschichte im Freilichtmuseum am Kiekeberg für kommende Generationen erzählt wird. Sie unterstützt uns mit privaten Dokumenten und Zeitzeugen-Interviews.“
Ehepaar aus Königsberg
Vor dem Hintergrund der Integration Geflüchteter und Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg ist besonders bezeichnend: Das Gebäude wurde von einem geflohenen Ehepaar aus Königsberg gebaut. Stefan Zimmermann: „Anhand der Aufbauleistung einer Familie können wir so die Integrationsleistung und den individuellen Beitrag der Flüchtlinge und Ausgebombten zum wirtschaftlichen Aufschwung verdeutlichen.“ Das Freilichtmuseum veranschaulicht mit dem kompakten Siedlungshaus, wie sich Flüchtlinge und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Heimat in West-Deutschland aufbauten. Die meisten der über zwölf Millionen Flüchtlinge, Vertriebene und Ausgebombten hatten ihren Besitz weitgehend verloren und waren zunächst notdürftig in Behelfsunterkünften, Zimmern und auch Ställen einquartiert. Nach der Währungsreform 1948 und insbesondere in den 1950er Jahren verbesserte sich ihre Situation: Diverse Gesetze unterstützten den Neuanfang, Wohnungsbau- und Siedlerprogramme halfen zu kostengünstigem Wohnraum. In dieser Zeit gründeten sich viele Selbsthilfe-Siedlervereine. Die nun überall entstehenden Siedlungen veränderten das Erscheinungsbild zahlreicher Orte und prägen es bis heute. Stefan Zimmermann erklärt: „Daher ist das Siedlungshaus ein ganz zentrales materielles Zeugnis der Architektur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte aus der Anfangsphase der Bundesrepublik.“
Drei für 30
In Tostedt im Landkreis Harburg, nur 30 Fahrkilometer vom Kiekeberg entfernt, stand das Flüchtlingssiedlungshaus – die reine Fahrtzeit zum Kiekeberg betrug letztlich drei Tage. Das Freilichtmuseum am Kiekeberg translozierte das Gebäude im Ganzen, lediglich die Dachspitze musste aufgrund der zu hohen Transporthöhe einzeln gefahren werden. Das ehemalige, alleinstehende Abort-Häuschen wurde vor Jahrzehnten abgerissen und wird am Kiekeberg rekonstruiert. Ebenfalls an den Kiekeberg geholt wird der Stall: Die Familie hielt zwei Schweine, Hühner und Kaninchen. Im Stallgebäude war auch die Sommerküche untergebracht. In ihr konnte der Ertrag des großen Nutzgartens direkt weiterverarbeitet werden. Stall, Garten und die Grundstücksgröße von 2400 Quadratmeter zeigen, dass die Flüchtlingssiedlungen mit dem Selbstversorger-Gedanken angelegt wurden.
„Königsberger Straße“
Mit dem Großprojekt „Königsberger Straße“ errichtet das Freilichtmuseum bis 2023 eine Baugruppe mit Gebäuden, die typisch für das Leben in der Nachkriegszeit sind und bis heute das Erscheinungsbild von Dörfern in ganz Deutschland prägen. Museumsdirektor Zimmermann erläutert: „Wir stellen dar, wie Einheimische, aber auch Neubürger die Aufbauzeit erlebten. Viele Menschen fanden eine neue Heimat in der jungen Bundesrepublik. Sie erarbeiteten sich ihren Lebensstandard und ihre Anerkennung hart. Schließlich brachten sie viele neue Impulse mit, die insbesondere auf dem Land einen Prozess der kulturellen und wirtschaftlichen Modernisierung anstießen.“ Zahlreiche Förderer unterstützen das einmalige Projekt „Königsberger Straße“.
Ihr Ziel ist es, die kulturellen Zeugen der unmittelbaren Nachkriegszeit für die Nachwelt zu erhalten und die Aufbauleistung darzustellen. Die „Königsberger Straße“ im Freilichtmuseum am Kiekeberg wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (Bund), das Land Niedersachsen, den Landkreis Harburg, den Förderfonds Hamburg/Niedersachsen der Metropolregion Hamburg, die Stiftung Niedersachsen, die Stiftung Hof Schlüter, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Stiftung der Sparkasse Harburg-Buxtehude, den Lüneburgischen Landschaftsverband, die Klosterkammer Hannover, die Niedersächsische Bingo- Umweltstiftung und den Förderverein des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Das Gesamtprojekt ist auf 6,14 Millionen Euro angelegt.