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Ein Plädoyer für den Wiederaufbau eines Symbolbaus ostpreußischer und preußischer Geschichte – der mit dem richtigen Konzept nicht zuletzt auch im Interesse Russlands und der heutigen Bewohner der Stadt läge
Nach Jahren theoretischer Debatten wird es nun ernst. Nachdem Mitte November der Gouverneur der Oblast Kaliningrad, Anton Alichanow, verkündete, dass das „Haus der Sowjets“ in Königsberg abgerissen werden soll (siehe PAZ 47/2020), steht die Frage nach der künftigen Bebauung der historischen Mitte der früheren ostpreußischen Haupt- und Residenzstadt auf der Tagesordnung. Den ersten Beitrag zu der nun zu erwartenden Debatte leistete Alichanow selbst, als er zusammen mit dem Abriss-Beschluss verkündete, dass „auf keinen Fall“ das Königsberger Stadtschloss wiederentstehen solle.
Damit stellte sich der Gouverneur gegen die bisherigen Pläne von Oblast- und Stadtverwaltung. Erst 2015 hatten die regionalen Behörden unter Führung des damaligen Gouverneurs Nikolaj Zukanow einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben, aus dem mit den Plänen des jungen Mailänder Architekten Anton Sagal ein Entwurf als Sieger hervorging, der historische und zeitgenössische Bauelemente verbinden sollte (siehe PAZ 2/2016). Die Mehrheit der Bewohner der Stadt hatte gar den Entwurf des Architekten Arthur Sarnitz favorisiert, der eine weitaus umfassendere Restaurierung der historischen Schlossbauten vorsah. Sarnitz war dafür immerhin mit dem ersten Preis in der Kategorie „Der schönste Traum“ ausgezeichnet worden.
Parallelen zu Berlin
Vieles an den Debatten um den Wiederaufbau des Königsberger Schlosses erinnert an die Wiederherstellung eines anderen Symbolbaus der preußischen Geschichte – das Berliner Schloss. Auch in der historischen Mitte der preußischen und deutschen Hauptstadt gab es nach dem Ende des Kommunismus Anfang der neunziger Jahre eine fragwürdige Hinterlassenschaft des real existierenden Sozialismus: den Palast der Republik. Auch hier war sich eine Mehrheit von Bürgern und Volksvertretern darin einig, dass der sozialistische Bau verschwinden sollte. Und auch hier verkündeten politische Entscheider schnell, dass auf keinen Fall das alte Schloss wiederentstehen solle.
Am Ende siegte in Berlin der entspannte Umgang mit der Geschichte über die Bedenken der Gegenwart. Im Juli 2002 stimmte der Deutsche Bundestag mit Zweidrittelmehrheit für einen Neubau mit den historischen Maßen und Fassaden des Schlosses. Nach weiteren Jahren der Erörterungen mitsamt einem Architektenwettbewerb wurde 2013 der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt. Ohne Corona wäre der fertige Bau in diesem Herbst der Öffentlichkeit übergeben worden.
Möglich wurde dieser weitestgehende Wiederaufbau des Berliner Schlosses nicht zuletzt auch, weil es der zeitgenössischen Architektur zu keinem Zeitpunkt gelungen war, einen Vorschlag zu unterbreiten, der es wert gewesen wäre, in die historische Mitte der Metropole hinein einen anderen Bau hineinzusetzen als denjenigen, der dort jahrhundertelang gestanden hatte.
Die richtige konzeptionelle Idee
Von den Erfahrungen Berlins ließe sich auch für Königsberg einiges lernen – allem voran, dass es klug ist, sich Zeit zu nehmen für eine ausgewogene Debatte, die keine Seite verprellt und versucht, möglichst viele Bürger mitzunehmen. Allerdings sollten sich auch hier diejenigen, die einen Wiederaufbau des Schlosses ablehnen, die Frage stellen, ob es überhaupt einen zeitgenössischen Entwurf geben kann, der der Geschichte dieses besonderen Ortes und dieser in ihrem Zentrum weitestgehend gesichtslosen Stadt gerecht werden kann? Wem würde ein postmoderner Solitär aus Glas und Beton nützen? Den Bürgern der Stadt (siehe oben) jedenfalls nicht.
Doch auch diejenigen, die für einen Wiederaufbau des Schlosses plädieren, sollten sich Gedanken machen und nicht nur über die Gestaltung der Fassaden reden, sondern auch und vor allem über die Inhalte eines Schlossneubaus. Auch in Berlin gelang der Durchbruch für das Schloss erst, als ein Kreis um Peter-Klaus Schuster, Horst Bredekamp, Klaus-Dieter Lehmann und Barbara Lux im Jahre 2001 die Idee eines „Humboldt-Forums“ präsentierte, das in den historischen Fassaden des Schlosses zu einem modernen Ort der Weltkulturen werden sollte.
Mehr noch als die zunächst vage konzeptionelle Idee überzeugte damals der Name „Humboldt“. Das Brüderpaar Wilhelm und Alexander von Humboldt – der eine Kultusminister und Reformer des Bildungswesens, der andere Weltenbummler und Erkunder ferner Länder – steht bis heute für beste preußische Traditionen wie ein aufgeklärtes Staatsverständnis und ein der Welt zugewandtes Denken. Nachdem der Name „Humboldt“ gefallen war, gab es kaum noch Widerstände gegen die historischen Schlossfassaden.
Einen solchen Namen, der die Geschichte der Stadt mit ihrer Gegenwart verbindet und der gleichermaßen den wiederaufgebauten historischen Fassaden einen inhaltlichen Sinn geben würde, bräuchte es auch für Königsberg/Kaliningrad.
Der Name Kant
Erfreulicherweise hat Königsberg einen solchen Namen, der gleichsam für beste preußische Traditionen steht und von den heutigen Bewohnern akzeptiert wird: Immanuel Kant. Der Königsberger Philosoph war einer der wichtigsten Denker der europäischen Aufklärung und wird von den Kaliningradern ebenso verehrt wie einst von den Königsbergern. Sein Grabmal an der Nordostecke des Königsberger Doms verhinderte zu Sowjetzeiten den Abriss des Gotteshauses und machte so dessen Wiederaufbau nach 1991 möglich. Nahezu täglich legen dort frisch vermählte Brautpaare Blumen nieder. Überhaupt ist der Dom ein gutes Beispiel dafür, wie die Wiedergewinnung eines prägenden Baus des alten Königsbergs der Stadt ein Stück historischer Identität zurückgeben kann, ohne dass sich das russische Kaliningrad davor fürchten muss.
Auch sonst ist die Erinnerung an Kant in der Stadt allgegenwärtig: Die Staatliche Universität Kaliningrad erhielt 2005 zunächst den Namen Russische Staatliche Immanuel-Kant-Universität und heißt seit 2012 Baltische Föderale Immanuel-Kant-Universität. Auf dem Paradeplatz steht fast schon wie selbstverständlich die von Christian Daniel Rauch geschaffene Kant-Statue, die – seit 1945 verschollen – 1992 auf Initiative Marion Gräfin Dönhoffs dort wieder aufgestellt wurde. Und der Kneiphof inmitten des Pregels wird von den Russen inzwischen „Ostrow Kanta“ („Kant-Insel“) genannt.
Könnte also der Name „Kant“ auch bei der Neubebauung der historischen Mitte des heutigen Kaliningrads behilflich sein – und Vorbehalte bei denjenigen Russen abbauen helfen, die gegen einen Wiederaufbau des Schlosses sind?
Eckpunkte des Konzepts
Freilich müsste auch ein „Kant-Forum“ nicht nur mit einem wohlklingenden Namen, sondern auch mit seinen Inhalten überzeugen. Anders als in Berlin bietet sich für Königsberg kein Haus der Weltkulturen an, sondern ein Ort der Erinnerung an eine einzigartige europäische Kulturlandschaft. Königsberg war nicht nur die Geburtsstadt Immanuel Kants, sondern auch Heimat zahlreicher weiterer aufgeklärter Geister wie Hannah Arendt, Johann Jacoby, Eduard von Simson oder Theodor von Schön. Die Präsentation dieser Tradition der Aufklärung könnte ein erstes großes Element für ein „Kant-Forum“ sein.
Ein weiterer Baustein ergäbe sich aus der geographischen Lage Königsbergs zwischen Deutschland und Russland sowie seiner historischen Brückenfunktion zwischen beiden Nationen. Zu den Russen, die mehrfach hier weilten, gehörte Zar Peter der Große. In Erinnerung an seine Aufenthalte wurde der größte Saal des Schlosses „Moskowitersaal“ genannt. Im Siebenjährigen Krieg residierte der russische Gouverneur während der Besetzung Ostpreußens im Unfriedtbau des Schlosses. 1807 kämpften Preußen und Russen in den Schlachten bei Preußisch Eylau und Friedland gemeinsam gegen die Truppen Napoleons. Und 1813 rief der preußische General Yorck von Wartenburg – nach vorheriger Unterzeichnung der Konvention von Tauroggen – in Königsberg die ostpreußischen Stände zur Erhebung an der Seite der Russen gegen Napoleon auf.
Allerdings steht Königsberg auch für die Schattenseiten in den russisch-deutschen Beziehungen. So war die ostpreußische Hauptstadt während des Nationalsozialismus ein Zentrum der „Ostforschung“, die den NS-Staat umfangreich bei der Entwicklung seines Lebensraum-Konzepts beriet. Im Oktober 1941 raubten deutsche Truppen das Bernsteinzimmer aus dem Petersburger Katharinenpalast und brachten es ins Königsberger Schloss, wo es ab November 1941 ausgestellt wurde. Mit dem Verlust des Bernsteinzimmers am Schluss des Krieges ging auch das alte Königsberg unter. Schon zuvor hatte die Rote Armee bei der Eroberung Ostpreußens grausame Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet.
Brücke zwischen den Nationen
Mit den Grenzverschiebungen am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Königsberg russisch. Neben der Stadt am Pregel, die 1946 in Kaliningrad umbenannt wurde, verschwanden auch andere große Namen der ostmitteleuropäischen Kultur- und Geistesgeschichte wie Riga, Lemberg oder Czernowitz. Manche von ihnen fanden nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ 1989/91 auf die „mentale Landkarte Europas“ zurück – Königsberg/Kaliningrad bislang nicht.
Ein „Kant-Forum“ in den historischen Fassaden des Königsberger Schlosses, das von den Höhen und Tiefen der Geschichte einer einzigartigen Kulturregion erzählt, wäre nicht nur ein einzigartiger Ort in der europäischen Museums- und Ausstellungslandschaft. Sondern auch ein Bau, mit dem die Stadt am Pregel wieder ein Stück näher in das Bewusstsein der Mittel- und Westeuropäer zurückkehren könnte. Eine solche Annäherung dürfte nicht zuletzt auch im Interesse Russlands und der heutigen Bewohner der Stadt liegen.