13.10.2025

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Ausdruck der Paranoia eines roten Diktators: Einer von 200.000 Bunkern aus der Zeit Enver Hodschas in Tirana
Bild: KaufmannAusdruck der Paranoia eines roten Diktators: Einer von 200.000 Bunkern aus der Zeit Enver Hodschas in Tirana

Albanien

Ein kleines Land der großen Widersprüche

Tirana strebt nach der Mitgliedschaft in der EU: Der Balkanstaat hat in der Tat einiges zu bieten, wirft aber auch Fragen auf nach Korruption, Kriminalität und einem verdächtigen Investitionsstau

Wolfgang Kaufmann
13.10.2025

Der Balkanstaat Albanien ist nur knapp so groß wie Brandenburg, kann aber dennoch auf eine streckenweise recht ruhmreiche Geschichte zurückblicken. So erhielt der Nationalheld Skanderbeg alias Gjergj Kastrioti wegen seiner Siege gegen die Osmanen von den Päpsten Calixtus III. und Pius II. die Ehrentitel „Vorkämpfer der Christentums“ und „Neuer Alexander“. Später versank das Land allerdings im Chaos, bis Ahmet Zogu sich zum König und damit einzigen muslimischen Monarchen in Europa erklärte.

Im Zweiten Weltkrieg versteckten die Albaner unzählige Juden – weniger als zehn davon fielen in die Hand der Nationalsozialisten. Dann wandelte sich Albanien unter Enver Hodscha zu einer grausam-bizarren roten Diktatur nach nordkoreanischem Muster. Der Besitz religiöser Bücher konnte im „ersten atheistischen Staat der Welt“ mit der Todesstrafe geahndet werden. Und wenn ein Albaner ins Ausland floh, musste seine Familie dafür drei Generationen lang Sippenhaft erleiden. Während der Hodscha-Zeit verkam Albanien zeitweise zum drittärmsten Land der Welt, in dem keine 2000 zivilen Autos fuhren. Das resultierte nicht zuletzt aus dem aufwendigen Bau von 200.000 Bunkern zur „Verteidigung“ gegen herbeihalluzinierte Feinde und dem Unterhalt einer Streitmacht von mehr als 300.000 Soldaten bei drei Millionen Einwohnern.

Im Anschluss an den Zusammenbruch des Kommunismus im Jahr 1990 sicherte sich die NATO die Militärbasen in dem strategisch günstig gelegenen Balkanstaat durch eine sukzessive, 1992 beginnende Einbindung in das Bündnis. Von besonderem Interesse waren und sind dabei die tief in den schützenden Fels getriebenen U-Boot-Bunker an der Adria sowie Militärflugplätze wie Berat-Kuçova. In Berat-Kuçova hat die NATO bislang schon 50 Millionen Euro investiert.

Laizistischer als deutsche Städte
Nachdem Albanien im April 2009 Vollmitglied der NATO wurde, reichte es seinen Beitrittsantrag beim Europäischen Rat ein. Dieser billigte die EU-Kandidatur im Juni 2014, womit Albanien offiziell als Bewerberland galt, wobei die Beitrittsverhandlungen dann aber erst am 19. Juli 2022 begannen. Die Mehrheit der Albaner begrüßt die Annäherung an die Europäische Union – und diese könnte ebenfalls von der Aufnahme des Landes profitieren.

Der bedeutsame Hafen von Durrës liegt am westlichen Ende des Paneuropäischen Verkehrskorridors, der die Adria mit dem Schwarzen Meer verbindet, und sollte keinesfalls unter die Kontrolle Chinas gelangen. Unternehmen der Volksrepublik sind schon zahlreich vor Ort präsent. Darüber hinaus besitzt Albanien etliche strategisch wichtige Bodenschätze wie Chrom, Kupfer, Erdgas, Nickel und Bauxit. Ebenso befindet sich das größte an Land gelegene europäische Erdölfeld, das von Patos-Marinz, in Albanien. Außerdem ist der Balkanstaat heute trotz seiner prekären Vergangenheit ein zuverlässiger Exporteur von Strom. Denn der kommt zu 97 Prozent aus grundlastfähigen Wasserkraftwerken statt aus Wind- und Solaranlagen.

Für Albanien spricht des Weiteren, dass es eine vergleichsweise junge, dynamische und zukunftsorientierte Bevölkerung besitzt. Das Durchschnittsalter liegt sieben Jahre unter dem EU-Mittel. Viele Menschen im Lande beherrschen mehrere Fremdsprachen – oftmals erlernt beim Dauerkonsum ausländischer Fernsehserien. So wurden gleich nach dem Sturz der Kommunisten Antennen aus leeren Coladosen gebastelt, um italienische Sender zu empfangen. Gleichzeitig ist der Beitrittskandidat ein Vorbild, was das entspannte Verhältnis zwischen den Religionen betrifft.

Zwar leben in Albanien neben Muslimen auch viele Christen und Atheisten, doch resultieren daraus keine nennenswerten Konflikte. Im Vergleich zu deutschen Metropolen wirken albanische Städte geradezu laizistisch. Im Straßenbild liegt das Verhältnis zwischen Miniröcken und islamischen Kopftüchern selbst am Tage des Freitagsgebets bei Hundert zu Eins. Albanien ist zudem der Hauptsitz des alevitischen Bektaschi-Ordens, der sonst überall auf der Welt von sunnitischen Moslems angefeindet wird.

Liegen lassen, bis Brüssel kommt
Andererseits gibt es auch schwerwiegende Gründe gegen einen EU-Beitritt. Die drei wichtigsten sind der auffällige Investitionsstau sowie Kriminalität und Korruption. In der Hoffnung, dass die EU später die Modernisierung der weitgehend maroden Infrastruktur finanziert, bleiben viele notwendigen Maßnahmen auf der Strecke. Wenn gebaut wird, dann vorrangig Hotels oder elegante Hochhäuser mit für Durchschnittsalbaner unerschwinglich teuren Wohnungen, wo oft Drogen- oder Schwarzgeld angelegt wird.

Welche Gewinne Drogenbanden erzielen können, zeigt das Beispiel Lazarat. Das Bergdorf war über Jahre das Zentrum der Cannabisproduktion in Albanien und erzielte jährliche Einnahmen von rund 4,5 Milliarden Euro, was dem Bruttoinlandsprodukt des Landes von 2002 entsprach. Es entzog sich lange Zeit jeder staatlichen Kontrolle und wehrte Polizeirazzien mit Maschinengewehren und Panzerfäusten ab. Die Korruption grassiert auf allen Ebenen der Gesellschaft bis hinauf in höchste Regierungskreise. Allerdings gilt Albanien nicht als das korrupteste Land Europas. Ungarn, Nordmazedonien, Serbien, die Ukraine, Weißrussland sowie Bosnien und Herzegowina rangieren im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International zum Teil deutlich weiter oben.

Im Fall eines EU-Beitrittes könnten auf viele Albaner schmerzhafte Veränderungen zukommen. Momentan ist das Land noch ein Steuer- und Abgabenparadies für Normalverdiener und Kleinunternehmer, das mittlerweile auch Einwanderer aus Italien und anderswo anlockt. Durchschnittseinkommen werden mit rund 6,5 Prozent besteuert, während die Sozialabgaben etwa elf Prozent ausmachen. Der Höchstsatz für die Einkommensteuer liegt bei 23 Prozent.

Gar keine Steuern zahlen Unternehmen mit Umsätzen unter 80.000 Euro. Nicht zuletzt deshalb nehmen die Albaner das Leben leicht, was sich beispielsweise darin äußert, dass ihr Land die weltweit höchste Zahl an Kaffeehäusern pro 100.000 Einwohner aufweist.


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