21.11.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Als von Rauchverbot in den Amtsstuben noch keine Rede war: Hansjörg Felmy als „Tatort“-Kommissar Haferkamp
Foto: IMAGO/United ArchivesAls von Rauchverbot in den Amtsstuben noch keine Rede war: Hansjörg Felmy als „Tatort“-Kommissar Haferkamp

Ein Kommissar mit gewissen Schwächen

Vor 50 Jahren ging Hansjörg Felmy als „Tatort“-Ermittler auf Sendung – Alle Haferkamp-Fälle jetzt als DVD auf einem Jubiläumspaket

Ansgar Lange
31.10.2024

Welcher legendäre „Tatort“-Kommissar ernährte sich hauptsächlich von Buletten, Altbier und anderen Spirituosen, kleidete sich korrekt mit Pullunder und Krawatte, hatte ein äußerst entspanntes Verhältnis zu seiner geschiedenen Frau und in dem stinkende Stumpen rauchenden Assistenten Willi Kreutzer (Willy Semmelrogge) einen ebenbürtigen Sparringspartner? Genau, der 1931 in Berlin als Sohn eines Berufsoffiziers und späteren Fliegergenerals geborene Hansjörg Felmy gab „seinem“ Kriminaloberkommissar Heinz Haferkamp ein unverwechselbares Profil.

Am 28. April 1974 wurde die erste Folge mit dem Titel „Acht Jahre später“ ausgestrahlt. Haferkamp und sein mit koboldhaftem Charme versehener Kollege Kreutzer sollten sich bis 1980 ein – ziemlich verrauchtes – Büro teilen. Am 16. November 1980 wurde dann die letzte Folge „Schönes Wochenende“ ausgestrahlt.

Zum 50. Jahrestag des ersten Haferkamp-Falls sind nun alle 20 Krimis als DVD in einer Jubiläums-Gesamtedition erschienen. Es ist eine gute Gelegenheit gerade für ältere Zuschauer, noch einmal viele schöne und spannende Stunden mit einem der beliebtesten Schauspieler der 1970er Jahre zu verbringen. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2008 war der Kriminaloberkommissar Haferkamp hinter dem ganz anders gelagerten, vulgären Horst Schimanski und dem tollen Duo Stoever (Manfred Krug) und Brockmöller (Charles Brauer) der drittbeliebteste aller bisherigen „Tatort“-Kommissare.

Eine Affäre mit der Ex-Frau
Dass die Haferkamp-Folgen fast durchgängig über ein hohes künstlerisches Niveau verfügen, liegt auch an exzellenten Drehbuchautoren wie Karl Heinz Willschrei („Graf Yoster gibt sich die Ehre“, „Ein Fall für zwei“, „Der Alte“, „Wolffs Revier“) oder Herbert Lichtenfeld („Schwarzwaldklinik“, „Der Landarzt“, „Unsere Hagenbecks“). Wolfgang Staudte, Hartmut Griesmayr, Hajo Gies und weitere Meister ihres Fachs führten Regie.

Warum kann man die mehrere Jahrzehnte alten Krimifolgen auch heute noch mit Genuss sehen? Das hängt vor allem mit der Hauptfigur zusammen. Auch wenn Heinz Haferkampf im Ruhrpott ermittelt, hat sein ganzes Auftreten doch etwas Preußisches. Felmy gab den „typischen“ deutschen Beamten, der nüchtern und sachlich, aber mit äußerster Beharrlichkeit ermittelte. Die Arbeit steht für den sentimentalen Melancholiker, der in seiner Junggesellenbude gern Jazzplatten hört, immer an erster Stelle. Daran ist auch seine Ehe mit seiner Ingrid, dargestellt von Karin Eickelbaum, gescheitert. Die beiden verstehen sich immer noch gut und unternehmen auch privat viel zusammen. Ja, man könnte fast sagen, dass sie noch eine Art Affäre miteinander haben. Doch letztlich ist ein Zusammenleben der beiden unmöglich, weil der bisweilen brummig auftretenden Haferkamp vor allem für seinen Beruf lebt und er dabei auch gern seine Ex-Frau für Ermittlungen einspannt – was ihr nicht behagt.

Beim Betrachten der Serie fühlt man sich in eine andere Zeit, ja sogar in ein anderes Land versetzt. Im Büro wird Kette geraucht und Alkohol getrunken. Veganismus ist noch ein echtes Fremdwort. Es ist herrlich anzuschauen, wie sich Haferkamp und Kreutzer die Frikadellen teilen. Und so erfahren wir einiges über seine privaten Schwächen, etwa über seine Ess- und Trinkgewohnheiten, seinen Umgang mit seiner Ex-Frau, seine Leidenschaft für den Jazz und dass er aufgehört hat, Romane zu lesen. Haferkamp ist ein gebrochener Ermittler, er lebt in Scheidung und hat keine Kinder. Er ist auch kein Superhirn, sondern eher ein beharrlicher, knochentrockener Analytiker. Action und Gewalt wird nur in kleinen Dosen präsentiert.

Doch sind alle 20 Folgen durchweg viel spannender als manche heutigen, durchideologisierten „Tatort“-Folgen. Es geht um spannende Kriminalfälle, aber vor allem auch um menschliche Schicksale. Als Zuschauer kann man sich mit dem Kommissar und auch mit vielen Akteuren identifizieren, ob sie nun einen Auftritt als Opfer oder Täter haben.

Ein Maigret in der Stadt Essen
Man kann sich Haferkamp in Ansätzen vielleicht als eine Art bundesrepublikanischen Kommissar Maigret vorstellen, der nicht in Paris, sondern in einer bundesrepublikanischen Großstadt ermittelt. Die Stadt Essen spielt eigentlich gar keine große Rolle. Die Folgen wurden zum Großteil in München gedreht. Gezeigt wurden aber sowohl Essens schöne Seiten wie der Baldeneysee, als auch die Tristesse der Arbeitersiedlungen. In den Haferkamp-Folgen spiegeln sich – exemplarisch an einer Ruhrgebietsmetropole – die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche der Bundesrepublik der 1970er Jahre. Während das Land in dieser Zeit von einem nüchternen Manager wie Helmut Schmidt regiert wurde, löste ein ziemlich desillusionierter Beamter seine Fälle im Fernsehen. Er verfolgte das Ziel, die Welt nach seinen Möglichkeiten wieder ein bisschen in Ordnung zu bringen.

Sein Nachfolger Horst Schimanski – dargestellt vom ebenfalls in Berlin geborenen Götz George – war von ganz anderem Schlag: aktionistisch, körperlich, laut. Im Vergleich dazu hat Felmy einen wesentlich realistischeren Kommissar gegeben, der trotzdem kein Langweiler ist und nicht vor Autoritäten kuscht. So gerät er ein ums andere Mal mit seinem Chef Karl Scheffner (Bernd Schäfer) aneinander, den er nicht so recht zu respektieren scheint. Haferkamp agiert hier aber nicht laut, sondern mit Kritik und Ironie. Er testet Grenzen und Regeln zwar aus, überschreitet sie aber nicht regelmäßig wie sein Nachfolger in der Feldjacke der US-Streitkräfte.

Auch im Privaten war Felmy, der einer Hugenottenfamilie entstammte und in Braunschweig aufwuchs, ein durchaus rebellischer Geist. Nach einem Streit mit einem Lehrer musste er das Gymnasium ohne Abschluss verlassen und machte zunächst eine Ausbildung zum Schlosser und Buchdrucker, bevor er mit Rollen in „Der Stern von Afrika“, „Wir Wunderkinder“, „Buddenbrooks“ oder „Und ewig singen die Wälder“ in den 1950er Jahren bundesrepublikanische Filmgeschichte schrieb. Er starb im Jahr 2007 nach einem langen Leiden an Osteoporose.

„Team Essen. 50 Jahre Kommissar Haferkamp“, Jubiläums-Gesamtedition auf DVD. Alle 20 Fälle: 1974–1980. Spieldauer: 1761 Minuten.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Kersti Wolnow am 01.11.24, 08:17 Uhr

Die Menschen waren vor 50 Jahren andere, und sicher auch die bRD, die ich damals nicht kannte.
Sie war noch nicht mutwillig von Politik und Medien zerrüttet worden wie das Buchstaben-Gebilde heute. Die Menschen hatten Bildung, hatten eine gewähltere Sprache und Stil und Geschmack bei allem, was sie taten.
So war dann auch die Filmherstellung. Der allgemeine Niedergang auch durch die Privatsender hat dazu geführt, daß wir gar keine Filme mehr sehen, viele Sendungen auch nicht, weil in allem ein Stück Volkserziehung steckt, die wir moralisch verabscheuen. Alles geht zum Häßlichen, Niederen, Widerlichen. Selbst in Tierreportagen werden nur Verfolgungs- und Freßszenen gezeigt. Was sind das nur für psychisch kranke Wesen in Medien und Politik? Einer müßte dem anderen in den Arm fallen, aber wie 2 Ganoven bei der Mafia arbeiten sie zusammen.

Peter Faethe am 31.10.24, 07:35 Uhr

Um nicht meine Brechreiz-Toleranz an der plattesten Volkspädagogik zu testen, verzichte ich schon seit Jahren auf den "Tatort".

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS