31.03.2025

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Gewähren spannende Einblicke in die Geschichte einer versunkenen Kulturmetropole: Die Akten der Rentkammer des Königsberger Schlosses
Foto: WagnerGewähren spannende Einblicke in die Geschichte einer versunkenen Kulturmetropole: Die Akten der Rentkammer des Königsberger Schlosses

Archivgut

Ein unerschöpflicher Quell

Die Ausgabenbücher der Königsberger Rentkammer zaubern das bunte Leben und die reiche Kultur Königsbergs ans Licht

Wulf D. Wagner
02.03.2025

Welch eine Farbenpracht, welch ein Menschen- und Kindergewimmel herrschte da in und rund um das Königsberger Schloss im 17. Jahrhundert. Lebte in den reich ausgestatteten Gemächern des Ostflügels die herzogliche Familie, Albrecht Friedrich und Maria Eleonore mit ihren noch unverheirateten Töchtern, so wuchs im Nordflügel die Enkelschar heran, denn immer wieder hielt sich Tochter Anna, die mit dem brandenburgischen Kurprinzen Johann Sigismund vermählt war, im Herzogtum Preußen auf.

In den vielen Amts- und Gerichtsgewölben, den Küchen und Backstuben, der Gewürz-, der Silber- und der Rüstkammer, von den tiefen Wein- und Bierkellern bis hinauf zur Schlosstürmerwohnung – überall beständiges Getümmel, Leben. Von den Herren der Oberratsstube bis zum rechnenden und schreibenden Personal der Rentkammer, von den Musikern der Hofkapelle bis zu dem viel beschäftigten Hofmaler Daniel Rose, von den unentwegt geforderten Schneidern und Hofbarbieren bis zu den zur Eile angetriebenen Laufboten und Küchenjungen, und nicht zuletzt all den Lakaien oder Mägden, Stubenheizern und der Bettmutter Anna – überall stetiges Arbeiten, Tätigkeit.

Auch an Abwechslung und fröhlicher Unterhaltung mangelte es nicht. Hoch und Niedrig konnten sich täglich zu Tisch bei Hofe in der Hofstube treffen. Fürstlicher Besuch kehrte ein, und neben Sängern traten Tänzer, Komödianten, Puppenspieler, Seiltänzer oder der Hofzwerg vor der gnädigen Herrschaft auf. Zahlreiche kleine Papageien, ein Pelikan, die vom Herzog geliebten Meerkatzen oder auch ein Eichhörnchen, für das Schreiner Hans Danapfell ein Häuschen fertigte, brachten Freude in die Schlossräume.

Ein ungehobener Schatz
Doch die bedeutende Residenz Königsberg und die herzoglichen Lust- und Jagdhäuser auf dem Land werden von der Forschung für die Kulturgeschichte Mittelost- oder Nordeuropas kaum beachtet, trotz der Fülle an Quellen. Da derzeit das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem mit dem Spruch „Auch Geheime Archive sehnen sich nach Licht“ für seine kleine Ausstellung und sich selbst wirbt (siehe die PAZ Nummer 3 vom 17. Januar 2025), so sei einmal auf einen kostbaren Bestand des Archivs hingewiesen, der noch viel zu wenig Beachtung gefunden hat: die Ausgabenbücher der Königsberger Rentkammer unter den sogenannten Ostpreußischen Folianten.

Eingebunden zwischen zwei Holzbrettchen, die außen mit reich verziertem Pergament umwickelt sind, zeigen sich die bis zu fünfhundert Blatt dicken Akten. Für viele Jahre des 16., fast das ganze 17. und dünner werdend einige Anfangsjahre des 18. Jahrhunderts sind sie erhalten. In diese wurde nur eingetragen, was der Hofstaat jährlich ausgab, denn die Einnahmen wurden extra geführt.

Die Verzeichnisse beginnen mit Schulden und den jährlichen Zinsen. Der Hofstaat verschlang Unsummen, dazu kamen noch jene Zahlungen, die seit 1605 jährlich an die Krone Polen abzuführen waren, wie Gelder, die polnischen Würdenträgern als „Verehrungen“ zugesteckt wurden. Trotz Steuern, trotz des Pillauer Seezolls und trotz des Bernsteinhandels mussten daher Gelder bei Adel und Bürgern aufgenommen werden, die zu sechs Prozent verzinst wurden. Nicht immer konnten sie bar zurückgezahlt werden, dem Danziger Kaufmann Andreas Köhn von Jasky wurden sie in Tonnen von Bernstein erstattet.

Den Schuld- und Zinseinträgen folgen über viele Seiten Ausgaben der herzoglichen Familie für sich selbst, für Kleider, Schmuck, Kleinkunst – beliebt waren Brettspiele aus Bernstein –, oder in langen Listen die Aussteuern der Töchter.

Das Leben am herzoglichen Hof in Königsberg
Blatt um Blatt schließen sich die Namen all jener an, die am Hof angestellt waren, beginnend bei den hohen Räten und den Angehörigen der Kanzlei. Lebensläufe lassen sich rekonstruieren. Muss heutzutage erwähnt werden, dass der Königsberger Hof bis hin zu Schornsteinfeger und Stallburschen ein deutscher Hof war? Da finden sich Küchenmeister Casper Witzell, Trompeter Georg Füllhase, Perlenhefter (für die Kleider der Herzogin) Michael Steinhöffel, Teppichwärter Abraham Sorgenfrey, Röhrmeister (für das Wassersystem) Peter Thurecht oder Nachtwächter Hieronimus Krannich. Scharfrichter Nickel Horn war übrigens auch für die nächtliche Reinigung der sogenannten Privat zuständig – auch das findet sich in den Akten. Hunderte Menschen werden mit ihren Besoldungen aufgeführt, und auch bei der Hofkleidung oder den Stiefeln, die zumeist zwei Mark kosteten, erfahren wir, wer bei Hof diente und wie ausgestattet wurde.

Die Nähe zum Landesherrn zeigte sich in manchem Geschenk. Herzog Albrecht Friedrich wurde gerne als Taufpate gewählt, und wenn jemand am Hof heiratete, vom Adel oder unter den Dienern, so gab es als Geschenk vergoldete Silberbecher oder für die Feier einen Ochsen und Viktualien. Wollte die Kurfürstin zwischendurch eine ihrer Hofdamen bedenken, schenkte sie ein „Ringlein“.

Auch im Unglück half man: Fiel ein Handwerker vom Baugerüst, ertrank ein Edelknabe im Schlossteich, starb ein alter Diener – oft gab die Rentkammer zur Heilung oder zur Beisetzung. Abgebrannte Bauern oder „ein armes Weib“ empfingen vom Herzogspaar Almosen. Selbst Menschen in der Ferne wurde geholfen: Im langen Schwedisch-Polnischen Krieg war manch deutscher Flüchtling aus Livland zu unterstützen, während aufgrund der türkisch-polnischen Kriege auch Königsberger Gelder flossen, um in türkische oder tatarische Sklaverei verschleppte Polen auszulösen, zum Beispiel eine „polnische Frawen vom Adell mit Nahmen Anna, welche sambt ihrem Sohn inn der Turckey gefangen geweßen“. Als 1626 der Jude Michel Gallingio Christ wurde, erhielt er nicht nur Bücher zum Studium, sondern auch einen Mantel aus Danziger Tuch, und ähnlich wurden andere Studenten mit einer kleinen Summe oder gar einem Stipendium gefördert.

Erlesene Weine, exotische Gewürze
Schließlich quellen die Ausgabenbücher über – es folgen alle möglichen Lebensmittel für die Tafeln am Hof. Zwar gab es in Königsberg Bierbrauhäuser, aber Johann Sigismund, der auch als Kurfürst oft in Ostpreußen weilte, ließ sich als standhafter Biertrinker selbst Zerbster Bier und Braunschweiger Mumme, ja sogar mal zwei Fässer englischen Biers herbeibringen. Viel kam über den Hafen in Stettin, und wenn man schon die Tonnen Bier verlud, so konnten auch noch Feuerwerker „hieher geschiffet“ werden. Ungarischer und spanischer Wein sowie der gute Rheinwein floßen reichlich, selbst aus Crossen in der Neumark kam ein „Veßlein“.

Manches Gewürz und manche Frucht wanderte in die Hofküche, in der zusätzlich Küchenregister geführt wurden. Dreißig Zitronen aus Amsterdam kosteten 1618 drei Mark, doch gab es auch günstigere. Holländischer Käse wurde eingeführt und selbst „Parmasan Keeße“ kam schon nach Königsberg. Kümmel war ebenso beliebt wie Safran, Muskatnuss, Mandeln, Korinthen, Feigen, Kapern – vielleicht schon für die Königsberger Klopse? – oder Oliven. Salz bezog man aus Lüneburg.

Heimisches war günstiger: Ein Schaf kostete 30 Groschen, die zahlreich verspeisten Ochsen, die etwa aus Tilsit in kleinen Herden zum Hofschlachthaus getrieben wurden, gab es für je 18 Mark, auch für das doppelte. Ein Rebhuhn war für fünf Groschen, ein Hase für zwölf Groschen oder ein Reh für sechs Mark zu haben. Für die Tonne Butter zahlte man 40 Mark. Aus den Seen und Flüssen des Landes kamen Fische; Karpfen wurden auf den zur Hofhaltung gehörenden Vorwerksteichen außerhalb der Stadt gezogen; Heringe lieferte sogar Schottland.

Manches Tier ging außer Landes: Ochsen wurden zur Ernährung des Berliner Hofes in großen Herden nach dort getrieben, ebenso gingen schon vor Gründung des Gestüts Trakehnen Pferde bis nach Ansbach in Franken. Die stattlichen Elche wurden lebend gefangen, denn sie verschenkte der Herzog an die Könige und Fürsten ganz Europas, wie auch Falken zu den beliebten Geschenken aus Ostpreußen gehörten.

Eine offene Stadt
Überhaupt war man in Königsberg gar nicht aus der Welt. Beständig trafen Boten ein und berichteten über die Ereignisse in Europa – auch sie bekamen ihr Geld. Der lange Friede, in dem das Herzogtum Preußen zwischen all den Kriegen in Ost und West ruhte, machte es möglich, in die Ferne etwas zu spenden: 1618 gab die Rentkammer zum Beispiel für eine neue Kirche der Augsburgischen Konfession in Leyden in Holland 75 Mark.

Dass auch die Wäscherinnen ihren Lohn und Thomas Altenmohr 30 Mark zur Reinigung von zehn alten Teppichen aus dem herzoglichen Gemach empfingen, berichten die Ausgabenbücher ebenfalls, denn die letzten Seiten der Akten verzeichnen unzählige Kleinigkeiten: Samen und Rosmarinpflanzen für den Lustgarten, Mausefallen und Rattengift für manche Stube, rotes Leder zum Beschlagen des Nachtstuhls oder Oblaten und Kerzen für die Schlosskirche werden mit Preisen angegeben.

Weh tut es dem Historiker, wenn er bei Papier das Wort „Maculatur“ liest und sich fragt, welche vielleicht wichtige Akte da zu neuem Papier verarbeitet wurde. Überhaupt scheint nichts verheimlicht zu werden. Die Räte gaben zum Beispiel nicht unbedeutende Summen für eingemachten Ingwer zu ihrem täglichen Gebrauch aus – wer viel geistig arbeitet braucht Süßigkeiten auf „Staatskosten“.

Manchmal sind die Angaben summarisch, leider bei Bauausgaben, manchmal entstehen ganze Geschichten. Als 1611 Kurfürst Johann Sigismund dem polnischen König Sigismund III. Wasa 25 Wandteppiche, die er eigens in Delft bei dem bedeutenden Teppichwirker Franz Spierincx in Auftrag gegegeben hatte, schenkte, dauerte es noch bis Ende 1616, bis diese endlich in Königsberg eintrafen. Es waren Bildfolgen zu „Diana“, „Orlando“ und „Scipio“. Kostenpunkt 27.750 Mark. Anfang 1617 brachte der treue Fuhrmann Greger Klein sie nach Warschau; bei seinem Tod 1621 zahlte die Rentkammer Kleins Begräbnis.

Unbekannte Fundstücke
Nicht bei allen Angaben versteht sich auf Anhieb ihre Bedeutung, manches versteckt sich, manches ist sprachlich unklar. Umso wichtiger ist die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern. Dies zeigte sich bei zwei Miniaturen des Malers Daniel Rose von Kurfürst Johann Sigismund und seiner Anna von 1615. Die Weitergabe der Notiz an Gerd Bartoschek, ehemaliger Gemäldekustos der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, ergab, dass er – wie es der Zufall will – gerade an einem Aufsatz zur „Miniaturensammlung des Hauses Hohenzollern“ arbeitete. Der Hinweis gab ihm die Sicherheit auf den vermuteten Maler und klärte Jahr und Kosten. Seine Antwort hingegen kann uns mit Freude erfüllen, denn das kleine Kunstwerk ist noch heute im Haus Hohenzollern erhalten.

So befördert die Durchsicht der Königsberger Ausgabenbücher viel Unbekanntes zur Landes- und Kultur-, Stadt- und Familiengeschichte ans Licht – und vielleicht finden sich auch die Tapisserien des polnischen Königs noch irgendwo.

Dr. Wulf D. Wagner ist Architektur-historiker und Publizist. Zu seinen Arbeiten gehören eine zweibändige Geschichte des Königsberger Schlosses (Schnell & Steiner 2008 und 2011) sowie „Die Altertumsgesellschaft Prussia. Einblicke in ein Jahrhundert Geschichtsverein, Archäologie und Museumswesen in Ostpreußen (1844–1945)“ (Husum 2019). 2023 erschien „Die Königstraße in Königsberg i. Pr. Aus der Geschichte einzelner Grundstücke und ihrer Eigentümer vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert“ (fibre Verlag). www.fibre-verlag.de 


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