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Dr. Alexander Fürst (1844-1898)– ein großer Mediziner mit einem noch größeren Herz für kleine Leute
Am 8. Juni 1898 eröffnete Rudolf Virchow die regelmäßige Sitzung der Berliner Medizinischen Gesellschaft. Unter seinem Vorsitz diskutierte man unter anderem über aktuelle Entwicklungen in Klinik und Forschung, gedachte am Anfang aber auch stets der in der Zwischenzeit verstorbenen Mitglieder. Damals erhoben sich alle für Dr. Alexander Fürst, der am ersten Pfingstfeiertag im Alter von nur 54 Jahren gestorben war. Auch in medizinischen Zeitschriften erinnerte man an den Arzt, von dem bekannt war, dass er bescheiden war und sein eigenes Wohl gegenüber dem seiner Patienten stets zurückstellte. Heute ist der Mediziner und Menschenfreund leider nahezu vergessen. Also stellt sich die Frage: Wer war dieser Alexander Fürst überhaupt, und was machte ihn so bedeutsam?
Fürst wurde am 15. April 1844 im ostpreußischen Braunsberg als dritter Sohn des Kaufmanns Jakob Bär Fürst und dessen Ehefrau Rosa Fürst geborene Rosenbaum geboren. Die jüdische Gemeinde von Braunsberg betrieb ab 1845 eine eigene Synagoge, und Jakob Bär war ihr Repräsentantenvorsteher. Alexanders Leidenschaft hingegen galt früh der Medizin, vor allem, weil er Menschen helfen wollte. Nach dem 1862 in Braunsberg erfolgreich bestandenen Abitur studierte er in Königsberg Medizin und beendete am 6. Juni 1866 sein Studium mit der Dissertation „De versione foetus spontanea et artificiali“.
Es folgte zeitnah eine Assistenzstelle am Schöneberger „Maison de Santé“, einer 1861 von Eduard L. Levinstein gegründeten „Brunnen- und Badeanstalt“. Als Fürst dort Assistenzarzt wurde, eröffnete Levinstein auch noch eine Abteilung für psychisch Kranke und verzichtete dabei als einer der ersten Ärzte in Deutschland auf Zwangsbehandlung und Fixierung der Patienten.
Herzensprojekt Augenheilkunde
In Danzig nahm Fürst die nächste Assistentenstelle an einer Augenheilanstalt an. Und fällte auch die Entscheidung, sich in Zukunft verstärkt der Ophthalmologie (Augenheilkunde) zu widmen und im Besonderen der Behandlung der granulösen Augenerkrankung in Ostpreußen. 1869 ließ er sich als Arzt in Memel nieder, konnte jedoch durch den Deutsch-Französischen Krieg nur kurz praktizieren. Unbemerkt hatte sich längst ein ganz anderer Gegner in der Stadt in Form von Lepra-Infektionsherden eingenistet. Diese bakteriell bedingte Krankheit konnte Hautwucherungen und Nervenschäden hervorrufen und schlimmstenfalls tödlich enden. Robert Koch sollte 1896 einen ausführlichen Aufsatz über „Die Lepra-Erkrankungen im Kreis Memel“ schreiben. Das Gefährlich daran: Sie konnte eben über einen längeren Zeitraum unbemerkt bleiben.
Nach Kriegsende kehrte Fürst unversehrt nach Memel zurück und fand seine Berufung zunächst in der „Heilanstalt für mittellose Kranke“, die dem Jüdischen Krankenhaus von Memel angeschlossen war. Dort behandelte er unentgeltlich mittellose Kranke. Finanziert wurde das Engagement aus Spenden der in der Region Handel treibenden russisch-jüdischen Kaufleute.
Eines Tages stellt sich ihm Heinrich Schleppkau vor, der an einer schweren Augenentzündung litt. Und der geschulte Blick des Arztes vermutete sogleich einen möglichen Zusammenhang zu einer Lepraerkrankung. Er schickte den Kranken zu der Augenklinik in Königsberg und auch zum Verein für wissenschaftliche Heilkunde. Das Ganze verlief jedoch im Sand. Heinrich Schleppkau sollte, wie auch sein Bruder Karl, an der Lepra sterben. Im Angesicht eines schwerfälligen Medizinalsystems hatte Fürst das Drama nicht verhindern können, obwohl auch weitere Ärzte dazu geraten hatten, unentdeckte Fälle im Memeler Kreis aufzuspüren.
1885 verließ der engagierte Mediziner Fürst Memel und zog nach Berlin, wo bereits seine beiden Brüder Selmar und Adolf lebten. Seine ärztliche Tätigkeit wollte er dort im Rahmen der sozialen Fürsorge an dem großen Heer der Berliner Arbeiterschaft als „Gewerksarzt“ fortführen, was er aber erst nach zwei Jahren Arbeit in der Stadt durfte. Man fand ihn daher zunächst als „Dr. med. prakt. Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ im lokalen Adressbuch.
Unterwegs als ein guter Samariter
1887 wohnte er in der „Ackerstraße“ im Berliner Norden, einer Straße, die als Sitz des Verbrechens und des Elends bekannt war. 1888 konnte er endlich als „Gewerksarzt“ wirken. Diese Ärzte waren beim Gewerks-Kranken-Verein angestellt, einer Kassen- und Ärztegemeinschaft, die der Berliner Magistrat 1846 ins Leben gerufen hatte. Der ursprüngliche Gedanke war dabei die Ressourcenzusammenlegung zur Finanzierung einer flächendeckenden kassenärztlichen Versorgung. Die Krankenkasse gewährte weiter ein Krankengeld, die Gewerksärzte wurden aus Zahlungen der angeschlossenen Unterstützungskassen in die Vereinskasse bezahlt.
Eine freie Arztwahl hatten die Arbeiter nicht, was zu großen Spannungen innerhalb des sowieso oft kritisierten Systems führte. Da wurde zum Beispiel das „Simulantenthum unter den Arbeitern“ von der Tagespresse bemängelt. Diese Konflikte werden auch das Leben von Fürst erschwert haben. Dass er als Arzt äußerst angesehen war, ergab sich aus vielen Hinweisen. Fürst vertrat vor allem die Meinung, dass ein Hausarzt, der während des Studiums auch in allen „Specialfächern“ ausgebildet wurde, nicht zwingend „nur“ als ebensolcher arbeiten sollte. Das erläuterte er vor allem in seinem hochgelobten Aufsatz „Hausarzt und Ophthalmologie“, der ein Jahr vor seinem Tod in der „Deutschen Medizinal-Zeitung“ erschien, während er auch noch ständiger Mitarbeiter des von Prof. Julius Hirschberg herausgegebenen „Centralblatt für praktische Augenheilkunde“ war.
Seine eigene Krankheit ignorierte er
„Und wenn ihr euch nur selbst vertraut“, schrieb er darin in einem Aufsatz und
zitierte dabei aus Goethes „Faust“, „Vertrau'n Euch auch die andern Seelen!“.
„Jeder praktische Arzt thäte nur gut daran, sich die wenigen Seiten der Fürst'schen Arbeit gründlich einzuprägen“, lobte ein Mediziner den Fürstschen Ärzte-Aufsatz.
Ein Jahr später ignorierte der Mediziner Fürst jedoch beharrlich sein eigenes Leiden, ein schmerzhaftes Karzinom im Unterleib. Am 25. Mai 1898 starb er in seiner Wohnung am Lützowufer 4 und wurde vier Tage später auf dem jüdischen Friedhof Weißensee bestattet. Noch im Tod wirkte er weiter als Wohltäter. Belegt sind mehrere Legate, darunter 5000 Mark für das Asyl für Obdachlose in der Fröbelstraße. Der beliebte Kassenarzt, der sich dem Konkurrenzwesen unter der Berliner Ärzteschaft verweigert hatte, war tot.
„Ein Volksarzt im besten Sinne“ nannte ihn einmal eine medizinische Zeitschrift. Das wäre für ihn wohl das schönste Lob gewesen.
Eine Ausstellung über Dr. Eduard Levinsteins „Maison de Santé“ (Zwischen Wellness und Wahnsinn) zeigt das Museum Schöneberg noch bis zum 30. November 2025.