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Möbeldesign

Ein westpreußischer Tischler mit Wohnideen

Schöner Wohnen mit Baukastenmöbeln – Vor 125 Jahren wurde der Bauhäusler Erich Dieckmann geboren

Martin Stolzenau
08.11.2021

Heutzutage bieten skandinavische Möbelhäuser weltweit ihre Produkte unter der Werbebotschaft „Lebensstil des Nordens“ an. Vor 100 Jahren war stilprägendes Möbeldesign noch eine deutsche Angelegenheit. Und ein aus dem Kreis Löbau stammender Westpreuße galt dabei – neben Marcel Breuer und Mies van der Rohe – als einer der wichtigsten Möbeldesigner der Weimarer Republik. Der Bauhäusler Erich Dieckmann schuf zunächst „Typenmöbel für alle Lebensbereiche“, entwickelte dann komplette Möbelprogramme im Baukastensystem und berücksichtigte dabei moderne Technologien sowie Materialien.

Serienmäßig angefertigte Typenmöbel im Baukastensystem mit teilweise ungewöhnlichen Materialien waren seinerzeit revolutionär und lösten die klobigen Gründerzeit- und verspielten Ornamentmöbel des Jugendstils ab. Ab 1926 wurden die auch Systemmöbel genannten Produkte in Serie hergestellt sowie neuartig vermarktet und fanden erst in der deutschen Öffentlichkeit großen Anklang, ehe sie den Siegeszug um die Welt antraten. Heute gelten sie weltweit als Vorläufer des modernen Möbeldesigns.

Dieckmann brachte die idealen Voraussetzungen für seine wegweisenden Entwürfe mit. Er verband seinen erlernten Tischlerberuf mit einem Architekturstudium an der TH in Danzig, die 1904 als königlich preußische Technische Hochschule gegründet worden war. Er selbst stammt aus dem südlich von Danzig gelegenen Ort Kauernik, in dem er am 5. November 1896 als Sohn eines königlich preußischen Landjägermeisters geboren wurde. Sein Geburtsort hatte 1291 die erste schriftliche Erwähnung und entwickelte sich ab 1330 nach Inbesitznahme durch den Deutschen Orden von einem Dorf zur Kleinstadt, die heute mit über 9000 Einwohnern zur polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren gehört.

Obwohl Kauernik gut 150 Kilometer vom Meer entfernt liegt, träumte Dieckmann vom Seemannsberuf. Auch als seine Eltern nach Goslar an den Harz zogen, wollte der Sohn nach der Mittleren Reife am dortigen Realgymnasium noch als Schiffsjunge die Meere befahren. Dann aber brach der Erste Weltkrieg aus. Dieckmann meldete sich freiwillig, wurde bei Langemarck nordwestlich von Ypern schwer verwundet und nach langer Lazarettzeit mit 50 Prozent Erwerbsminderung entlassen.

Die Kriegsverletzung zwang ihn zur Umorientierung. So studierte er zunächst Architektur in Danzig, wechselte aber 1920 zum Malstudium nach Dresden. Dort erfuhr er vom Bauhaus in Weimar und den neuartigen Studieninhalten. Durch Vermittlung des Bauhauslehrers Gerhard Marcks begann er schon 1921 sein Studium an der Kunstschmiede der Moderne unter Walter Gropius.

Weg in die Arbeitslosigkeit

Die Bauhaustischlerei eröffnete die Möglichkeit völlig neuartiger Möbelensembles. 1924 absolvierte Dieckmann die Gesellenprüfung vor der Weimarer Handwerkskammer. Als Gesellenstück präsentierte er einen Schreibtisch, der seine gestalterische Handschrift offenbarte und die Vorgaben von Gropius zu der von ihm geforderten „Typisierung in Formgestaltung und Architektur“ per Baukastensystem berücksichtigte.

Dieckmann wirkte zunächst als überaus kreativer Geselle in der Bauhaustischlerei in Weimar, war an der projektorientierten Ausbildung neuer Studenten beteiligt und zählte zu den Säulen des expandierenden Produktivbetriebs. Ein wichtiger Auftraggeber war Otto Bamberger, ein erfolgreicher Unternehmer und Kunstmäzen, der das Bauhaus förderte. Dann kam das von rechten Kräften am 1. April 1925 erzwungene Ende des Bauhauses in Weimar, dessen Wechsel nach Dessau und der Neuaufbau der Bauhaustischlerei mit Dieckmann am neuen Standort.

Der aufstrebende Möbeldesigner erlangte mit seinen Typenmöbeln wachsende Bekanntheit, wurde zum 1. Juli 1926 als Chef für Innenarchitektur an die neue Hochschule für Handwerk und Baukunst nach Weimar zurückberufen, wo er mit seinen Kollegen neuartige Möbel für neuartige Wohnkonzepte produzierte.

Nachdem 1930 auch die zuvor von Otto Bartning geleitete Hochschule in Weimar politischen Beschränkungen unterworfen worden war, fungierte Dieckmann als freiberuflicher Entwerfer für verschiedene Möbelfirmen. Zwischendurch verfasste er sein Buch „Möbelbau in Holz, Rohr und Stahl“, das in der Fachwelt reißenden Absatz fand und 1990 sogar eine Neuauflage erlebte. Der Vordenker moderner Möbel wurde dann 1931 vom Chef der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein nach Halle verpflichtet, wo er als künstlerischer Leiter fungierte und die Studenten im Bauhaussinne prägte.

Doch dann kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Am 31. August 1933 wurde der avantgardistische Möbeldesigner entlassen. Anders als viele andere Bauhäusler, die ins Exil gingen, blieb er in Deutschland, wo er drei Jahre der Arbeitslosigkeit mit „gelegentlichen Entwurfsarbeiten“ überstand. Ab 1936 wirkte er als Referent in verschiedenen Kunstämtern in Hannover und Berlin, wo er bis zuletzt ein angepasstes Bürodasein ohne kreative Möglichkeiten führte. In seiner privaten Tischlerei in der Berliner Andreasstraße Nummer 11 führte er einige wenige Aufträge aus, ehe er am 8. November 1944 in Berlin nach einem Luftangriff an den Folgen eines Herzinfarkts starb.

Für seinen Nachruhm war es ein ungünstiger Zeitpunkt zum Sterben. Hätte Dieckmann den Krieg überlebt und hätte er als Designer weiterwirken können, wäre nicht lange Zeit der Mantel des Vergessens über ihn ausgebreitet worden. Erst die Wiederentdeckung seiner Typenmöbel in den 1960er Jahre bescherte dem Westpreußen neue Beachtung bis hin zur Erkenntnis, dass er zu den bedeutendsten Möbelgestaltern Deutschlands gehört. Ab 1990 waren ihm in Dessau, Weimar und Halle mehrere Ausstellungen gewidmet. Dazu gesellten sich einige Schriften, die ihn heute zu den großen „Bauhaus-Ikonen“ rechnen.


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