Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Am 9. April 1945 wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer von den Nationalsozialisten im KZ Flossenbürg ermordet. Dass am selben Tag im Nordosten Deutschlands die „Festung Königsberg“ kapitulierte, war Zufall. Dennoch steht die Gleichzeitigkeit beider Ereignisse sinnbildlich für das Geschehen in den letzten Tagen des „Dritten Reiches“
Während der Mittagsbesprechung bei Hitler am Donnerstag, 5. April 1945, wurde der ganze Plan in Gang gesetzt, wer aus der Widerstandsprominenz zu „erledigen“ und wer weiter nach Süden zu befördern sei. Da war Dietrich Bonhoeffer bereits, seit dem 3. April vom KZ Buchenwald kommend, in einem 16 Personen umfassenden Gefangenentransport in Regensburg angelangt, wo er am 4./5. April, also Mittwoch und Donnerstag der Osterwoche, blieb. Der Wagen für den Weitertransport, ein Holzvergaser, blieb auf der Strecke liegen. Man wartete, bis ein Bus aus Regensburg kam und die Gefangenen nach Schönberg bei Zwiesel im Bayerischen Wald transportierte.
Vom 6. bis 8. April war Bonhoeffer in Schönberg. Dort hielt er am Weißen Sonntag nach Ostern auf Wunsch von Mitgefangenen eine Andacht über die Tageslosung Jes. 53, 5 „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ und zu 1. Petrus 1, 3: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“ Er sprach von den Gedanken und Entschlüssen, die diese gemeinsame turbulente Gefangenschaft allen gebracht hatte.
Unmittelbar nach der Andacht wurde Bonhoeffer herausgerufen. Er zeichnete noch schnell vorn, hinten und in der Mitte des Buches seinen Plutarch „Große Männer – Biographien“, den ihm seine Eltern noch im Januar 1945 ins SS-Gefängnis Prinz-Albrecht-Straße in Berlin bringen lassen konnten. Dieses Exemplar, das letzte Lebenszeichen Bonhoeffers, wurde später von einem der Söhne Goerdelers an die Familie Bonhoeffer übergeben. Es erhielt noch einen Abschiedsgruß von Frau Goerdeler, deren Mann Carl Goerdeler bereits am 2. Februar 1945 ermordet worden war. Sie und ihre Familie befand sich mit den Familien des Generals Franz Halder, des Grafen von Stauffenberg und Ulrich von Hassells in Sippenhaft.
Bonhoeffer wurde nach Flossenbürg transportiert, wo ein eilends zusammengerufenes Standgericht mit SS-Standartenführer Walter Huppenkothen als Ankläger und dem SS-Richter Dr. Otto Thorbeck, der mit einem Güterzug aus Nürnberg bis Weiden und dann per Fahrrad bis Flossenbürg gereist war, diejenigen, die nach dem Willen Hitlers unter keinen Umständen überleben sollten, zum Tode verurteilte. Eine Verteidigung war nicht vorgesehen.
Die Verurteilten waren Admiral Wilhelm Canaris, General Hans Oster, Dr. Karl Sack, Theodor Strünck, Ludwig Gehre und Dietrich Bonhoeffer. In der grauen Dämmerung des Montags, 9. April, fand die Hinrichtung statt. Der Lagerarzt sah Bonhoeffer in der Vorbereitungszelle knien und inbrünstig beten. Seine letzten Worte beim Abschied in Schönberg tags zuvor waren: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“
Sein bekanntestes Gedicht und Lied „Von guten Mächten“ hatte Bonhoeffer dem letzten Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer (1924–1977) zu Weihnachten 1944 als Anlage beigefügt.
Am Abend der Ermordung dieser bedeutenden Köpfe des deutschen Widerstandes gegen die nationalsozialistische Barbarei im oberpfälzischen Flossenbürg erleben im ostpreußischen Königsberg die Verteidiger der „Festung“ unter dem Kommando des Kommandanten General Otto Lasch die letzten Stunden vor der Kapitulation. Im Bunker am Paradeplatz beginnt am 9. April nach mehreren Bombenvolltreffern, Wasser einzulaufen. Erschütternde Szenen verzweifelter Menschen haben sich in den letzten Tagen abgespielt. Zwei von der Gauleitung und dem dortigen Treiben geflüchtete Frauen nehmen sich in einem ihnen zugewiesenen Raum das Leben. Der starke Beschuss und Bombenabwurf zerren selbst erfahrenen alten Frontsoldaten an den Nerven.
Nach langen, bangen Stunden des Wartens erscheint in den späten Abendstunden als Abgesandter des Oberbefehlshabers der weißrussischen Front, Marschall Wassiljewski, ein Oberstleutnant Kerwien mit russischen Offizieren, der bevollmächtigt ist, die Kapitulation nach den Bedingungen abzuschließen, die aus dem russischen Flugblatt bekannt sind. Folgendes wird zugesichert:
Das Leben,
Ausreichende Verpflegung und eines Soldaten würdige Behandlung während der Kriegsgefangenschaft,
Sorge für die Verwundeten und für die Zivilbevölkerung,
Nach Beendigung des Krieges Rückkehr in die Heimat oder in ein Land nach Wahl.
General Lasch hat keine Bedenken, diese Bedingungen anzunehmen. Später wird sich zeigen, dass keine dieser Bedingungen eingehalten werden. Die Königsberger Bevölkerung gerät mit etwa 120.000 Menschen unter die Besatzung durch die Rote Armee. Nur wenig mehr als 20.000 überleben bis 1948 das Todeslager Königsberg und werden in den Westen evakuiert. 100.000 Menschen kommen unter entsetzlichen Umständen ums Leben.
Otto Lasch selbst geht mit seinen Offizieren und Soldaten in die Gefangenschaft und kehrt erst nach sowjetischen Gefängnissen und Arbeitslagern in Moskau, Leningrad, Karabas in Mittelasien, Workuta am Eismeer, Asbest im Ural und Stalingrad an der Wolga als einer der letzten Überlebenden im Spätherbst 1955 nach Deutschland zurück. In seinem Buch „So fiel Königsberg“ schreibt er, dass da „den weitaus größten Teil unserer unschuldigen Kameraden bereits die Erde des weiten russischen Landes deckte.“
Diese historischen Vorgänge des 9. April 1945, die Aufrechterhaltung der Verfolgungs- und Tötungsmaschinerie des nationalsozialistischen Terrorstaates bis in den Untergang hinein, bis zur Ermordung der Widerstandsprominenz im KZ Flossenbürg, und die Aufopferung von fehlgeleiteten Soldaten und gedemütigter Zivilbevölkerung in einem aussichtslosen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, der unter Missachtung der von ihm selbst gestellten Bedingungen gnadenlos seinen Sieg auskostete – das sind die beiden Ereignisfolgen, die wie in einem Brennglas die diabolische Essenz des Zusammenbruchs der verbrecherischsten deutschen Diktatur transparent werden lassen.
Während jedoch Königsberg bis heute als Kaliningrad ein entfremdetes Leben fristen muss, wuchs aus dem Martyrium Dietrich Bonhoeffers in Flossenbürg ein Geist des Trostes und der Zuversicht ans Licht, der bis in die Osterzeit des Jahres 2025 seine Strahlkraft nicht verloren hat.
• Klaus Weigelt ist Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Königsberg e.V. Zuletzt erschienen von ihm unter anderem „Im Schatten Europas. Ostdeutsche Kultur zwischen Duldung und Vergessen“ (Westkreuz-Verlag 2019) und „Schweigen und Sprache. Über Ernst Wiechert“ (Quintus-Verlag 2020).
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