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Eine europäische konservative Bühne

Debatten von Rechtsintellektuellen sind in Europa selten. Eine internationale Zeitschrift will das ändern

Robert Mühlbauer
09.09.2023

Der Geist steht links, hieß es lange. Über Jahrzehnte ist es der politischen Linken, heute den Grünlinken, gelungen, an den Universitäten und Hochschulen eine weitgehende intellektuelle Hegemonie zu etablieren. Doch die alte Theorie von Antonio Gramsci, wonach diese Hegemonie dann auch politisch die Verhältnisse zugunsten der Linken zementieren werde, scheint schon länger nicht mehr zu stimmen.

In ganz Europa kippt die politische Stimmung nach rechts. Laut einer Umfrage des Mediums „Politico“ könnten die rechtskonservativen, rechtspopulistischen und EU-skeptischen Parteien bei der Europawahl im Juni 2024 auf 23,5 Prozent der Sitze kommen – fünf Prozentpunkte mehr als bei der vorigen Wahl. Sei es die deutsche AfD oder die Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni oder in Frankreich Marine Le Pens Partei RN: Sie alle legen stark zu. Die gesamte politische Landschaft gerät ins Rutschen. Zusammengerechnet sind die sogenannten Populisten laut aktuellen Umfragen fast genauso stark wie die Europäische Volkspartei (EVP), die Parteienfamilie von CDU/CSU, der Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, angehört, und sie sind deutlich stärker als die Sozialdemokraten (S&D). Eine solche Kräfteverschiebung dürfte Brüssel erschüttern.

Große Bandbreite von Autoren
„Populisten ante Portas“, werden viele Medien schreien. In den Feuilletons dürfte wieder eine aufgeregte Debatte über die angebliche Gefährdung der Demokratie beginnen. Denn es ist ja nur dann Demokratie, wenn ihre Seite gewinnt, so beschreibt die Zeitschrift „The European Conservative“ („TEC“) ironisch im Editorial ihrer aktuellen Ausgabe die Sicht des Establishments. Die Zeitschrift, geleitet von Chefredakteur Alvino-Mario Fantini, beklagt das Ausgrenzen, das „Canceln“ und die Repressionen, denen rechte Konservative sich in vielen Ländern ausgesetzt sehen. An der Ausgrenzung beteiligen sich oft auch gemäßigte, christdemokratische Konservative.

„Diese Zeitschrift widersetzt sich einer engen Definition der Rechten“, schreibt „The European Conservative“ über sich. Die Zeitschrift will breitere Debatten ermöglichen und ist damit einzigartig: Denn es gibt sonst keine vergleichbare europäische konservative Bühne, auf der Stimmen des rechten Spektrums zu Wort kommen. Die gedruckte Zeitschrift und ihre Online-Plattform (www.europeanconservative.com) haben eine lange Reihe von Interviews mit Politikern und Intellektuellen der Rechten gebracht: aus Polen, Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien und Portugal, Finnland und den baltischen Staaten; auch konservativen Dissidenten aus Russland und Autoren aus Amerika bietet sie eine Bühne.

Im aktuellen Heft findet sich ein Interview mit einem der Gründer der portugiesischen Chega-Partei, mit dem Direktor des Juristeninstituts Ordo Juris aus Polen, das erfolgreich für konservative Familienwerte eintritt, und ein durchaus sehr kontroverses Interview mit dem niederländischen Politiker und Publizisten Thierry Baudet. Das zeigt die ganze Bandbreite – und auch die Spannungen, vor allem im Hinblick auf Russland und den Ukrainekrieg. „TEC“ hat Putins Angriffskrieg klar verurteilt, es kommen aber auch andere Stimmen zu Wort wie Baudet.

„Cancel Culture“ die Stirn bieten
Dass die Rechten weitgehend geistlos, dass Populisten ungebildet seien und außer platten Sprüchen nichts zu bieten hätten, ist eines der Vorurteile, die „The European Conservative“ widerlegt. Auch die aktuelle Ausgabe taucht wieder tief in die geistesgeschichtlichen Fundamente konservativer Weltanschauungen ein, mit Artikeln, die Edmund Burke und Alexis de Tocqueville behandeln, einem langen Text über den Philosophen und Historiker Plutarch und einem Essay des portugiesischen Philosophieprofessors Alexandre Franco de Sá, der diskutiert, wie sich die Idee vom „ewigen Frieden“ entwickelt hat und warum Europa für diese Illusion anfällig wurde, die nun angesichts des Ukrainekriegs zerschellt ist.

Viele Mitarbeiter der Zeitschrift, die vor 15 Jahren vom Center for European Renewal in den Niederlanden um den Rechtsphilosophieprofessor Andreas Kinneging gegründet wurde, sind stark vom Philosophen Roger Scruton beeinflusst. Die Zeitschrift hat zudem eine nicht zu übersehende katholische Neigung. Immer wieder hat „The European Conservative“ an das Erbe von Otto von Habsburg erinnert, der während des Kalten Krieges die geistigen freiheitlich-konservativen Abwehrkräfte Europas stärkte wie kaum ein anderer.

Meist heißt es, die Rechte sei intolerant, doch umgekehrt gibt es eine ausgeprägte linke Intoleranz, heute in Form der „Cancel Culture“. Diese hat „The European Conservative“ am eigenen Leibe erfahren müssen, als voriges Jahr ein Theaterregisseur in England eine Boykottkampagne gegen den Verkauf von „TEC“ in der großen Buchhandelskette WH Smith anstoßen wollte – weil er in der Zeitschrift ein Interview mit Viktor Orbán und eine LGBT-kritische Karikatur entdeckt hatte. Zunächst war die Cancel-Kampagne erfolgreich, inzwischen ist der Verkaufsbann aber wieder aufgehoben worden.

Debatten statt Einheitsmeinung
„The European Conservative“ besitzt Redaktionsbüros in Wien und Brüssel, wo sie erst vor wenigen Monaten ihre Türen geöffnet hat. Mitarbeiter sitzen in Paris, Rom, Berlin, Madrid, London und Dublin. In Berlin ist die Bibliothek des Konservatismus ein Kooperationspartner. Verlagssitz ist die ungarische Hauptstadt Budapest.

Dass Ungarn eine Rolle spielt, ist kein Zufall. In dem von Orbán regierten Land hat sich seit Jahren eine sehr lebendige, auch finanziell potente Szene von konservativen Institutionen gebildet. Das mit einem Milliarden-Kapital ausgestattete Mathias Corvinus Collegium ragt als eine wichtige Institution der Vernetzung heraus. Daneben gibt es kleinere, etwa das Danube Institute, dessen Chef John O'Sullivan ebenfalls zum Redaktionsbeirat von „TEC“ gehört. Dass die Europa-Konferenz des Conservative Political Action Committee (CPAC) in diesem Mai in Budapest stattfand, im modernen Konferenzzentrum am Ufer der Donau, ist kein Zufall.

An das CPAC-Treffen in Budapest erinnert auch der Chefredakteur der deutschen Wochenzeitung „Junge Freiheit“, Dieter Stein, in einem längeren Essay in der aktuellen „TEC“-Ausgabe über den Aufschwung europäischer Rechtsparteien. Die steigenden Umfragewerte für die Rechte sieht er als Reaktion auf das Versagen etablierter Kräfte gegenüber der unkontrollierten Massenmigration. Auch der Angriff „woker“ grün-linker Kräfte auf traditionelle Lebenswelten und die teure grüne Klimapolitik führten zu einer Gegenbewegung. Stein plädiert für einen engeren Austausch und mehr Zusammenarbeit der „rechtspopulistischen“ Parteien einschließlich der deutschen AfD, um dem EU-Establishment in Brüssel die Stirn zu bieten.

„The European Conservative“ strebt keine konservative Einheitsmeinung an, sondern will Debatten ermöglichen. Was in der Zeitschrift deutlich wird, ist die Vielfalt konservativen Denkens. Eigentlich passt sie sehr gut zum Motto „In Vielfalt vereint“, mit dem die EU offiziell für sich wirbt.


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