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Das Nannerl, die vergessene Schwester eines Genies: Bühne frei für Maria Anna, Mozarts geheimes Double
Wie nervig muss es sein, von klein auf als Wunderkind zu gelten? Der junge Mozart stampft bei einem seiner Konzerte mit den Füßen auf, drischt wild in die Tasten, schleudert seine weiße Perücke von sich und bricht mit allen Konventionen. Fortan gibt sich der junge Genius als Enfant terrible, das lieber das bunte Leben unter Straßenmusikern genießt und zur Unzeit im Drogen-Delirium versinkt. Dieses neuartige Mozart-Bild kommt einem bekannt vor: 1984 hatte es uns Miloš Forman in seinem „Amadeus“-Film vermittelt.
Doch in frauenbewegten Zeiten liegt der Fokus auf dem weiblichen Geschlecht. Dieses muss ran, wenn die Männer versagen. Also springt die ältere Schwester Maria Anna, genannt „Nannerl“, ein. Sie ist ähnlich begabt wie ihr Bruder, aber nur in der zweiten Reihe stehend. In dem turbulenten Vorweihnachts-Sechsteiler „Mozart/Mozart“ (jeweils drei Folgen am 16. und 17. Dezember ab 20.15 Uhr im Ersten) wird dieser Maria Anna der rote Teppich ausgerollt. Als ein Konzert ansteht, tritt sie maskiert in Amadeus' Kleidern auf und betört mit ihrem Spiel sowohl Kaiser Joseph II. (Philipp Hochmair) als auch dessen ehrgeizigen Hofkomponisten Antonio Salieri (Eidin Jalali).
Fortan entspinnt sich ein Reigen aus Intrigen und Scharaden, in dem Maria Anna immer wieder als Mozart verkleidet die Show rettet, während ihr labiler Bruder (Eren M. Güvercin) in der Heilanstalt landet und Vater Leopold (Peter Kurth) sorgenvoll auf das zusehends bröckelnde Familienunternehmen blickt.
Was die deutsch-vietnamesische Regisseurin Clara Zoe My Linh von Arnim entwirft, ist ein an das Oscar-gekrönte Meisterwerk „Amadeus“ erinnernder Bilderreigen. Vor allem aber ist es ein koboldhaftes Spiel aus Irrungen und Wirrungen, unterlegt mit Musik im Stile Mozarts. Das Geschichtsbuch darf gern im Schrank bleiben, denn das Drehbuch nimmt sich alle Freiheiten. Wer erfreute sich nicht an einer Marie Antoinette (Verena Altenberger), die vom französischen Hof nach Wien flieht, um beim drögen Bruder Joseph indigniert dessen dünne Suppe zu löffeln? Mit blassgrün lackierten Kunstnägeln greift die verwöhnte Königin zum Silberlöffel und pimpt die durchsichtige Brühe mit Kaviar auf. Ein großer Auftritt ist auch ihr trotziger Verbleib am Wiener Hof, nachdem ihr Bruder sie als „Bürde“ beschimpft und hinauswerfen wollte. Nur die Verführung des jungen Mozart will ihr nicht recht gelingen.
Der Schlussakkord dieses opulenten Mehrteilers sei nicht verraten, aber Havana Joy in der Hauptrolle des „Nannerl“ darf noch einmal ganz groß aufspielen – ein Triumph ihres Könnens sowie der Beweis, dass die große Bühne auch zwei Ausnahmetalente verträgt.