25.09.2024

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Kölner Bücherwurm: Klaus Willbrand in seinem Antiquariat
Foto: Tassilo BoßmannKölner Bücherwurm: Klaus Willbrand in seinem Antiquariat

Geschäftsleben

Eine Geschichte, die Mut macht

Aufschwung dank Internetauftritten – Wie ein älterer Kölner Antiquar und eine junge Bekannte eine Buchhandlung retteten

Ansgar Lange
03.09.2024

Viele Menschen fühlen sich heute von einem Übermaß an schlechten Nachrichten regelrecht erschlagen. Kriege und Krisen überall auf der Welt setzen uns zu. Nichts scheint in diesem Land mehr richtig zu funktionieren. Die Bahn kommt zu spät oder gar nicht, die Infrastruktur ist marode, der Bildungsstand und die Fertigkeiten im Lesen und Schreiben gerade bei jüngeren Menschen nehmen kontinuierlich ab.

Die Geschichte über den Kölner Antiquar Klaus Willbrand könnte auch eine solche negative Erzählung sein, von denen wir eigentlich genug haben. Der inzwischen 83-jährige Herr betreibt seit über 20 Jahren ein von außen eher unscheinbares Antiquariat in einer ruhigen Straße in Köln-Sülz. Lange Zeit ging es ihm wie anderen Antiquaren und Besitzern von kleineren Buchhandlungen auch. Die Geschäfte liefen mehr schlecht als recht. Immer weniger Kunden verirrten sich in seinen Laden, wo rund 25.000 Bücher ihr Zuhause haben. Die Corona-Pandemie war dem Geschäft auch nicht gerade zuträglich.

Ein mögliches Ende dieser Geschichte wäre: „Resignierter und frustrierter Antiquar schließt nach über 20 Jahren sein Geschäft. Kunden blieben aus.“ Doch die Geschichte verlief ganz anders. Am

30. März veröffentlichte Klaus Willbrand, von der äußeren Erscheinung her ein typischer „Gelehrter“ mit schütterem, längerem Haar und meist in Hemd und Jackett gekleidet, sein erstes Video bei Instagram: „Hallo, ich bin Klaus Willbrand, 82 Jahre, und führe dieses Buchantiquariat bereits seit über 20 Jahren. Ich freue mich sehr über Besuch und gute Gespräche.“ Dieser erste Beitrag gefiel fast 9000 Leuten und erhielt bis dato fast 80 Kommentare.

Alt und Jung hatten sich zusammengetan, um gemeinsam eine Erfolgsgeschichte zu schreiben oder zumindest zu versuchen. Denn auf die Idee, sich als eigentlich analoger Mensch auch bei Instagram, YouTube und TikTok zu tummeln, brachte Klaus Willbrand seine junge Bekannte Daria Razumovych, die sich berufsbedingt mit Social Media auskennt. Seit diesem Tag vor rund fünf Monaten nehmen die beiden regelmäßig kleine Videos auf, die nicht nachträglich großartig bearbeitet, sondern ungefiltert gesendet werden.

Und dies genau macht vielleicht den Reiz aus. Hier versucht kein Senior, möglichst fit, hip oder gut auszusehen. Hier spricht ein hochqualifizierter Buchhändler, der in seinem Leben nach eigenen Angaben rund 6000 Bücher gelesen hat, über das, von dem er viel versteht: über die Literatur. Er tut dies in einem völlig beiläufigen Plauderton, verrät hin und wieder seine Vorlieben (zum Beispiel Heinrich Heines „Buch der Lieder“), belehrt nicht, kritisiert nicht, will seine Zuschauer und Zuhörer nicht erziehen. Im besten Fall verführt er sie durch seine charmante, etwas aus der Zeit gefallene Art zum Lesen – und natürlich zum Kaufen.

Hermann Hesse mag er nicht
Denn inzwischen läuft das Antiquariat in der Nähe der Kölner Universität in der Straße Weyertal 17 wieder richtig gut, sodass der Besitzer, der in den 1960er Jahren seine Lehre in der Kölner Buchhandlung Witsch machte, so schnell nicht mehr ans Aufhören denkt. Natürlich spielt im fortgeschrittenen Alter die Gesundheit immer eine wichtige Rolle. Doch es ist sicher auch eine schöne Erkenntnis, dass das eigene Lebenswerk irgendwann vielleicht mal in jüngere Hände übergehen kann. Über seine junge Freundin Daria sagte er daher im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, dass sie den Laden später vielleicht mal übernehmen wolle: „Aber im Moment ist sie Lektorin und selbstständige Digitalberaterin.“

Auf Instagram folgen inzwischen fast 100.000 Personen den Literaturtipps Willbrands. Sein immenses Wissen basiert auf jahrzehntelanger Arbeit in der Buchbranche. In jungen Jahren hatte er sich darüber hinaus auch mal eine längere Auszeit genommen, um tagtäglich rund zwölf Stunden ausschließlich zu lesen. Es ist immer wieder das gleiche Spiel: Seine Mitstreiterin liest ihm die Fragen vor, die ihm seine inzwischen vielen „Follower“ stellen. Das können ganz persönliche Fragen sein wie, wann er in Rente gehe. Aber meist dreht es sich um Bücher. Willbrand sagt, welche Werke der deutschen, englischen, französische oder russischen Literatur man gelesen haben sollte. Er stellt einzelne Autoren wie zum Beispiel den vor 50 Jahren gestorbenen Erich Kästner vor. Und er erläutert, warum er Hermann Hesse für überschätzt hält. Zwischendurch werden kleine Rätsel eingestreut. Willbrand selbst ist ein großer Rätselfan und hat vor vielen Jahren eine eigene Rätselzeitschrift herausgegeben.

Warum kommt dieser charmant kauzig wirkende Kölner Buchhändler so gut an? Das liegt zum einen sicher daran, dass seine rund 50 Jahre jüngere Bekannte weiß, wie die modernen Medienplattformen zu bespielen sind. Zum anderen liegt dies aber sicher auch an der persönlichen Note. Es ist einfach eine schöne Geschichte, dass sich hier zwei Menschen generationenübergreifend daran gemacht haben, etwas Werbung für das alte Kulturgut Buch zu machen – und dabei noch ein Geschäft retteten.

Und auch wenn Willbrand, der sich auf Philosophie und die modernen Klassiker des 20. Jahrhunderts spezialisiert hat, zwischen reiner Unterhaltungsliteratur und „ernster“ Literatur trennt, die durchaus mit Anstrengung verbunden sei, wirkt sein Auftritt völlig anstrengungslos und tiefenentspannt. Wenn einem der alte Deutschpauker zur Lektüre von Goethes „Faust“ nötigen wollte, fand man dies vielleicht langweilig und überflüssig. Bei dem freundlich blickenden älteren Herrn mit dem Seidenschal wirkt der Rat hingegen echt, einfach und authentisch.

Der „David“ aus Köln-Sülz wird sogar von einem „Goliath“ aus Berlin ernst genommen: dem 1950 von Peter Suhrkamp gegründeten und lange Jahre von Siegfried Unseld geleitete Suhrkamp Verlag. Auf der Internetseite des Verlages finden sich alle von Willbrand in seinen Videos vorgestellten Bücher, die in den Verlagen Suhrkamp und Insel erschienen sind.

Wenn es so schöne Geschichten gibt, dann ist es um die Lesekultur in Deutschland vielleicht doch gar nicht so schlecht bestellt, wie dies die Pisa-Berichte immer wieder suggerieren.


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