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Eine nicht enden wollende Relation

Ein historisches Puzzlespiel – Die Ausstellung „Du wirst nicht vergessen. Erinnerungen“ in Breslau entschlüsselt Rätsel

Chris W. Wagner
01.06.2023

Im Ethnographischen Museum zu Breslau, dem einstigen Lustschloss der Breslauer Fürstbischöfe, möchte man die Zeit anhalten. Die Ausstellung „Du wirst nicht vergessen. Erinnerungen“ zeigt Gegenstände, die an besondere Ereignisse in der Region und im Privaten erinnern. Diese Präsentation in der ulica Traugutta 111–113 kann man noch bis zum 8. Oktober sehen.

„Das Gefühl der vergehenden Zeit führt oft dazu, dass wir Erinnerungen einen materiellen Wert verleihen möchten. Für uns Museumsleute sind solche Erinnerungsstücke von zeitloser Bedeutung“, so der Direktor des Nationalmuseums zu Breslau, Piotr Oszczanowski, bei der Ausstellungseröffnung. Durch das Konservieren und Archivieren bekämen „Erinnerungsspuren eine universale Bedeutung“, sagt er.

„Wir zeigen Schlesien durch das Prisma eines gesellschaftlichen und kulturellen Wandels“, berichtet Ausstellungskuratorin Elżbieta Berendt. Sie hat in ihre Präsentation auch Erinnerungsstücke der nach Kriegsende nach Niederschlesien gekommenen polnischen oder jüdischen Bevölkerung aufgenommen. „Das, was sich nach dem Krieg quasi über das Vorkriegsdeutsche gelegt hat, schuf neue Erinnerungen. Diese beiden Erinnerungskulturen stehen in einer nicht endenden Relation“, sagt sie.

Berendt ist selbst Kind einer kulturellen Durchmischung. „Väterlicherseits stamme ich von katholischen Koschneidern aus der Tucheler Heide [Bory Tucholskie] ab. Dort ist der Familienname Berendt noch häufig zu finden“ sagt sie. Die Koschneiderei [Kosznajdry] liegt im Dreiek Kaschubei, Tucheler Heide und dem heute Krajna genannten nördlichen Abschnitt des Netzebruchs. Das Gebiet war bis zur Vertreibung hauptsächlich von einer deutschsprachigen Bevölkerung bewohnt. Berendts Mutter stammte aus Rzeszów und brachte die dortige Kultur in die Ehe. „Auf diese Weise bin ich eine typische Niederschlesierin mit total durchmischtem Hintergrund“, lacht sie.

Scherben zusammenkleben
„Durch die Kriegs- und Nachkriegswirrungen sind so viele Erinnerungen zerstört worden. Wir haben Objekte, zu denen die Geschichten fehlen, wir haben Texte, die wir Gegenständen nicht zuordnen können. Die Geschichte ist zersplittert, wir versuchen heute die Scherben zusammenzukleben“, bedauert die Museumsleiterin. Aber manchmal helfe der Zufall, sagt sie.

Beim Konzipieren der Dauerausstellung im Museum stieß das Team auf Fotografien eines Ehepaares in niederschlesischer Tracht. Berendt hatte die Idee, Bilder des Mannes in Tracht wie einen roten Faden an verschiedenen Stellen des Museums zu platzieren. „Uns fehlte jegliche Beschreibung zu den Bildern. Nur einige Tage nach Eröffnung der Dauerausstellung geschah ein Wunder“, erzählt Berendt. Sie fand im Gästebuch einen Eintrag von Christoph Scholz. „Er schrieb, dass das Bild seines Oheims, Oskar Scholz, die Besucher durch die Dauerausstellung führe“, berichtet die Leiterin. „Wir fanden heraus, dass Oskar Scholz ein anerkannter Volkskundler aus der Gegend von Jauer [Jawor] war. Wenn man ihn fragte, wer er sei, soll er geantwortet haben, er sei ein Schlesier von übernationaler Identität. Dieses Schlagen von Brücken von den Objekten zu ihren Geschichten und den Menschen dahinter ist das Schöne an unserer Arbeit.“

Berendt ist besonders stolz darauf, in ihrer Sonderausstellung die erste schlesische archäologische Monografie von 1711 zu präsentieren. Das Dokument enthält eine Beschreibung von Ausgrabungen in der Nähe von Trebnitz [Trzebnica]. „Dazu gehört auch eine Besonderheit: ein ‚Mausoleums-Schränkchen', das zur Aufbewahrung von Ausgrabungsartefakten diente“, so die Kuratorin und Chefin des Ethnographischen Museums.

Königliches und Bürgerliches
Im Daisy-von-Pless-Jahr finden Fans der Fürstin (1873–1943) ein Gratulationsschreiben zur Heirat des Fürsten Hans Heinrich XV. von Pless. Es werden genealogische Bäume königlicher und wichtiger bürgerlicher Geschlechter gezeigt. Kern der Ausstellung bilden Objekte volkstümlicher Kunst, die wichtige Stadien des Lebens begleiten wie Geburtstags-, Tauf- oder Hochzeitserinnerungen, Wunschkarten und Gratulationstelegramme, Hochzeitsbilder und Sprüche.

Gezeigt werden auch Erinnerungen an Dienstjahre, darunter aus preußischer Zeit. „Eine Besonderheit bildet auch Frontpost aus dem Ersten Weltkrieg. Diese Briefe und Postkarten enthalten Momente des Triumphs wie auch des beschwerlichen Alltags in den Schützengräben Europas. All diese Erinnerungen geben uns Einblick in das, was unseren Vorfahren und vielen von uns wichtig war, Emotionen weckte oder Ausdruck von Passionen, Weltanschauung oder sozialer Schichten war“, sagt die Kuratorin.


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