29.10.2025

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Geriet für einen klar ersichtlich ironischen Kommentar ins Visier der Behörden: Norbert Bolz
Bild: ullstein bildGeriet für einen klar ersichtlich ironischen Kommentar ins Visier der Behörden: Norbert Bolz

Zwischenruf

Einschüchterung des Publikums

Holger Fuß
29.10.2025

Nachdem der Philosoph Peter Sloterdijk 1999 im oberbayerischen Schloss Elmau seine Rede „Regeln für den Menschenpark“ gehalten hatte, brach eine wütende Kontroverse über ihn herein. Sloterdijk hatte es gewagt, in Resonanz auf den Humanismus-Brief von Martin Heidegger von 1947 sich über Eugenik und Menschenzüchtung Gedanken zu machen. Wie üblich bedurfte es weniger einschlägiger Schlagworte, um bei den Kritikern den Lieblingsreflex in Schwingung zu bringen: Sie machten bei Sloterdijk „faschistische Anklänge“ aus.

„Anklänge“ bedeutet, es ist kein Faschismus, auch kein Nationalsozialismus, aber es hört sich eben so an. Die Anklangs-Akrobatik ist deutscher Volkssport seit 1945, seit die Generation der Weltkriegs-Überlebenden sich unbewusst kollektiv darüber verständigt hatte, die überdimensionale Schuld an den NS-Verbrechen durch Stillschweigen und Verdrängung in eine gedeihliche Zukunft zu tragen. Bis heute zucken ihre Enkel und Urenkel wie ertappt zusammen, sobald ihnen einschlägige Trigger-Begriffe begegnen. Womöglich könnte ja vielen Nachfahren der NS-Deutschen auffallen, dass unter ihrem linksliberalen Firnis noch immer Neigungen zu Tyrannei, Judenhass und Herrenmenschentum lauern.

Dies könnte eine unterschwellige Motivation gewesen sein, als 1968 der Strafrechtsparagraph 86a eingeführt wurde, der das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren ahndet. Denn seither wird dieser Paragraph zumeist beim Einsatz nationalsozialistischer Embleme angewendet; wesentlich seltener gilt die juristische Aufmerksamkeit linken Symbolen wie der Sowjetfahne, der Antifa-Flagge oder dem Kalaschnikow-Stern der Rote Armee Fraktion.

Folgen eines Niedergangs
Sloterdijk quittierte seinerzeit den Vorwurf „faschistischer Rhetorik“, wie der „Spiegel“ damals schrieb, mit der kühlen Bemerkung: „Diese Kritiker können vor lauter Rüstung nicht mehr lesen.“ Dieser Befund mangelnder Lesefähigkeit bringt uns zum jüngsten Vorfall in Zeiten der Umtriebe bildungsschwacher Jahrgänge. Am Donnerstag vergangener Woche klingelten morgens um 8.50 Uhr vier uniformierte Polizeibeamte an der Haustür des Medienwissenschaftlers Norbert Bolz in Berlin-Zehlendorf. Sie wiesen einen Hausdurchsuchungsbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vor. Das Vergehen des emeritierten Professors? Bolz hatte im Januar 2024 auf „X“, vormals „Twitter“, ein Wortspiel abgesetzt, in dem er sich über eine Titelzeile in der linken Tageszeitung „taz“ lustig machte. Deren Schlagzeile lautete: „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“. Bolz konterte darauf ironisch: „Gute Übersetzung von ‚woke': Deutschland erwache!“

Aus diesem Gag, der offen ersichtlich das Abrutschen einer links-woken Gazette wie der „taz“ in den NS-Sprachgebrauch mit der von der SA verwendeten Parole „Deutschland erwache!“ aufs Korn nahm, machten gleich vier Behörden einen Straftatbestand: Die staatliche Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ im hessischen Innenministerium meldete den Beitrag von Bolz im November 2024 an die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet beim Bundeskriminalamt, die den Vorgang weiterreichte an die Berliner Staatsanwaltschaft, die sich wiederum vom Amtsgericht Tiergarten einen Durchsuchungsbefehl unterschreiben ließ. Vier Behörden, in denen „der Wille zum Missverstehen“ (Bolz) wirksam war. „Die Welt“ indes wähnt „eine Pandemie der Kontextdyslexie – der Unfähigkeit, sprachliche Aussagen aus ihrem Bezugsrahmen heraus korrekt zu verstehen“.

Die Blamage der links durchgrünten Berliner Justiz ist riesig. Der Aufschrei ob der Verletzung der Meinungsfreiheit hallt bis ins eigene Lager hinein. Sogar die Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang springt Bolz bei: „So ziemlich alles, was ich von Norbert Bolz je gelesen habe, fand ich politisch komplett falsch. Aber solche Razzien sind absurd. Und die so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat.“ Und auch die „taz“ höhnt: „Die taz wundert sich über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, hält eine Hausdurchsuchung wegen eines solchen Tweets für unverhältnismäßig und fragt sich, warum die Staatsanwaltschaft nicht schon 1998 bei der taz geklingelt hat, als wir titelten ,Deutschland, erwache!'“

Die Causa Bolz zeigt auf, wie jemand, der sich seit jeher als rechter Sozialdemokrat verortet, vom linken Zeitgeist zum Rechtskonservativen umetikettiert wird, weil er sich gewissen progressiven Schrulligkeiten verweigert. In seinen „X“-Beiträgen kritisiert Bolz geistreich queerfeministische Eskalationen, er tritt für die heteronormative Familie ein und hat ein ganzes Buch geschrieben über die Renaissance des gesunden Menschenverstandes: „Zurück zur Normalität“. Er gehört zu den umfassend gebildeten Intellektuellen im Lande, hat Philosophie und Religionswissenschaften studiert, und theologisiert souverän in einem Büchlein über „Christentum ohne Christenheit“. In Frankreich wäre eine derartige Übergriffigkeit gegenüber einem Geistesmenschen wohl undenkbar – unvergessen ist der Ausspruch Charles de Gaulles anlässlich der Aufsässigkeiten von Jean-Paul Sartre 1968: „Einen Voltaire verhaftet man nicht.“

Die eigentliche Wirkung des Falls
In der deutschen Gegenwart weitet sich unterdessen das Unbehagen aus, dass es mit der Meinungsfreiheit im Grundgesetz nicht mehr so ernst gemeint ist. Selbsternannte linke Demokratieverteidiger sichern das Schrumpfen des Meinungskorridors mithilfe des Strafrechts ab und setzen auf Einschüchterung. Ein Medienprofi wie Bolz ist kein Opfer, sein Bekanntheitsgrad schnellt durch diesen Vorgang nach oben, und falls es zum Prozess kommt, schreibt er darüber ein Buch. Gefährlicher ist die Wirkung ins Publikum hinein. Laut einer neuen Allensbach-Umfragen glauben 44 Prozent der Deutschen, man solle mit der Äußerung politischer Meinung lieber vorsichtig sein. Die Entmutigungsstrategien der linken Eliten zeigen bereits Wirkung.

Genau dies hörte Bolz auch von den „jungen, netten Polizisten“, die ihm „abschließend den guten Rat gegeben haben, in Zukunft vorsichtiger zu sein“. Gut möglich, dass sich Bolz in diesem Moment an seinen „X“-Beitrag aus dem November 2024 erinnert hat: „Jetzt weiß man wenigstens, was die Politiker meinen, wenn sie sagen, sie wollen die Bürger ,abholen'.“


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