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Leitartikel

Ende eines Politikstils

René Nehring
26.08.2021

Der fluchtartige Abzug der NATO aus Afghanistan in der vergangenen Woche markiert auch das Ende eines prägenden Politikstils der letzten Jahre: das Ausblenden offensichtlicher Fehlentwicklungen durch Wegmoralisieren von berechtigter Kritik.

Obwohl langjährige Beobachter wie Peter Scholl-Latour, Jürgen Todenhöfer oder Volker Perthes beinahe von Beginn an über die Fehlentwicklungen in Afghanistan und im gesamten Orient gesprochen und geschrieben haben und dabei auch die deutsche Außenpolitik in den Blick nahmen, ging die Mission am Hindukusch stets unverändert weiter. Wenn sich Entscheidungsträger überhaupt zu den Aussagen der Experten äußerten, dann meist mit dem Hinweis, dass allzu laute Kritik die hehre Mission gefährde und letztlich „den Falschen“ – in diesem Falle den Taliban – nütze. Wer die Afghanistan-Mission kritisierte, setzte sich schnell dem Vorwurf aus, die Mädchen und Frauen in Kabul, Kunduz oder Kandahar im Stich lassen zu wollen. Nun werden sie erst recht allein gelassen.

Ein ähnliches Muster ist auch bei etlichen innenpolitischen Debatten der letzten Jahre zu beobachten: Warnungen vor den Begleiterscheinungen der Energiewende (zum Beispiel der extreme Anstieg der Strompreise und die zunehmende Versorgungsunsicherheit)? – Gefährden nur das hehre Ziel des „Kampfes gegen den Klimawandel“. Hinweise auf den dramatischen Anstieg bei Vergewaltigungen, Morden und Raubüberfällen im Zuge der Willkommenskultur 2015? – Lieber nicht darüber reden, weil davon auch nur die Falschen profitieren würden.

Schweigen, bis nichts mehr geht

Wie steht es um den wachsenden Abstand der einheimischen Industrie zur Weltspitze in zahlreichen Branchen? – Kein Thema für die deutsche Politik, die lieber über Frauenquoten in DAX-Vorständen diskutiert. Der prekäre Zustand der Bundeswehr, den seit Jahren alle (!) Wehrbeauftragten des Bundestages beklagen? – Unwichtig, solange die Truppe improvisiert; im Zweifel hängt man ihr einfach ein „Haltungsproblem“ (Ursula v. der Leyen) an. Und die wiederholten Verstöße gegen die europäischen Verträge zum Ziele der „Euro-Rettung“? Auch hier würde Kritik nur den Falschen, in diesem Falle den „Gegnern der europäischen Einigung“ nützen.

Offizielle Denk- und Sprechverbote gab es in all den Fällen nie. Aber immer wieder mehr oder weniger laute Hinweise, beim Äußern der Kritik doch bitte auch an die Folgen zu denken.

Neu ist diese Art des Umgangs mit Problemen nicht. Auch in der DDR wurde einst so argumentiert, wenn Ingenieure in den Planungsbüros und Arbeiter an den Werkbänken über fehlendes oder mangelhaftes Material klagten. „Damit nützt du nur dem Klassenfeind“, war noch das Mildeste, was sie zu hören bekamen.

Das Schicksal der DDR freilich sollte – neben den jüngsten Ereignissen in Kabul – all jenen Verantwortlichen zu denken geben, die mit dem Verweis auf die vermeintlich falschen Profiteure berechtigter Kritik jegliche Pflicht zur Rechenschaft über ihr Tun unterbinden wollen. Denn wenn Kritik an Fehlentwicklungen nicht mehr geäußert werden kann, verschwinden nicht die Missstände. Vielmehr verstärken sich diese, weil die Verantwortlichen nun sicher sein können, dass ihr Fehlverhalten ohne Konsequenzen bleibt. Zumindest solange, bis am Ende gar nichts mehr geht.


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Kommentare

Hein ten Hof am 01.09.21, 15:08 Uhr

Alberne Raute hin, alberne Raute her, ABER wie kann ein Mensch in einer derartigen Position derart üble, ungepflegte Hände haben und diese auch noch wie eine Monstranz vor sich hertragen.

Hände sind eine Art Visitenkarte, deuten wohl darauf hin, wie der Rest gepflegt wird, vielleicht auch der Geist. Diese hier abgebildeten könnten gerade irgend etwas ausgebuddelt haben.

Es schüttelt mich.
FRAGE. welche Gruppierungen stehen hinter dieser Raute, wenn die sich ein derartiges Auftreten erlauben kann.

Jan Kerzel am 27.08.21, 17:30 Uhr

Ende eines Politikstils. Hier ändert sich nichts. Der unendlich angehäufte Sumpf gebiert diese Nachtschattengewächse, ja, er muss sie gebären, sonst wäre seine Existenz obsolet. Solange die Makrostrukturen der Bundesrepublik nicht infrage gestellt und geändert werden, ist jede Diskussion über Fehlentwicklungen etc. vertane Zeit. Wo ein Vorschlaghammer nötig wäre, kann ich mit dem kleinen Schraubenzieher nichts ausrichten. Reiner Aktionismus. Love it or leave it. Die PAZ vereint Rebellion und Vertröstung. Könnte auch eine katholische Zeitung sein. Letztlich Arrangement, aber mit Vorbehalt. Pfeifen im Wald.

Chris Benthe am 27.08.21, 14:52 Uhr

Es ist das Ende der Illusionen, nicht aber des Politikstils. Es wird noch eine Weile so weitergehen, mit unbeirrten und unbelehrbaren Protagonisten, bis nichts mehr geht. Ja, es wird Krieg geben, die Vorahnungen haben die Qualität der Dreißiger Jahre erreicht, auch damals lagen die Warner richtig. Das Ende dieses Politikstils wird erst mit dem Ende der kommenden Katastrophe eintreten. Sofern wir das in ausreichender Zahl überleben, können wir dann, von jeglichen Illusionen befreit, den Neuanfang wagen. Nicht wenige werden dann überrascht sein, was dann die Handlungsmaxime sein wird, es wird zu einer völligen Neubewertung dessen kommen, was wir heute unter "Kultur" und Andersartigkeit verstehen. Und zwar aus purer Überlebensnotwendigkeit heraus, ohne jegliche Ideologie. Vielleicht kann man sich wenigstens darauf noch freuen, wenn man das Chaos überlebt.

Reinhard Pantke am 27.08.21, 07:25 Uhr

Keine Panik.
Die Chinesen mögen uns.
Meine Hoffnung.

Tom Schroeder am 26.08.21, 19:33 Uhr

Die ganzen letzten Jahre, insbesondere in D mit Merkel, waren durch rosarote Brillen verklärt und durch moralische Höhenflüge geprägt. Die CDU hat, durch Merkel gesteuert, versucht nun einfach so weiter zu machen - man siehe die Umfragewerte zur BTW. Leider wird wohl künftig kaum diese Projektion der eigenen Idealwelt durch pragmatischen Realismus ersetzt werden - man siehe sich das Personal an - es sind nur Verschiebungen und kolossale Übertreibungen sichtbar. Wenn schon die AFD, bei weitem keine tolle Alternative, und teils noch die FDP die realistischsten Aussagen zur BTW tätigen, sieht es insgesamt eher nach noch schrillerem Politikstil aus. In den USA sind mit Kamel aHarris und den ganzen linken Spinnern bei den Dems, irgendwie wie die Tea-Party Leute bei den Reps, genau solche Kaliber am Werk - hysterische Damen - wie bei uns. Nicht , dass die Herren besser wären.

Die Welt gerät aus den Fugen, wie Perter Scholl-Latour schon einer seiner letzten Buchtitel nannte, und man rettet sich im Westen mit psychologischen Sch0nhaltungen ins geistige Off. Die pragmatischen Chischingpings verfahren weiter nach den alten Mustern der chinesischen Strategeme und werden damit teils erfolgreich sein.

Letztendlich steht die Welt wohl unter Dichte-Stress - zu viele Menschen - wer weiß wie sich das tiefenpsychologisch in sehr großen Gruppen auswirkt. Lemuren, wenn man sie zu dicht zusammen pfercht, beißen und töten sich sogar gegenseitig - ich empfehle hierzu das Buch "Phänomen Stress" von dem Forscher und Kybernetiker Frederik Vester aus den 70er Jahren - es riecht nach Weltkrieg, sehr bedauerlich. Auch damals, vor 1914 u. 1939, war man in entrückt euphorischen Höhenflügen abseits der Realität im Sumpf der eigenen Hybris unterwegs.

Gregor Scharf am 26.08.21, 14:54 Uhr

Es ist kein Politikstil, sondern eine unbeschreibliche Arroganz gepaart mit Selbstüberschätzung, Unfähigeit, Verantwortungslosigkeit, Wortbrüchigkeit, nicht vorhandener Moral und Ehre - also ein Spiegelbild des Westens und seiner Werte.
Und wenn damit das Ende dieses verkommenen Molochs beschleunigt wird, soll es mir recht sein. Ein Neuanfang ist längst überfällig.

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