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Geologie

Europas einziger Supervulkan rumort bedenklich

Die Phlegräischen Felder nahe Neapel zeigen Symptome wie bei einem bevorstehenden Ausbruch. Die Folgen wären katastrophal, doch Wissenschaftler sind sich uneins, wie akut die Gefahr wirklich ist

Wolfgang Kaufmann
02.06.2024

Supervulkane sind die gefährlichsten Vulkane auf unserem Planeten. Sie besitzen extrem große Magmakammern und schleudern im Falle eines Ausbruchs Unmengen von Aschepartikeln und Aerosolen in die Atmosphäre, welche sich dann um den ganzen Planeten verteilen und für stark fallende Temperaturen sorgen. Daraus resultierte wohl das Verschwinden etlicher Arten im Verlaufe der Erdgeschichte. Und beinahe wäre auch der Homo sapiens vor 75.000 Jahren infolge der Eruption des Toba auf der indonesischen Insel Sumatra ausgestorben.

Insgesamt existieren rund 20 Supervulkane auf der Welt, wobei einer davon in Europa liegt. Dieser weist allerdings nicht die typische Kegelform auf, sondern bildet ein rund 200 Quadratkilometer großes Gebiet in der italienischen Region Kampanien mit flachen, kesselartigen Vertiefungen, Lavadomen, Tuffpyramiden und überall verstreuten kleineren kraterförmigen Eruptionsherden, das sich von Bacoli über Pozzuoli und Quarto bis nach Neapel erstreckt. Deshalb kennt man den Vulkan unter dem Begriff Campi Flegrei oder Phlegräische Felder, abgeleitet vom griechischen Wort „phlegein“ (brennen).

In jüngster Zeit gerieten die Campi Flegrei verstärkt in die Schlagzeilen, weil die Erde hier neuerdings unablässig bebt, wobei die Intensität der Erschütterungen ständig zunimmt. Allein im April und Mai gab es weit mehr als tausend Beben rund um den Golf von Pozzuoli, weswegen nun die Angst vor einer Explosion der tickenden geologischen Zeitzünderbombe wächst. Und diese Angst ist auch durchaus berechtigt, denn allen bisherigen Eruptionen im Bereich der Campi Flegrei gingen ähnliche Erdbeben voraus.

Alarmstufe bereits angehoben

Der stärkste bekannte Magma-Ausstoß aus den Kammern in rund vier Kilometern Tiefe, welche vermutlich mehr als 300 Kubikkilometer flüssiges Gestein fassen können, ereignete sich vor etwa 39.000 Jahren und vernichtete alles Leben in weiten Bereichen Süditaliens, während die ausgeworfene Asche bis ins heutige Russland zog. Weitere drei Dutzend Ausbrüche fanden zwischen 13.000 und 7500, 6600 und 6200 sowie 2800 und 1800 v. Chr. statt. Dem folgte eine Eruption im Herbst 1538, in deren Verlauf der 140 Meter hohe Monte Nuovo entstand.

Dabei nahm die Erdbebentätigkeit vor dem vorerst letzten Ausbruch fast 70 Jahre lang zu, ehe der Supervulkan wieder Lava und Asche spuckte. Mit Blick hierauf riefen die Behörden im Jahr 2012 die Alarmstufe Gelb für die Region aus, weil die seismische Aktivität im Bereich der Campi Flegrei seit 1950 kontinuierlich angestiegen war. Und nun steht möglicherweise der Übergang zu Orange bevor. Darüber hinaus bebt die Erde aber nicht nur, sondern wölbt sich auch nach oben, was von einem wachsenden Druck in der Tiefe zeugt. Seit 1950 wuchs das Gelände über der Magmakammer um 4,8 Meter in die Höhe, wodurch auch neues Land aus dem Meer aufstieg. Parallel dazu gab es im Hafen von Pozzuoli immer größere Probleme beim Be- und Entladen von Schiffen, weil sich die Kaimauern unablässig hoben. Ebenso liefen schon mehrmals Fähren zwischen Neapel und Ischia auf Grund.

Aus all dem schließen nun manche Experten, dass die Campi Flegrei vor einer apokalyptischen Eruption stehen. So meinte der Schweizer Vulkanologe Patrick Allard, Neapel könnte „unter 30 Metern vulkanischem Material“ begraben werden, was zahllose Todesopfer fordern dürfte. Dessen Fachkollege Roberto Scandone von der Universität Rom sprach während eines öffentlichen Seminars des Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia (INGV) von einem „explosiven Ausbruch“, der sich „innerhalb von Stunden oder Tagen“ ereignen könne, und fügte dann den folgenden Satz hinzu, welcher sofort durch alle Medien ging: „Wenn ich unbegrenzte Ressourcen hätte, würde ich die Campi Flegrei evakuieren.“

Ähnlich sieht dies Thomas Walter vom GeoForschungsZentrum in Potsdam: Die Campi Flegrei seien „reif für eine Eruption“. Forscher des INGV und des University College London um Christopher Kilburn eine Studie haben im Fachblatt „Nature's Communications Earth & Environment“ eine Studie veröffentlicht, in der es heißt, dass die Gesteinsschichten über der Magmakammer des Supervulkans unter extremer Spannung stünden, was die Gefahr des plötzlichen Aufreißens berge.
Dem entgegnen allerdings andere Vulkanologen wie Stefania Danesi vom INGV: „Wir können nicht sehen, was im Untergrund passiert“, weswegen man besonnen bleiben müsse. Darüber hinaus vermutet Stefano Carlino vom Vesuv-Observatorium: „Die Campi Flegrei könnten in eine neue Routine des sanften Auf- und Abschwellens übergehen, wie dies bei ähnlichen Vulkanen auf der ganzen Welt der Fall ist. Sie könnten auch einfach zur Ruhe kommen. Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, was passieren wird. Wichtig ist, dass wir auf alle Entwicklungen vorbereitet sind.“

„Das ist kein Witz“

Noch gelassener geben sich Giuseppe Mastrolorenzo und Giuseppe De Natale vom INGV, die sogar der Meinung sind, „dass es keine Beweise für das Vorhandensein von Magma unter den Campi Flegrei gibt“ – vielmehr könnten die Erdbeben auch ganz andere Ursachen haben. Und einige Schweizer Vulkanologen um Francesca Forni und Olivier Bachmann von der ETH Zürich vertreten die Ansicht, der italienische Supervulkan stehe erst wieder am Anfang eines Ausbruchs-Zyklus, in dessen Verlauf sich seine momentan noch nahezu leere Magmakammer füllen werde. Daraus ziehen sie den Schluss: „Eine katastrophale Eruption ist kaum in den nächsten 20.000 Jahren zu erwarten, denn das Magmareservoir unter den Phlegräischen Feldern lädt sich nur sehr langsam auf. Einen großen Ausbruch werden wir und künftige Generationen, vielleicht auch die gesamte Menschheit nicht mehr erleben.“

Ungeachtet dessen haben die italienischen Behörden seit 2019 Pläne ausgearbeitet, um eine schnelle Evakuierung der 1,15 Millionen Bewohner der Region um die Campi Flegrei und in Teilen des Großraumes Neapel zu ermöglichen. Hierzu sagte der Präsident des Regionalrates von Kampanien, Vincenzo De Luca: „Das ist kein Witz, sondern die angemessene Art und Weise, sich auf katastrophale Ereignisse vorzubereiten.“


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