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Erst im Buch, jetzt im Film: Die Tochter einer alkoholkranken Mutter zieht ihre „22 Bahnen“
Als Autorin hat sich Caroline Wahl längst freigeschwommen. In diesen Tagen zieht sie in den Feuilletons deutscher Zeitungen ein paar Extrabahnen, nachdem ihr dritter Roman „Die Assistentin“ erschienen ist. Als Hechtsprung obendrauf kommt in dieser Woche die Verfilmung ihres Debütromans „22 Bahnen“, mit dem sie im Jahr 2023 einen Volltreffer landete. Das Buch hat sich Hunderttausende Mal verkauft und stand wochenlang auf den Bestsellerlisten.
So war es nur eine Frage der Zeit, dass für „22 Bahnen“ in den Kinos der Startschuss erfolgt. Selbst eine misslungene Romanverfilmung garantiert immer noch eine einkalkulierbare Zahl von Publikum, welches das Lektüreerlebnis nachträglich in bewegten Bildern bestätigt haben will.
Der Film von Mia Maariel Meyer, das sei allen Wahl-Lesern versichert, ist nicht misslungen. Die Regisseurin erfüllt vollkommen die Erwartungen der Leser, indem sie sich eng an die Romanvorlage gehalten hat. Dafür hat Wahl selbst gesorgt, die an dem Drehbuch mitgearbeitet hat.
Die rührige Handlung um ein Geschwisterpaar, das sich einer alkoholkranken Mutter ausgeliefert sieht, hätte man wie im deutschen Film gewöhnlich in tristen Farben erwartet. Doch das Elend ist gar nicht so betrüblich. Im Gegenteil, es grünt und blüht. Schließlich ist Sommer, auch wenn er verregnet ist, weshalb man in dem Freibad eines Provinzorts, in dem die Heldin Tilda ihre Bahnen zieht, zusätzlich von oben nass wird.
Das Baden ist für sie und ihre zehnjährige Halbschwester Ida die Fluchtmöglichkeit vor dem deprimierenden Heim mit der chaotischen Mutter. Zugleich lebt sie hier im Rosamunde-Pilcher-Glück. Sie hat einen Blick auf einen gutaussehenden Schweiger (Jannis Niewöhner) geworfen, der mit ihr nicht gleich „zur Sache“ will. Zugleich steckt sie in der Zwickmühle: Die Mathematikstudentin hat ein Angebot für eine Promotionsstelle in Berlin erhalten. Soll sie mit einem Umzug die jüngere Schwester ihrer unberechenbaren Mutter überlassen, und soll sie ihrer aufkeimenden Liebe entsagen?
Dieses Aschenputtel-Märchen kommt ohne rosa-rote Töne aus. Es ist eher in Blau gehalten: Entweder ist das Schwimmbecken blau oder die Mutter, die von Laura Tonke zum Umfallen tragisch gespielt wird. Luna Wedler und Zoë Baier bilden das schicksalhaft verbundene Prinzessinnenpaar mit einer bewundernswerten Intensität. Hätte sich aber Regisseurin Meyer nur etwas von der Vorlage gelöst und etwas filmisch Eigenständiges geschaffen, dann hätte der Film zu einem Kinoschlager werden und der Bestseller-Vorlage Paroli bieten können.