27.07.2024

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Nordsee

Föhr und seine Seefahrer

Sonnenhungrige Urlauber werden in diesem Sommer wieder in Wyk auf Föhr erwartet – Preußen und Seeleute prägten die Insel

Dagmar Jestrzemski
03.06.2024

Die Insel Föhr im nordfriesischen Wattenmeer ist ein Touristenmagnet. Im vorigen Jahrzehnt hat sich die Zahl der Übernachtungsgäste allein in der Inselhauptstadt Wyk mit nahezu 920.000 fast verdoppelt. In Relation zu den
8500 Einwohnern ist das eine enorme Größe. Abseits vom Strandleben an der Nordsee und einem großen Angebot an sportlichen Aktivitäten bietet sich den Urlaubern auf Föhr eine erstaunlich abwechslungsreiche Landschaft mit Dünen, Marsch, Wäldern und Heide.

Da die 83 Quadratkilometer große, wie ein Pfannkuchen geformte Insel durch die vorgelagerten Nachbarn Amrum und Sylt vor der starken Nordseebrandung geschützt ist, entwickelte sich Wyk seit den Anfängen im Jahr 1819 mit einer kleinen Badeanstalt zu einem ausgesprochenen Familienbad. Das ungewöhnlich milde Seeklima brachte ganz besonders den Kindern nachhaltige Kräftigung und Gesundung. Seinen Durchbruch verdankte das Seebad dem dänischen König Christian VIII., der die Inselhauptstadt Wyk 1842 zur Sommerresidenz erkor.

Bis zum Deutsch-Dänischen Krieg im Jahr 1864 bildeten der Westteil von Föhr, das sogenannte Westerland Föhr, und die Insel Amrum eine „Harde“ – einen Verwaltungsbezirk – im Königreich Dänemark, während Osterland Föhr mit Wyk zum Herzogtum Schleswig gehörte. Infolge des verlorenen Krieges musste der dänische König Schleswig mit den nordfriesischen Inseln, Holstein und Lauenburg an Preußen und Österreich abtreten. 1866 annektierte Preußen die Herzogtümer Schleswig und Holstein.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Tourismus auf Föhr die wichtigste Einkommensquelle. Bei einem Besuch des Friesenmuseums in Wyk kann man sich eine Vorstellung von den schwierigen Lebensumständen der Insulaner in früheren Jahrhunderten machen. Das Museum widmet sich der Wahrung friesischer Kulturgeschichte und hat einen weiteren Schwerpunkt auf der Naturkunde.

Die alteingesessenen Föhringer sind traditionsbewusst. So hat die in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene lokale Festtracht der Frauen einen besonderen Stellenwert. Dank der Ferring-Stiftung wird die Sprache „Fering“, das Föhrer Friesisch, lebendig gehalten.

Föhringer profitierten vom Walfang

Föhr ist es wie keiner der vier Nachbarinseln gelungen, architektonisch ein typisches Friesenbild zu bewahren. Nieblum, das größte Dorf der Insel, wurde 1979 als das schönste Dorf Deutschlands ausgezeichnet. Wer seine Urlaubswohnung in einer der zahlreichen Reetdachhäuser in Wyk oder in den Dörfern nimmt, fühlt sich unwillkürlich in die Zeit der Walfänger zurückversetzt. Erst als der arktische Walfang, auch „Grönlandfahrt“ genannt, nach der großen Sturmflut von 1634 immer bedeutender wurde und die männliche Bevölkerung sich in großen Teilen der Seefahrt zuwandte, verbesserten sich die Lebensumstände der bitterarmen Bauern auf Föhr und Amrum.

Im Frühjahr 1701 fuhren von Föhr rund 1000 Seeleute auf Walfangschiffen ins Nordmeer. Die gemeißelten Inschriften der berühmten „Sprechenden Grabsteine“ auf den Friedhöfen der St.-Laurentii-Kirche in Süderende, der St.-Johannis-Kirche in Nieblum und der St.-Nikolai-Kirche in Boldixum (heute Ortsteil von Wyk) erzählen vom Leben der Walfang- und Handelsschiffskapitäne und ihrer Ehefrauen.

Legendär waren die Fangerfolge des Walfangkommandeurs Matthias Petersen aus Oldsum (1632–1706), der während seiner langen Laufbahn mit seinen Mannschaften 373 Wale in den Buchten Spitzbergens erlegte. Er kam zu großem Wohlstand, was ihm den Beinamen „der Glückliche“ einbrachte. Ungezählte Seefahrer aber fanden den Tod, wenn ein Schiff an den schwierigen Witterungsverhältnissen im sturmgepeitschten Nordmeer scheiterte. Große Not bedeutete es auch für die Familien, wenn ein Walfangschiff ohne Fang zurückkehrte.

Infolge des Rückgangs der Walbestände wandten sich die Föhrer Seefahrer Ende des 18. Jahrhunderts der Handelsschifffahrt zu. Dank einer gründlichen Ausbildung in den örtlichen Navigationsschulen waren die tüchtigen Seeleute und Kapitäne von Föhr bei Reedereien im In- und Ausland hochgeschätzt.

Rickmers „Sprechender Grabstein“

Der erfolgreichste und wohlhabendste von allen war Jürgen Rickmers aus Süderende (1825–1907). Von seinen abenteuerlichen Seereisen auf allen Weltmeeren erzählen sein Urenkel Bente Faust und der Journalist Claus Lieckfeld in ihrer spannenden neuen Romanbiographie „Das Süderende der Welt. Die sieben Leben des Jürgen Rickmers“. Ihr Buch basiert auf einem authentischen Bericht von Rickmers selbst, den ein „Skribent“ namens Broder Stern 1865 in dessen Auftrag abgefasst hat. Zufällig war Faust beim Ausräumen des Dachbodens eines Hauses, das Rickmers 1895 für seinen Sohn Lorenz Hinrich erbauen ließ, auf das Manuskript seines weit gereisten Vorfahren gestoßen.

Als junger Steuermann fuhr Rickmers mit seinem Onkel Ocke Hinrich Flor für die Reederei Sloman von Hamburg nach New York. Seine Laufbahn als Frachtschiffkapitän begann als 26-Jähriger mit einem Schiffbruch im Chinesischen Meer. Das Schiff, die „Ma­thilde“, der New Yorker Reederei Funch & Meincke ging mitsamt der wertvollen Fracht verloren, doch er und einige Leute seiner Mannschaft wurden aus Seenot gerettet. Zusammen mit ihren chinesischen Rettern entgingen sie anschließend glückhaft einem Piratenüberfall.

Später kommandierte Rickmers mehrere Schiffe für dieselbe New Yorker Reederei. Er war auf allen Weltmeeren unterwegs, transportierte Tausende Auswanderer von Hamburg nach New York, darunter auch Einwohner von Föhr, und segelte Goldsucher nach Kalifornien. Trotz schwerer Erkrankung mit hohem Fieber überstand er eine Überquerung der Landenge von Panama auf einem Maultier.

Später wurde er verdächtigt, während des Amerikanischen Bürgerkrieges Waffen in die Südstaaten geschmuggelt zu haben. In Wirklichkeit hatte er dringend benötigten Reis durch die Seeblockade der Nordstaaten hindurchmanövriert. Mit der Trampschifffahrt, einer Bedarfsfahrt ohne festgelegten Fahrplan, verdiente Rickmers ein Vermögen.

Im Alter von 39 Jahren setzte er sich in Süderende zur Ruhe, wo er im Alter von 82 Jahren starb. Er liegt auf dem Friedhof Sankt Laurentii in Süderende begraben, wo ein Sprechender Grabstein auch Rickmers' Lebensgeschichte für die Nachwelt ausplaudert.


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