11.12.2024

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Als Hüter des Grundgesetzes

Garant des Rechtsstaats

Seit fast einem dreiviertel Jahrhundert beweisen die Karlsruher Richter ihre Unabhängigkeit gegenüber der Politik

Bernhard Knapstein
10.11.2024

In den vergangenen zehn Jahren ist viel zur Demokratieverdrossenheit geschrieben worden. Die von Altkanzlerin Angela Merkel zugelassene illegale Massenimmigration mag den Ausschlag dafür gegeben haben, dass nicht nur der Politik, sondern auch den verschiedenen verfassungsrechtlichen Institutionen Misstrauen entgegenschlägt. Die Lockdown-Politik in den ersten Corona-Jahren war der zweite kritische Pflock, den die Politik in den Boden rammte, was womöglich damals das Staatswesen sichern sollte, de facto aber eher zu Misstrauen gegenüber dem politischen System beigetragen hat. „Wir haben in Deutschland eine gewisse Politikverdrossenheit, bei einigen vielleicht sogar eine Demokratieverdrossenheit“, konstatiert der Verfassungsjurist Hans-Jürgen Papier aus Anlass des 75. Jahrestags der Begründung des Grundgesetzes in der „Neuen Zürcher Zeitung“. Fels in der Brandung scheint dabei das Bundesverfassungsgericht zu sein.

Das höchste deutsche Gericht genießt seit Jahrzehnten einen guten Ruf, weil es sich in vielen Entscheidungen, etwa in Normenkontrollverfahren, auch mal gegen Bundesregierung oder Parlament gestellt hat. Es dokumentiert damit eine spürbare Unabhängigkeit. Karlsruhe wirkt vor diesem Hintergrund wie eine Bastion gegen eine Unterwanderung des Rechts. Zumal auch einfache Bürger das Gericht anrufen können, wenn sie nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel sich noch immer in ihren Grundrechten verletzt sehen.

Meilensteine der Rechtsgeschichte
Große Entscheidungen des Gerichts in der deutschen Verfassungsgeschichte haben zu einem hohen Ansehen des Bundesverfassungsgerichts geführt. 1959 entschied Karlsruhe beispielsweise, dass bei streitigen Erziehungsfragen zwischen Ehepartnern der sogenannte Stichentscheid des Vaters nichtig sei und brachte damit die elterliche Sorge zugunsten einer Gleichberechtigung beider Elternteile ins Gleichgewicht (BVerfGE 10, 59 ff.).

1973 setzten sich die Karlsruher Richter im aufsehenerregenden Grundlagenvertragsurteil mit dem Rechtsstatus Deutschlands auseinander und entscheiden, „das Deutsche Reich existiert fort, besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig“, die Bundesrepublik sei insoweit teilidentisch mit dem Deutschen Reich, und bestätigte in der Folge auch das Wiedervereinigungsgebot, das kein Verfassungsorgan aufgeben dürfe.

Und 1985 sicherte das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Brokdorf-Urteil die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit gegen exzessive Reglementierungen per Gesetz oder durch Verwaltungshandeln. Eingriffsmaßnahmen dürfe der Staat nicht an Polizeigesetzen orientieren, sondern nur anhand des grundrechtsschonenden Versammlungsrechts. Eingriffe dürften auch nicht mit dem bloßen Hinweis auf eine gewaltbereite Minderheit erfolgen.

Umstrittene Entscheidungen
Solche Urteile, welche die Gleichheits- und Freiheitsrechte stärkten, fanden in der Bevölkerung oft mehr Respekt als bei Regierungen.

Blickt man heute auf das Bundesverfassungsgericht, so mag einem die Entscheidung des Gerichts zum Euro-Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt 2014 erinnerlich sein, mit dem Karlsruhe die Haftung Deutschlands für Schulden anderer europäischer Staaten unter Auflagen für statthaft erklärt hatte.

Mehr Aufregung erzeugte die Entscheidung des 1. Senats zum sogenannten Bundesnotbremsegesetz (Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite) vom 19. November 2021. Damals stützte das oberste Gericht in mehr als 450 Verfassungsbeschwerden die der Bevölkerung gesetzlich auferlegten Ausgangsbeschränkungen, die selbst nachts auf dem platten Land gelten sollten, wenn der Inzidenzwert über 100 liegen würde. Die damaligen Eingriffe in die Grundrechte findet auch Verfassungsrechtler Papier heute angreifbar. „Infektionsschutz durch Verbote war sicher notwendig, aber vieles war nicht verhältnismäßig, beispielsweise rigorose Ausgangssperren oder zahlreiche Kontaktverbote.“ Papier war und ist nicht der einzige Verfassungsrechtler, der die damalige Entscheidung des höchsten Bundesgerichts für problematisch erachtet. Und die aktuellen Forderungen nach Aufarbeitung der vom Gericht bestätigten Lockdown-Politik belegen, dass sich Karlsruhe hierbei angreifbar gemacht hat.

Dass das Misstrauen wächst, ist daran erkennbar, dass in früheren Dekaden nie Anstoß genommen wurde an schon früher üblichen Arbeitstreffen zwischen Bundeskanzleramt und Präsidenten des Verfassungsgerichts. Als im Juni 2021 die Verfassungsbeschwerden gegen die „Bundesnotbremse“ auf den 1. Senat einprasselten, erregte hingegen das Arbeitsessen des Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth und seiner Vizepräsidentin Doris König im Bundeskanzleramt internationale Aufmerksamkeit.

Zu viel Einfluss auf die Politik
Der Ruf des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Vorgaben des Grundgesetzes ist auch heute gut. Dennoch ist inzwischen laut Umfragen jeder dritte Deutsche der Ansicht, „dass das Gericht einen zu großen Einfluß auf die Politik“ ausübt. Dieser Wert ist im Übrigen unabhängig von der parteipolitischen Präferenz der Befragten. Zum 60. Jahrestag waren nur 25 Prozent derart skeptisch.

Der Vertrauensverlust in Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht geht einher mit dem Zuwachs der Stimmenanteile an den politischen Rändern, allen voran AfD und BSW. Es passt daher ins Bild, dass der Bundestag und auch die meisten Staatsrechtler das Bundesverfassungsgericht nun gegen politische Eingriffe im Wege einfacher parlamentarischer Mehrheiten durch Anpassungen im Grundgesetz absichern wollen.


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