Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Ein ergreifendes Bekenntnis
Die Königsberger Dichterin Agnes Miegel (1879–1964), die im März 1945 ihre zerbombte Vaterstadt verließ, betrauerte die Zerstörung ihrer Heimat Ostpreußen in dem Gedicht „Es war ein Land“, welches mit folgenden Versen Herz und Seele tief berührt:
„Es war ein Land – wir liebten dies Land. Aber Grauen sank drüber wie Dünensand.“
Das Schicksal der Menschen, die dieses Land liebten, beschreibt sie mit wenigen, aber starken Worten:
„Sie erstarrten im Schnee, sie verglühten im Brand, Sie verdarben elend in Feindesland, Sie liegen tief auf der Ostsee Grund,
Flut wäscht ihr Gebein in Bucht und Sund ...“
Die das Land verließen, „treiben heimatlos“, leiden unter Heimweh und Einsamkeit, und das „Joch drückt hart“. Zurück blieb ein verwüstetes Land, über das die Apokalypse hereingebrochen war.
Für alle ging das Leiden weiter. Der „Königsberger Express“ hatte bereits im Januar diese Schicksale von Millionen Menschen beleuchtet, über die es inzwischen zahllose und ebenso erschreckende Berichte gibt. Wie tief diese Menschen traumatisiert sind, hängt nicht zuletzt von ihrem Alter ab. Es ist ein Unterschied, ob sie in dem Inferno Flucht und Heimatverlust Heranwachsende oder Kleinkinder waren. Wenige Jahre sind da plötzlich von großer Bedeutung.
Vergessen oder Schuldgefühle
Wer die Schrecknisse bewusst miterlebt hat, ob als Erwachsener im Überlebenskampf und mit Verantwortung für die Kinder und alten Verwandten, oder als Jugendlicher, der plötzlich die Eltern und Geschwister begraben musste, war oft auch als älterer Mensch nicht fähig, über das Erlebte zu sprechen. Die Stimme versagte. Umherirrende Kinder wie die sogenannten Wolfskinder gaben mitunter später vor, alles vergessen zu haben. Anderen blieb eine panische Angst vor den Eroberern im Gedächtnis. Hinzu kamen Schuldgefühle, weil man überlebt hatte, während die Geschwister verhungert waren und Verwandte oder Nachbarn erschossen worden waren.
Eine schwere Hypothek lastete auf allen Beteiligten, als sie nach Jahrzehnten die alte Heimat wieder besuchen konnten. Die Menschen aus der Königsberger Oblast, Deutsche wie auch Russen, waren besonders betroffen, denn ihre Heimat war 46 Jahre lang militärisches Sperrgebiet. Erst 1991 konnte ein Miteinander von Deutschen und Russen beginnen.
Darf ich als Autorin dieses Beitrags an dieser Stelle mein persönliches Schicksal darlegen? Ich selbst bin am 27. Januar 1945 auf der Flucht aus meinem Heimatdorf Heiligenwalde bei Königsberg geboren. So wurde mein Geburtsort die Stadt Stolp in Pommern, heute im polnischen Bereich. Die Traumata der Flucht, der Lagerzeit in Dänemark und der Ankunft 1947 im zerbombten Westdeutschland haben mich nicht getroffen. Das deutsche Königsberg und das deutsche Heimatdorf habe ich nicht gekannt.
Durch Erzählungen im Familienkreis und in der Landsmannschaft Ostpreußen wurde die unbekannte Heimat zu einem Sehnsuchtsort, zu einer Obsession, verstärkt dadurch, dass es ein verschlossenes Land war. Die Schicksale im Familien- und Bekanntenkreis riefen Schuldgefühle hervor. Andere hatten Schreckliches durchmachen müssen – man selbst wusste nichts davon. Überhebliche Bemerkungen, wenn es um die Kenntnis der verlorenen Heimat ging, riefen eine Granatenwut hervor. „Du kennst das ja alles nicht!“
Oder noch schmerzlicher die Frage: „Woher weißt Du das denn?“
Dann kam „Perestroika“ und endlich wurde die Reise „nach Hause“ möglich. Nur wenige Landsleute haben ein solches Glück wie ich erlebt. Mein Heimatdorf Heiligenwalde stand, mit der Kirche, der Schule, mit Häusern aus deutscher Zeit und mit meinem Elternhaus. Die russischen Bewohner empfingen die deutschen Besucher gefühlt wie lange erwartete Gäste. Der Schulleiter Georg Artemjew war Germanist. So hatte man auf Anhieb den eigenen Dolmetscher. Ein Füllhorn von Glück wurde über mich gegossen. Am 5. April 1992 sah ich mein Dorf zum ersten Mal – mein Herz zersprang beinahe. Im Sommer 1992 wohnte ich bereits dort ...
An der Hoffnung festhalten
Unbelastet von Erinnerungen an die deutsche Zeit, unbelastet von schlimmen Erfahrungen, unbelastet von irgendwelcher „Russenangst“ – ich bekam meine Heimat wiedergeschenkt. Doch es meldeten sich oft schwere Gedanken. Unsere Gerda aus Fuchsberg fand nur ein Stück Dachfirst vom Stall ihres Hofes. Und doch reiste sie noch oft in die Heimat. „Ich muss noch einmal über meine Felder gehen!“
Ich hingegen hatte alles, wirklich alles. Andere wurden von furchtbaren Erinnerungen heimgesucht, über die die Reisekameraden sich entsetzten. Und ich genoss die schönsten Ferien und die fröhlichsten Feste. „Prasnick“ war stets angesagt. Es geht nicht gerecht in der Welt zu.
Das schwere Herz mahnt zur Tätigkeit. Gerade so viel Glück ruft zum Einsatz für Freundschaft und Verständigung auf, zumal man noch ein Versäumnis eingestehen muss. Die Deutschen, die endlich die Heimat sehen durften, hatten nicht genug Verständnis für die russischen Freunde, für die Perestroika ein schwerer Einbruch war. „Es war eine schwere Zeit!“, konnte man später noch oft von russischer Seite her hören, und dann meldet sich das schlechte Gewissen.
Aber: Die Zeiten waren immer schwer. Nur an der Hoffnung können und müssen wir immer wieder festhalten.