Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Selten ist den einst bedeutenden europäischen Großmächten ihr dramatischer Abstieg so rabiat vor Augen geführt worden wie auf den vergangenen beiden Gipfeln zum Ukrainekrieg in Alaska und Washington. Vor wenigen Generationen noch waren Deutschland, Großbritannien und Frankreich jeder für sich eine gewichtige Stimme auf der Welt, überall auf dem Planeten respektiert und gehört. Bei den jüngsten Gipfeln waren sie entweder gar nicht mehr vertreten oder erschienen wie Bittsteller, ja, wie tributpflichtige Vasallen.
Wie konnte es zu diesem Abstieg kommen? Mag das spezifische Gewicht der europäischen Mächte, also etwa ihre Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft im Verhältnis zum Rest der Welt, auch zurückgegangen sein, im Vergleich zu den USA und erst recht zu Russland können die Europäer bei diesen wichtigen Eckwerten immer noch auftrumpfen. Warum ihr politischer Einfluss so weit hinter ihrem tatsächlichen Fundament zurückbleibt, ist daher eine zentrale Frage unserer Zeit, in deren Beantwortung der Ausweg aus der selbst verschuldeten Abwärtsspirale zu finden ist.
Im Hinblick auf die Deutschen gilt: Nach dem Ende des Kalten Krieges und der glücklichen Vereinigung ihres Rumpfstaats, den die Katastrophen des 20. Jahrhunderts übrig gelassen hatten, haben sie es sich in allerhand Illusionen gemütlich gemacht, die jetzt auf sie zurückschlagen. Sie machten sich vor, dass nationale Interessen- und Machtpolitik für immer ausgedient habe und verkauften diese Vorstellung gar als „Lehre aus der deutschen Geschichte“: NATO und EU sollten an die Stelle nationaler Machtpolitik treten, indem sie Letztere obsolet machten.
„Ohne Patriotismus geht es nicht“
Aus diesem Grunde wurde nicht nur die Landesverteidigung sträflich vernachlässigt. Nur in diesem Treibhaus der eingebildeten Sicherheit konnten auch ideologiegetriebene Phantasterein gedeihen, die längst an den Grundpfeilern unseres Gemeinwesens nagen und damit unser immer noch vorhandenes Potential als Macht in der Welt gefährden: Entindustrialisierung, Überschuldung, ausufernde Sozialkosten und Bürokratie, eine selbstzerstörerische Einwanderungspolitik, Bildung und Infrastruktur im Verfall – nur eine Nation, die vergessen hat, dass sie die Grundlagen ihrer Existenz stetig in Stand halten und weiterentwickeln muss, die sich viel zu sicher fühlt, kann einen Niedergang auf solcher Breite und in dieser Rasanz mit Schulterzucken quittieren.
Um seine Stellung in der Welt zu behaupten, sind dies aber nur die materiellen, profanen Pfeiler. Hinzu kommt ein geistiger, der auf Dauer ebenfalls unverzichtbar ist und der in Deutschland wohl heftiger unter die Räder geraten ist als in allen anderen europäischen Völkern: Das Selbstverständnis als stolze Nation ist unerlässlich, um den Sinn jedweder Selbstbehauptung überhaupt begreifen zu können, intellektuell wie emotional. Der 2019 verstorbene Historiker Arnulf Baring brachte es auf die kurze Formel: „Ohne Patriotismus geht es nicht.“
Die Bundeswehr bekommt die trostlosen Resultate des geschwundenen Nationalbewusstseins der Deutschen gerade schmerzhaft zu spüren: Sie findet viel zu wenig junge Menschen, die bereit sind, „zur Fahne zu eilen“, wie dies einst genannt wurde. Warum auch sollen sie für ein Land ihr Leben riskieren, das „Vaterland“ zu nennen sie bereits üblen Verdächtigungen aussetzen könnte? Dessen Geschichte in der verbreiteten Darstellung meist auf die dunkelsten Kapitel reduziert wird, hinter denen die hell strahlenden Seiten ihrer Vergangenheit zu verblassen scheinen?
Diese Schlagseite ist auch insofern destruktiv, weil durch sie die Integration und Assimilation der vielen Millionen Einwanderer schwer gelingen kann. Nur wenn sich eine Nation attraktiv präsentiert, mag man als (noch) Fremder gern dazustoßen. Wer meint, diese Integration gelinge durch bloßen Wohlstandszuwachs oder gar soziale Leistungen, unterschätzt die Immigranten nicht nur gewaltig. Er degradiert sie geradewegs zu seelenlosen Materialisten, womit er bei den allermeisten danebengreifen dürfte.
Deutschland muss sich also zweierlei Herausforderungen stellen: Seiner Wiederaufrichtung als selbstbewusste Nation im geistigen Sinne und der schonungslosen Rückkehr zu Vernunft und Pragmatismus im materiellen. Nur beides zusammen wird die Deutschen in den Stand setzen, ihrer nationalen wie internationalen Verantwortung als große Macht an „der windigsten Ecke Europas“ (Arnulf Baring) gerecht zu werden.
Nie mehr am Katzentisch
Es versteht sich, dass beides ein mühsamer Prozess ist. Aber die Erfahrung der Nachkriegszeit lehrt: Was zerstört wurde, kann wieder aufgebaut werden. Vieles sogar besser, als es war. Denn die Wiederaufrichtung als selbstbewusste Nation beinhaltet die Lehren aus NS-Wahn, SED-Diktatur und all den anderen Fehlern, die gemacht wurden, sonst kann sie nicht gelingen. Wer einfach nur „zurück“ will, verliert sich bestenfalls in historischer Vergeblichkeit, denn ein solches Zurück gibt es nicht. Und das ist gut so, denn schließlich war es diese Vergangenheit, die uns dahingebracht hat, wo wir heute stehen.
Doch das starke und stolze Erbe dieser Nation, das den Fehlern gegenübersteht, das kann einen festen Sockel geben für gereiftes Deutschland. Die Erfahrungen gerade dieser Tage, das Erleben von Machtlosigkeit in den Wirren der globalen Erschütterungen und von Starre und Niedergang im Innern, sollte die Unverzichtbarkeit eines in dieser Weise gereiften Deutschland unübersehbar machen.
Warum hier so viel von Deutschland, und – den üblichen Diskussionen entgegen – so wenig von Europa die Rede ist? Es gibt weder einen Staat Europa noch eine europäische Nation. Die europäische Zusammenarbeit kann daher nur gelingen und dauerhaft fruchtbringend sein, wenn die Nationalstaaten ihre Mission erfüllen. Das gilt für Deutschland ebenso wie für Frankreich, Großbritannien und all die anderen. Dann können sie gemeinsam eine Stärke entfalten, welche sie wieder zu einer gewichtigen Stimme in der Welt macht. Und dann wird es auch niemand mehr in Betracht ziehen, sie an den Katzentisch zu verbannen.