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Haltung geht vor Wirklichkeit

Der Journalist Birk Meinhardt beschreibt seine Erfahrungen bei der „Süddeutschen Zeitung“: Veröffentlicht wird, was ins Weltbild passt

Erik Lommatzsch
31.08.2020

Irgendetwas muss an diesem Buch gefallen. Die arg lieblose äußere Form ist es mit Sicherheit nicht. Allerdings war die erste Auflage, immerhin 2000 Exemplare, so schnell verkauft, dass „Wie ich meine Zeitung verlor. Ein Jahrebuch“ von Birk Meinhardt zeitweise nicht lieferbar war. Der Verlag „Das Neue Berlin“ druckte noch einmal 3000 Stück, die reichten auch nicht. Inzwischen gibt es eine 3. Auflage. All das in wenigen Wochen.

Meinhardt, Jahrgang 1959, wuchs in der DDR auf, studierte in Leipzig Journalistik und arbeitete im Sportressort der „Wochenpost“ sowie der „Jungen Welt“, damals Zeitung der offiziellen Jugendorganisation FDJ. Freimütig räumt er ein, „kein Ostler, der bis zum Ende, bis zur Wende Journalist war, sollte auch nur den Anschein erwecken, er sei Widerständler gewesen“.

Die Zeitung, die Meinhardt „verlor“ ist die „Süddeutsche“. Es ist die Geschichte einer großen Enttäuschung und, wenn man das inzwischen inflationär gebrauchte Wort verwenden mag, zugleich eine Abrechnung. Eine Enttäuschung über die „Süddeutsche“, bei der Meinhardt „der erste Ostler in der Redaktion“ wurde, zunächst weiter für Sport zuständig, aber bald im Reportagebereich.

Seine Erwartung, die aus der DDR bekannten Bevormundungen hinter sich gebracht zu haben, erfüllte sich nicht. „Lehren“ habe er mit der Wende gezogen, er habe mit sich abgemacht, „ungesunde und mich ewig beschäftigende Kompromisse nicht mehr einzugehen“. 1992 fing er bei der „Süddeutschen“ an, 2012 kündigte er – die Freiheit war doch nicht so groß wie angenommen, was er auf einem längeren Weg immer stärker erfuhr.

Unbequeme Texte nicht gedruckt

Eine Abrechnung ist das Buch anhand „seiner“ Zeitung, aber stellvertretend für den Betrieb in den Redaktionen der großen Medien seit ... ja, seit wann? Die Frage stellt Meinhardt auch, im Rückblick sagt er, dass die Tendenzen nicht erst in den jüngsten Jahren sichtbar wurden. Ein Dauerzustand sei es geworden, „einer Haltung Ausdruck zu verleihen und nicht mehr der Wirklichkeit“. Letztere werde um die Teile reduziert, „die nicht zur Haltung passen“. Eine Episode vom Anfang des Buches ist vielsagend für die Konstellationen im doch nicht ganz so freien Westen, zumindest nicht so frei, wie ihn sich Meinhardt und andere, die in der DDR gelebt hatten, vorgestellt hatten. Auch die „Frankfurter Allgemeine“ hatte anfangs Interesse an ihm. Dort wurde er gefragt, ob er in der SED gewesen sei. Meinhardt bejaht. Dem Gedanken, die Mitgliedschaft sei als Journalist nicht ganz freiwillig gewesen, widersprach er. Niemand habe ihn gezwungen. Sein Gesprächspartner war nun weniger offen, was Meinhardt zu der Erkenntnis brachte, „dass er einen Opportunisten akzeptiert hätte“.

Bei der „Süddeutschen“ reüssierte er, zweimal erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis, heute Bestandteil des Henri-Nannen-Preises. Verwundert zeigte sich Meinhardt, als er 1999 eher beiläufig erfuhr, dass der Außenpolitikchef der Zeitung „darauf gedrungen habe“, NATO-kritische Leserbriefe zum Kosovo „nicht oder nur ganz vereinzelt zu bringen“. Allerdings beschäftigte ihn das zunächst nicht weiter. Ganz anders war es dann mit seiner Reportage über die Deutsche Bank, Verflechtungen, Einflussnahmen und das Schicksal eines Unternehmers, der in den Ruin getrieben wurde, weil die Bank Kreditzusagen nicht einhielt. 2004 recherchierte er auf Anregung seines Ressortleiters. Gedruckt wurde die aufwendige Reportage nicht, nachzulesen ist sie, wie auch andere von der „Süddeutschen“ nicht veröffentlichte Artikel, in „Wie ich meine Zeitung verlor“.
Meinhardt erfuhr mit dem Deutsche-Bank-Thema, wie nicht Argumente, sondern Meinungen den Ausschlag geben.

Vorgeworfen wurde ihm, er habe eine „Verschwörungsgeschichte“ geschrieben, zitiere Personen, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen wollen – was bei heiklen Themen gängig ist – und überhaupt gehöre die Geschichte des ruinierten Unternehmers nicht in den Beitrag. Meinhardt erinnert das an die DDR, da gab es „viele Leute, in deren Denken es nicht vorgesehen war, das System grundsätzlich zu kritisieren“.

Skandalpotenzial bis heute bietet eine Reportage von 2010. Es ging um die Frage, ob es in dem spürbaren Vorverurteilungsklima auch „Rechte“ oder vermeintlich „Rechte“ gibt, die von der Öffentlichkeit und in der Folge von Gerichten für Taten verantwortlich gemacht wurden, die sie nicht begangen haben. Auf – tatsächliche – Gewalt von Rechtsextremisten weist Meinhardt in seinem Artikel gleich zu Anfang hin. Dann jedoch schildert er zwei Fälle von zu Unrecht Angeprangerten. Im ersten saß ein damals zwar zum entsprechenden Milieu gehörender Mann über vier Jahre unschuldig im Gefängnis, der Brandanschlag und der versuchte Mord gingen aber nicht auf sein Konto. Der Richter ignorierte Zeugenaussagen und entschied unter dem öffentlichen Druck.

„Ohne Differenzierungen“

Im zweiten Fall wurde ein Unschuldiger medienwirksam sogar in Karlsruhe vorgeführt. Den betrunkenen und ausfälligen Schwarzen hatte er nachweislich nicht niedergeschlagen. Eine sehr unrühmliche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Angela Merkel, die eine schnelle Aufklärung verlangt hatte, der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm oder Günther Jauch, der die falschen Anschuldigungen im TV gehörig verstärkte. Zurückgezogen hat Meinhardt die Reportage dann selbst, zu viel sollte er ändern, Jauch am besten ganz weglassen. Zudem könnten „Rechte“ sie als Beleg für ungerechtfertigte Verfolgung nehmen.

Ohne sich auf eine Seite zu schlagen, kritisiert Meinhardt Einseitigkeiten „seiner“ Zeitung. So, wenn es heißt, die AfD habe sich zum Parteitag in einem Hotel „zusammengerottet“ oder den pauschalen Gebrauch des Wortes „Flüchtlinge“. Er vermisst eine Geschichte über vom Verhalten der Einwanderer desillusionierte Helfer und das Anmahnen der im Bundestag ausgeblieben Grundsatzdebatte über die Immigrationskrise. Was Russland anbetreffe, komme das Blatt schon „seit Jahren ohne Differenzierungen aus“. Insgesamt versteht man nach Meinhardts Buch noch besser, warum die „Süddeutsche“ vielen – der Autor gebraucht den Begriff nicht – als „Alpenprawda“ gilt.

Birk Meinhardt
Wie ich meine Zeitung verlor: Ein Jahrebuch
Berlin 2020, Das Neue Berlin, 144 Seiten, 15 Euro


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Kommentare

sitra achra am 03.09.20, 12:06 Uhr

Die SZ spielt immer dieselbe Leier. Das ist geisttötend und schrecklich langweilig. Soviel Hirngeschädigte gibt es nicht, dass diese Gazette mittelfristig, selbst mit Staatshilfe, überleben kann. Kulturliebende und intellektuell ausgerichtete Leser wenden sich mit Grausen von dieser Stasipostille (Neues Bayern) ab.

Sandra Krass am 02.09.20, 19:09 Uhr

"Haltungsjournalismus" ist Lüge. Nicht mehr und nicht weniger: Genau Lüge.

Siegfried Hermann am 01.09.20, 11:42 Uhr

SZ
Die hatte schon bei FJS den legendären Ruf als Alpen-Prawda und sich den Namen Lücken- treffender Lügenpresse jahrelang hart erarbeitet und redlich verdient!
Zu FJS-Zeiten war zumin. die Wirtschaftsrubrik immerhin noch, sofern man durch die Blume lesen konnte, hilfreich. Seit Helmut Kohl nur noch ein Trümmerhaufen. Seit Merkel nur noch Prawda.
Ergo:
Kündigt das Abo. Ab in die Tonne. Im Netz gibt es zahlreiche, oft gratis, echte und wirklich bemühte Redaktionen, die die Wirklichkeit abbilden wollen.
Aber. Hütet euch von diesen Quacksalbern, die gegen cäsch Euch "Börsenempfehlungen" anpreisen.
Da hat schon vor 25 Jahren TV-DDR-Kommissar Manfred Krug die Bürger nach Strich und Faden verarscht.
Btw
Wirecard kommt so langsam in Fahrt.
DAS ist wirklich ein Wirtschafts(Politik)-Krimi erste Güte..... wenn man die Hintergründe kennt und versteht. Komischerweise ist noch KEINER von diesen "Börsen und Finanz-Experten" auch die Idee gekommen, wirklich hartnäckig zu recherchieren und publizieren. Warum wohl!?

Wohl an!

steffen fischerr am 01.09.20, 07:57 Uhr

Die Methode ist allen, die vor 1989 schon Augen zum Sehen und einen Kopf zum Denken genutzt haben, bestens bekannt. Damals hieß der ideologische Zauber "Standpunkt" und nur wer den richtigen (vorgegebenen) hatte, war auch ein brauchbarer DDR Bürger. Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich halt immer wieder. Damals waren es subversive Elemente und Rowdys, heute sind es Rechte und Nazis. Bohley hat es kommen sehen:
"Bärbel Bohley 1991: Man wird die Stasi-Strukturen genauestens untersuchen, um sie dann zu übernehmen."
Dabei wird es nicht bleiben. Das DDR Virus wird überall Einzug halten, weil es die Amtierenden so wollen, es so zulassen.

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