Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
… ein besonderer „Verlobungsring“ aus Ostpreußen war Tradition
Wie überall war es das Fest der Feste. Doch lasst mich erzählen: Laden und Café waren bis in den frühen Nachmittag hinein geöffnet. Das war nötig, denn noch bis zur letzten Minute wurde gerne bei Auschrat eingekauft. Wie schön, dass da nicht – wie heute überall üblich – laute Weihnachtsmusik dröhnte. Wie viel anheimelnder war dieses fröhliche, unaufdringliche Stimmengewirr, hin und wieder ein: „Frohes Fest“ und dazu ein leises Geschirrgeklapper. Die gewaltige Glastür zum Café pendelte behäbig hin und her, denn Gäste kamen und gingen. Mancher hatte es eilig, ein anderer noch Muße für einen Kaffee, Tee, Grog oder eine heiße Schokolade. Zu all dem strahlte der Weihnachtsbaum – er stand neben den Stufen, die zum Café führten, auf einem Tisch – mit den frohen Gesichtern um die Wette. Diese Räume hatten, zu welcher Jahreszeit auch immer, ihr eigenes, besonderes Flair. Doch zurück zum Vormittag des 24. Dezember.
Frohe Erwartung
Der Laufbursche hatte inzwischen seine Runde gemacht. Nicht etwa mit einem Auto, sondern mit dem Fahrrad. Er hatte ausgeliefert, was die Kundschaft für das Fest bestellt hatte. Mittags, wenn es ruhiger geworden war, nahm alles, was im Haus wohnte oder beschäftigt war, eine Mahlzeit ein. Meist war es eine – von der Köchin Gertrud zubereitete – Suppe. So langsam räumten auch die letzten Gäste das Feld. Laden und Café wurden in Ordnung gebracht, in der Küche wurde aufgeräumt und irgendwie bekam auch jeder seinen Nachmittagskaffee.
Wir Kinder fingen an, uns umzuziehen. Am frühen Abend fand dann ein gemeinsames Abendessen im Café statt. Zusammen mit unseren Angestellten waren wir eine Runde von etwa fünfundzwanzig Personen. Da eine so lange Tafel in keiner der Privatwohnungen Platz gehabt hätte, wurden solche gemeinsamen Essen immer im Café eingenommen.
An diesem Tag wurde stets einfach gegessen, und das war in jedem Jahr gleich. Es gab Kartoffelsalat und dazu einen „Verlobungsring“. Warum Verlobungsring, weiß ich bis heute nicht, und nun kann ich auch niemanden mehr danach fragen. Es handelte sich dabei um eine einmalig gut schmeckende Fleischwurst. So etwas gab es bei uns nicht zu kaufen. Aber in Schwirgsden. Von dort kam alljährlich zur Weihnachtszeit ein herrliches Paket. Wir konnten also ostpreußisch essen. Nun, wenn alles satt und zufrieden war, konnte mit dem festlichen Teil dieses schönsten Tages im Jahr begonnen werden. In einer der Privatwohnungen – meist in der ersten Etage bei Onkel Willi und Tante Greti – fand jetzt der krönende Abschluss dieses Tages statt. Wenn Onkel Hans aus Marienburg die Kerzen an der riesigen Tanne im Festzimmer angesteckt hatte – der Baum reichte mit der Spitze fast bis zur Decke, der damals sehr hohen Räume –, wurde geklingelt, und die Tür öffnete sich. Welch ein Glanz.
Geschenke und Hausmusik
Am Tag und am Abend zuvor hatten sich auch hier fleißige Hände geregt. Zum größten Teil war es das Werk von Onkel Hans. Die Flügeltür zwischen Esszimmer und Herrenzimmer stand weit auf, denn man brauchte viel Platz für einen überlangen Gabentisch. So reihten sich mehrere Tische, immer Schmalseite an Schmalseite, aneinander. Da lagen nun die Geschenke für die erwachsenen Familienmitglieder und für die Angestellten.
Alles war mit viel Liebe ausgesucht und hübsch verpackt worden. Nur für uns Kinder war hier nichts dabei. Aber nein, man hatte uns nicht etwa vergessen. Für uns standen sechs kleine Extratische im Herrenzimmer. Doch jetzt beim Hereinkommen wurde höchstens mal ein Blick riskiert. Zuerst einmal fand eine stimmungsvolle kleine Weihnachtsfeier statt. Onkel Eugen hielt eine kurze weihnachtliche Ansprache. Dann wurde gesungen, musikalisch begleitet von uns Kindern. Margot spielte auf dem Klavier, Horst und Hansi auf der Geige und Dorli, Ruth und ich auf der Blockflöte. Jedoch damit der Darbietungen nicht genug. Wir Kinder hatten alle etwas aufzusagen. Dorli und ich die Weihnachtsgeschichte und alle Kinder ein Gedicht. Das alles war tagelang vorher mit Onkel Hans geprobt und eingeübt, der Knicks für die Mädchen und ein Diener für die Jungen. Wer kann sich das heute noch vorstellen! Dazu unser „Outfit“: Die Jungen im Matrosenanzug, die Mädchen in weißer Matrosenbluse und blauem Faltenrock. Meine Schwester Margot habe ich allerdings in einer solchen Aufmachung nie erlebt.
Wenn der offizielle Teil der Weihnachtsfeier über die Bühne gegangen war, sagt Mutti immer die gleichen Worte: „Nun wollen wir mal Licht machen.“ Darauf hatten wir Kinder nur gewartet. Jetzt endlich konnten wir unsere Geschenke in Augenschein nehmen. Alles gab es da, was ein Kinderherz begehrte. Oder fast alles. Über Spielzeug, praktische Dinge bis hin zu wohlbekannten Süßigkeiten. Allmählich lag über diesem ganzen Geschehen ein unvergleichlicher Duft. Es roch nach brennenden Wachskerzen, dazu die Tanne, irgendjemand rauchte eine gute Zigarre, und hier und da schnupperte jemand von den Damen am Fläschchen 4711 oder Uralt Lavendel. Langsam löste sich dann die Gesellschaft auf, denn die Angestellten hatten noch ihren Heimweg vor sich und wurden von ihren Familien erwartet.
Die Feiertage waren dann eher geruhsam. Der Kirchgang fand am Vormittag des ersten Feiertages statt. Meist gingen wir nach Salem. Der Weg war weit, aber wenn es kalt war und Schnee lag, war es ein wunderschöner Weg. Einmalig war dann diese weihnachtliche Atmosphäre in Salem. Nachmittags wurde Besuch erwartet, wobei Muttis gutes Geschirr zur Geltung kam. Mitunter waren auch wir eingeladen. Viel zu schnell waren die Feiertage vorbei. Und doch waren die Erwachsenen sicher ein bisschen erholt, um für den kommenden Silvesteransturm in der Konditorei gerüstet zu sein. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
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