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Nach dem schlechtesten Wahlergebnis der SPD steigt Parteichef Lars Klingbeil wie Phoenix aus der Asche zum Vizekanzler auf. Aber wird sein energischer Griff zur Macht der Partei das Überleben sichern?
Mit Lichtgestalten ist die SPD gegenwärtig wahrlich nicht gesegnet. Auf die beharrlich finster dreinblickende Saskia Esken, die sich sechs Jahre lang ohne Strahlkraft als Co-Vorsitzende der Partei durchwurstelte, soll die blasse Bärbel Bas an der Parteispitze folgen. Die jetzige Bundesarbeitsministerin, die als vormalige Bundestagspräsidentin allenfalls mit albernen Tanzvideos im leergeräumten Plenarsaal in Erinnerung ist, versucht ihre persönliche Unscheinbarkeit mit knallfarbenen Jacketts wettzumachen, mit gedanklicher Brillanz ist sie noch nicht aufgefallen. Ihren ersten Sachvorschlag als Ministerin, die Rentenkasse mit Beiträgen von Beamten, Abgeordneten und Selbstständigen aufzufüllen, kassierte der neue Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) als untauglich: Schließlich bekäme jeder, der in die Rentenversicherung einzahle, entsprechend der Höhe seiner Beiträge auch etwas heraus.
Um jeglichen, heute üblichen, Eindruck der Misogynie zu entkräften, sei angefügt, dass auch dem männlichen Co-Parteichef Lars Klingbeil kein mitreißendes Charisma nachgesagt wird. Gewiss umweht ihn so etwas wie jungenhafter Charme, in Talkshows ist mitunter ein schelmisches Grinsen zu beobachten, doch der hünenhafte Niedersachse wirkt wie ein flotter Referatsleiter in einer Behörde, dem zwar fachlich wenig gelingt, der sich aber duzen lässt und als beliebt gilt.
Parteichef mit Gefolgschaftsproblemen
Trotz seiner offen vor sich her getragenen umgänglichen Gemütsart wird über Klingbeil berichtet, dass er im Zweifel auch rabiat seine Vorstellungen durchzusetzen weiß. Damit hat er seine Partei in den vergangenen Wochen in chaotische Zustände geführt. Ein Symptom für den desolaten Zustand der Sozialdemokraten nach ihrem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis von 16,4 Prozent dürften die 18 Stimmen sein, die im ersten Anlauf zur Kanzlerwahl Friedrich Merz die Gefolgschaft verweigert haben. Wiederum 18 Abgeordnete stimmten gegen den Klingbeil-Vertrauten Matthias Miersch als Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Ob es sich beide Male um dieselben 18 Personen handelt, weiß niemand. Aber vieles spricht dafür, dass mit der Niederlage im ersten Kanzlerwahlgang nicht zuallererst Friedrich Merz getroffen werden sollte, sondern Lars Klingbeil.
Viele in der SPD, zumal an der Basis, verübeln dem Parteichef, wie er noch am Abend der verlorenen Bundestagswahl kaltblütig nach dem Fraktionsvorsitz griff, um sich nach den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen ebenso dreist des Bundesfinanzministeriums und des Vizekanzleramtes zu bemächtigen. Seine Co-Vorsitzende Esken, die während der Verhandlungswochen um ein Ministeramt kämpfte, ließ er genauso eisig abblitzen wie er sie bis zum Schluss scheinheilig vor Angriffen in Schutz nahm. „Ich erlebe jetzt seit Tagen eine öffentliche Debatte über Saskia Esken. Das ist ein Stil, den ich in der SPD überhaupt nicht mag, wo ich immer dafür gekämpft habe, dass es den nicht gibt. Ich finde es beschämend, wie Diskussionen in den letzten Wochen gelaufen sind“, sagte er gegenüber „Bild“. Hinter den Kulissen war seine Mit-Vorsitzende längst ausgebootet.
So funktioniert ein echter Klingbeil. Er kann mit treuherziger Miene jemanden öffentlich verteidigen, während er intern an dessen Stuhl sägt. Unvergessen das ARD-Sommerinterview 2024, als der Moderator ihn fragte, ob er wirklich mit diesem unbeliebten Kanzlerkandidaten Scholz in den nächsten Wahlkampf ziehen will. Worauf Klingbeil beteuerte, wie sehr er von Olaf Scholz überzeugt sei, und davon, die Stimmung zugunsten von Scholz noch drehen zu können. Spätestens nach dem Ende der Ampel Anfang November ließ Klingbeil die Debatte um Boris Pistorius und dessen mögliche Kanzlerkandidatur absichtlich laufen, um die Stimmung in der Partei auszuloten – in der Hoffnung, Olaf Scholz loswerden zu können. Nach Angaben des „Tagesspiegel“ und von „t-online“ soll Klingbeil am 17. November zusammen mit Esken und Fraktionschef Rolf Mützenich im Kanzleramt Scholz nahegelegt haben, auf eine weitere Kandidatur zu verzichten. Aber Scholz blieb halsstarrig.
Ein Leben in der Politik-Blase
Und so musste Pistorius als beliebtester Politiker im Lande fünf Tage später in einem Video an seine Parteimitglieder verkündigen, dass er „für die Kandidatur um das Amt des Bundeskanzlers“ nicht zur Verfügung stehe. Wie sehr er von der Parteispitze dazu gedrängt wurde, kleidete er in die Worte: „Es ist meine souveräne, meine persönliche und ganz eigene Entscheidung.“
Doch womöglich war Klingbeil die Sturheit von Scholz gar nicht so unrecht, und er spürte schon im November, dass ein Verzicht von Pistorius und eine absehbare Wahlniederlage von Scholz dem Parteivorsitzenden ganz eigene Optionen eröffnen könnten. Seine Co-Chefin Esken war für ihn nie eine Konkurrenz; sie war so unpopulär, dass sie sogar von Parteifreunden öffentlich aufgefordert wurde, nicht mehr in Talkshows aufzutreten. So konnte sich Klingbeil ausrechnen, dass, je schlechter das Wahlergebnis ausfiel, desto lauter der Ruf nach Erneuerung der Partei erschallen würde. Und Klingbeil war mit damals noch 46 Jahren jung genug, um sich mit geschickten Winkelzügen an die Spitze des Neuanfangs zu schlängeln.
Wir müssen uns Lars Klingbeil als den Typus des Lauerers vorstellen. Am Arbeitsleben im klassischen Sinne hat er noch nie teilgenommen; gewisse Lebenserfahrungen, Erfolgserlebnisse und Nackenschläge, wie sie die meisten Menschen kennen, sind Klingbeil unvertraut. Geboren wurde er 1978 mitten in der Lüneburger Heide, in Soltau. Sein Vater war Bundeswehrsoldat, seine Mutter Einzelhandelskauffrau. Während seines Studiums der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte an der Uni Hannover arbeitete er in den Wahlkreisbüros von Kanzler Gerhard Schröder und des Bundestagsabgeordneten Heino Wiese und gelangte so in die Verästelungen der Partei. Nach Studienende 2004 wurde er ein typischer Parteikarrierist, war von 2003 bis 2007 einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jusos und schaffte es 2009 in den Bundestag. Bis 2015 war er Mitglied der Parlamentarischen Linken der SPD-Fraktion, seither gehört er dem konservativeren Seeheimer Kreis an. 2017 folgte er Hubertus Heil als Generalsekretär und 2021 wurde er zum SPD-Chef neben Saskia Esken gewählt. Ein Leben in der Politik-Blase.
Ein junger Mensch lernt in diesem Milieu keine wirtschaftlichen Sachzwänge kennen, schon gar keine existentiellen Nöte. Stattdessen trainiert er das Netzwerken und das Ausharren, das Warten auf den richtigen Zeitpunkt, das Lauern auf die Gelegenheit, den nächsten Posten zu ergattern, um sich Sprosse um Sprosse empor zu bewegen auf der Leiter der Macht mit ihren betörenden Gestaltungsmöglichkeiten. Seit Sigmar Gabriel standen nur noch Durchschnittsmenschen an der Spitze der SPD. Klar, die Sozialdemokratie ist die Partei der kleinen Leute. Geführt wurde die SPD aber einst von Ausnahmegestalten: August Bebel, Friedrich Ebert, Kurt Schumacher, Willy Brandt oder Gerhard Schröder. Helmut Schmidt war immerhin ein Ausnahmekanzler.
Leugnung politischer Wirklichkeiten
Der bislang letzte Kanzler der Sozialdemokraten war Olaf Scholz und ein Totalausfall. Ein emotionaler Analphabet mit entsprechend geringer sozialer Intelligenz, unfähig, zu anderen Regierungschefs menschliche Nähe herzustellen, ein anmaßender und besserwisserischer Aktenfresser. Nicht auszudenken, wie der Ukrainekrieg verlaufen wäre, hätten wir ab 2022 einen richtigen Staatsmann im Kanzleramt gehabt. Klingbeil hat jedoch Scholz stets gepriesen, hat dessen Zögerlichkeit schöngeredet, wo schnelles Zupacken geboten gewesen wäre, er hat an ihm als Kanzlerkandidaten festgehalten, als das ganze Land nur noch über Scholz gelacht hat. Mit 16,4 Prozent schossen die Wähler die Sozialdemokraten aus dem Kanzleramt.
Aber eben nicht aus der neuen Bundesregierung – der Brandmauer sei Dank. Der Moment, auf den Klingbeil gelauert hatte, kam am Abend der Bundestagswahl. Geschockt von einem Stimmenverlust für die SPD von 9,3 Prozent bot Fraktionschef Rolf Mützenich sogleich seine Demission an – und Klingbeil griff zu. Drei Tage später ließ er sich auf den mächtigen Parlamentsposten wählen. Unter all den glanzlosen Führungskadern der Partei ist Klingbeil jung genug, um symbolisch mit Hoffnung auf Erneuerung zu punkten und damit seine Macht auszubauen.
Dabei ist Erneuerung eine Phrase, die die SPD seit langer Zeit begleitet. Erneuerung ist das Synonym für den Status quo der Partei. Unter Klingbeil und Esken wirkte die SPD allerdings wie eingegipst in ihrem ideologischen Starrkrampf. Politische Wirklichkeiten wie das Migrationsproblem, die Wirtschaftskrise oder die wachsende Judenfeindlichkeit von Linken und Muslimen wurden von der Parteiführung öffentlich geleugnet und damit klassische Stammwähler vergrault. „Queere“ und migrantische Milieus wurden hofiert, und traditionell sozialdemokratische Arbeiter zur AfD getrieben, um sie dort als Nazis zu beschimpfen.
Vorboten eines wachsenden Unmuts
Längst hat sich in der SPD eine toxische Kultur breitgemacht, die sich gegen jede Selbstreflexion immunisiert. Die antifaschistische Brandmauer gegen den Popanz AfD ist das letzte Bollwerk gegen die Marginalisierung einer Sozialdemokratie, die das Gespür verloren hat, wer sie ist und woher sie kommt.
Doch an der Parteibasis gärt es. Die 18 Nein-Stimmen bei der Wahl des Kanzlers und der Fraktionsspitze könnten Vorboten eines wachsenden Unmuts gegen einen Parteivorsitzenden sein, der sich selbst ermächtigte, nachdem er seine Partei konsequent an den Rand der Bedeutungslosigkeit geführt hatte. Auf den Landesparteitagen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein blies Klingbeil der Wind entgegen. Eilig versprach er, das schlechte Wahlergebnis aufzuarbeiten. Eine der üblichen Wohlfühlfloskeln ohne Kraft zur Kurskorrektur. Wie die Genossen sein napoleonisches Durchregieren auf dem Bundesparteitag Ende Juni quittieren, bleibt abzuwarten.
Seinen Machterhalt als Bundesfinanzminister und Vizekanzler in der Regierung sowie als Parteivorsitzender hat Klingbeil jedenfalls geschickt abgesichert, indem er, der Seeheimer, sich auch Ergebenheiten bei den Parteilinken verschaffte. Die nominierte neue Co-Vorsitzende Bärbel Bas, der künftige Generalsekretär Tim Klüssendorf, gerade mal 33 Jahre alt, und der Fraktionschef Matthias Miersch sind links verortet, aber keine Schwergewichte, die Klingbeil gefährlich werden könnten. Einen Parteigranden wie Hubertus Heil, der gerne Fraktionsvorsitzender geworden wäre, hat Klingbeil vorsorglich in die hinteren Reihen verbannt.
Ob die Parteilinken an den Schaltstellen die SPD auf einen pragmatischen Kurs der politischen Vernunft bringen werden, ist eher fraglich. Klüssendorf hat bereits angekündigt, „das progressive Profil“ der SPD zu schärfen, ohne dabei beim Koalitionspartner anzuecken. Eine klassisch pseudolinke Seifenblase, die eher die gedankliche Überforderung des neuen Generalsekretärs verrät. Klüssendorf sollte lieber nach Dänemark und Großbritannien schauen, wo Sozialdemokraten ideologiefrei Probleme lösen. Anders wird die SPD ihre entflohenen Wähler kaum zurückgewinnen können. Klingbeil sollte dies klar sein, wenn seine Partei politisch überleben soll.
Holger Fuß ist freier Autor und schreibt regelmäßig für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften über das Zeitgeschehen. 2019 erschien „Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt“ (FinanzBuch Verlag). www.m-vg.de/finanzbuchverlag