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Die Langzeitschwimmerin Anna Weynell brach viele Rekorde – sie scheiterte nur an ihrer größten Herausforderung
Ostpreußen hat nicht nur viele hervorragende Männer, sondern ebenso viele bedeutsame Frauen hervorgebracht. Zu diesen zählt zweifellos auch Anna Weynell, die am 11. Juni 1904 in Tapiau geboren wurde. Die Tochter eines Fischereimeisters konnte schon als kleines Mädchen hervorragend schwimmen und bewahrte mit acht Jahren ihren älteren Bruder sogar vor dem Ertrinken. Insofern war es nur folgerichtig, dass sie 1926 den Lebensrettungsschein erwarb und bald darauf eine Stelle als Schwimmlehrerin in Breslau annahm.
Kurz zuvor, am 6. August 1926, hatte erstmals eine Frau den Ärmelkanal zwischen Dover in England und Cap Gris-Nez in Frankreich durchschwommen. Für die mehr als 32 Kilometer lange Strecke benötigte die US-Amerikanerin deutscher Abstammung Gertrude Caroline Ederle 14 Stunden und 32 Minuten. Von dieser hervorragenden Leistung inspiriert, versuchte sich auch Anna Weynell im Langstreckenschwimmen. Ihr diesbezüglicher Einstand war die Umrundung der Nordseeinsel Helgoland am 19. Juli 1927.
Ohne jedes vorhergehende Spezialtraining bewältigte sie die schwierige Elf-Kilometer-Strecke in sagenhaften vier Stunden und acht Minuten, während die Wellen immer höher schlugen und die Wassertemperatur von 17 auf 13 Grad fiel. Aber sie hatte noch weitaus mehr zu bieten. Denn nur wenige Wochen später gelang der jungen Schwimmerin aus Ostpreußen ein noch größeres Bravourstück.
Vorbereitet durch Rekorde
Bevor Weynell dieses Unterfangen am 24. August 1927 in Angriff nahm, hatte es bis dato noch niemand vermocht, die breiteste Stelle des Frischen Haffs schwimmend zu überwinden. Der letzte gescheiterte Versuch des Königsberger Seemanns Wilhelm Leuschner, die 22 Kilometer zwischen Pillau und dem Brandenburger Haken zu schaffen, lag damals nur eine Woche zurück. Die Tapiauerin stieg kurz vor 8 Uhr morgens ins Wasser und erreichte das gegenüberliegende Ufer des Haffs nach neuneinhalbstündigem Kampf mit der Dünung und den vielen tückischen Strömungen. Danach wollte sie, von ihren bisherigen Erfolgen motiviert, endlich auch einmal die Überquerung des Ärmelkanals angehen.
Einmal rund um Helgoland
Ihr diesbezügliches Training umfasste 40 Kunstsprünge vom Zehn-Meter-Turm und tausend Meter Schwimmen pro Tag. Den hierdurch erreichten Leistungsstand demonstrierte Anna Weynell am 12. und 13. Mai 1928, als sie im Hallenbad von Breslau den 24-Stunden-Weltrekord der Dänin Jansen im Dauerschwimmen brach.
Von Sonnabendabend 23 Uhr bis Sonntagabend 24 Uhr zog die junge Frau ihre Bahnen im Männerbecken, wobei sie sich im Wasser mit Schokolade, Obst, Bonbons, gekochten Eiern und belegten Brötchen stärkte. Dem folgte ein Langstreckenschwimmen rheinabwärts anlässlich des 14. Deutschen Turnfestes, in dessen Verlauf Weynell die 130 Kilometer zwischen St. Goar und Köln in 18 Stunden und 30 Minuten zurücklegte. Danach ging es an die französische Kanalküste.
Den ersten Versuch, nach Dover zu schwimmen, startete die Athletin am 29. August 1928. Diesen brach sie jedoch nach gut fünf Stunden wegen extrem schlechten Wetters ab.
Am 3. September 1928 sprang Weynell dann erneut um 4.25 Uhr morgens ins Wasser. 13 Stunden später fehlten ihr immer noch acht Kilometer bis Dover, trotzdem musste sie nun wegen lebensgefährlicher Erschöpfung aufgeben. Wie Weynell später schrieb, hatte das Vorhaben bis zu diesem Zeitpunkt an die 2000 Mark verschlungen, womit ihre kleine Erbschaft fast aufgezehrt war. Ungeachtet dessen stand sie drei Jahre später, am 1. September 1931, erneut am Cap Gris-Netz, um ihren dritten Versuch zu wagen. Als Begleiterin fungierte diesmal Elli Tetschke, ein schlesisches Tauch- und Schwimmtalent. Das Unternehmen scheitert allerdings schon nach zwei Stunden wegen zu starker Winde. Somit wurde Weynell nicht die erste Deutsche, die den Ärmelkanal durchschwamm, wie es oft fälschlich heißt.
Tragische Heldin
Vielmehr gebührt dieser Ruhm der aus Thüringen stammenden Ärztin Bruna Wendel-Plarre. Sie kam am 25. August 1938 nach 15 Stunden und 33 Minuten im Wasser zum Erfolg, starb allerdings schon im Folgejahr an der Grippe. Ihr früher Tod mit nur 36 Jahren wird auf die extremen Anstrengungen im Verlauf der Kanalüberquerung zurückgeführt.
Weynell hatte währenddessen die Lizenz als Fußball-Schiedsrichterin erworben und 1938 eine Anstellung als Schwimmmeisterin und Sportlehrerin in Frankfurt am Main erhalten. Bei den anglo-amerikanischen Terrorbombardements im Zweiten Weltkrieg wurde sie verschüttet, aber überlebte mit schweren Verletzungen durch ihre Fähigkeit, lange die Luft anzuhalten. Anschließend musste die Sportlerin mühsam wieder gehen lernen, wonach dann ab 1955 die erneute Teilnahme an Schwimmwettkämpfen folgte, auf die sie erst im Alter von 70 Jahren verzichtete.
Mehrfache Lebensretterin
Weynell starb am 6. Juni 1991 in der Mainmetropole. In vielen Nachrufen wurde neben den schwimmerischen Glanztaten der Ostpreußin stets auch erwähnt, dass sie 25 Menschen vor dem Ertrinken gerettet hatte. Die ihr selbst nicht vergönnte Durchquerung des Ärmelkanals ist bis heute ein höchst schwieriges und gefährliches Unterfangen geblieben. Während inzwischen rund 10.000 Personen auf dem Mount Everest, also dem höchsten Berg der Welt, standen, liegt die Zahl der erfolgreichen Ärmelkanalschwimmer nur bei etwa 2.500.