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Åsne Seierstad: „Der Buchhändler aus Kabul. Eine Familiengeschichte“, Kein & Aber Verlag, Zürich 2020, broschiert, 352 Seiten,  13 Euro
Åsne Seierstad: „Der Buchhändler aus Kabul. Eine Familiengeschichte“, Kein & Aber Verlag, Zürich 2020, broschiert, 352 Seiten, 13 Euro

Afghanistan

Im Zeitalter des Patriarchats

Vor 18 Jahren schrieb die Reporterin Åsne Seierstad einen Roman über das Leben einer afghanischen Familie, der an Aktualität nichts verloren hat

Manuela Rosenthal-Kappi
09.03.2021

Sie war mit Kommandanten der Nordallianz unterwegs, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 im afghanischen Bergland nach Osama bin Laden suchten. Als Kriegsberichterstatterin erlebte die Norwegerin Åsne Seierstad eine Zeit der Hoffnung, als der Krieg vorbei war und die Menschen aufatmeten.

2002 entdeckte Seierstad in Kabul einen Buchladen, der sie magisch anzog. Eines Tages lud der Buchhändler Shah Mohammed Rais – im Roman „Der Buchhändler aus Kabul“ Sultan Khan – sie zu sich nach Hause ein. An diesem Abend im Kreise der gastfreundlichen Runde kam ihr die Idee, ein Buch über eine Familie der Kabuler Mittelklasse zu schreiben. Der Buchhändler zeigte sich einverstanden, die Frau aus dem Westen bei sich leben zu lassen.

Sie zog bei der großen Familie ein, schlüpfte in traditionelle afghanische Kleidung und trug eine Burka, wenn sie das Haus verließ. Als Gast musste sie sich nicht an die strengen Vorschriften halten, die für afghanische Frauen gelten. Sie konnte sich frei zwischen den selbst auf Familienfeiern strikt getrennten Bereichen für Männer und Frauen bewegen. Seierstad ärgerte sich jedoch über die Art, wie Frauen behandelt werden.

Die Autorin wurde Zeugin sowohl von Brautwerbungen als auch der Rivalität zwischen der Erst- und Zweitfrau des Buchhändlers. Sie durfte Khan und dessen Sohn auf Geschäftsreisen begleiten. Dabei erlebte sie den Buchhändler als Patriarch, dem niemand, nicht die Söhne und erst recht nicht die Frauen, widersprechen darf. Khan hasste Faulenzer und war stets darauf bedacht, dass seine Geschäfte gut liefen. Gegen einen Dieb ging er mitleidlos und äußerst brutal vor. Spannend erzählt Seierstad von den jungen Söhnen, die gerne der Fuchtel des Vaters entkommen würden, und den Töchtern, deren Sehnsucht nach einem eigenen Beruf und einem selbstbestimmten Leben unerfüllt blieb.

Im Vorwort zur deutschen Ausgabe, die 18 Jahre nach den geschilderten Ereignissen erschienen ist, berichtet Seierstad von dem Zerwürfnis zwischen ihr und dem Buchhändler nach dem Erscheinen der norwegischen Erstausgabe, da dieser sich in einem negativen Licht gezeigt sah. Erst nach einem acht Jahre dauernden Rechtsstreit durfte das Buch wieder erscheinen.
Seit die Taliban zurückgekehrt sind und fast täglich Bomben in Afghanistan hochgehen, befinde sich das Land wieder im Zeitalter des Patriarchats, sodass ihre Beobachtungen auch heute noch aktuell seien, so Seierstad. Das Buch liefert einen spannend geschriebenen intimen Einblick in ein Land der extremen Widersprüche.


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