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Die Maiandachten im katholischen Oberschlesien sind sowohl ein Ausdruck der Volksfrömmigkeit als auch der deutschen Identität
Der Mai ist im katholischen Oberschlesien ein Monat der Marienverehrung, die sich in Maiandachten manifestiert. Diese Art der Volksfrömmigkeit wird von den deutschen Oberschlesiern nach der friedlichen Revolution in Polen und der damit einhergehenden Anerkennung der deutschen Volksgruppe als Erbe der Region gepflegt. Im 22 Kilometer von Oppeln [Opole] entfernten Städtchen Gogolin [Gogolin] werden jeden Sonntag im Mai deutsche Maiandachten gehalten, und das ununterbrochen seit 35 Jahren. Diese finden auf einer Wiese nahe der Autobahn A4 an einer Kapelle statt.
Schon lange vor dem ersten Maisonntag heißt es für die Gogoliner Familie Polanski, die Ärmel hochzukrempeln. Christian Polanski, der Vorsitzende der Gogoliner Organisation der deutschen Volksgruppe, mäht den Rasen, malt alle paar Jahre die Kapelle frisch, bessert kleinere Schäden aus. Seine Mutter Christiane und Ehefrau Barbara halten die Muttergotteskapelle sauber, sorgen für frische Blumen. Tochter Andrea, die bereits studiert, hilft seit ihrer Kindheit mit. Besonders für Großmutter Christiane sind die Maiandachten neben dem Ausdruck der Frömmigkeit auch eine Bekundung ihrer oberschlesisch-deutschen Identität. Sie sei in diese Tradition hineingewachsen, und die Geschichte der Gogoliner Muttergottes-Kapelle habe sie schon in ihrer Kindheit fasziniert. „In dieser Kapelle sprießt eine Wasserquelle. Um 1800 gehörten die hiesigen Ländereien der Familie Gaschin aus Zyrowa [Żyrowa]. Die Gaschins hatten eine Tochter, die blind geboren wurde. Der Legende nach soll ihnen eine alte Frau geraten haben, mit dem Mädchen zu der heilenden Quelle in Gogolin zu pilgern und mit dem heilenden Quellwasser dem Kind die Augen zu waschen. Die Alte sagte ihnen: ‚Aber Sie müssen fest daran glauben!'“, berichtet die Oma.
Die Adligen, so die Legende, haben sich dem Rat der Alten gebeugt, und ihr Töchterchen soll das Augenlicht erlangt haben. „Es heißt, die Jungfrau Maria hatte der Gräfin Gaschin diesen Ort offenbart. Zum Gedenken an dieses Wunder wurde um die Quelle eine Kapelle gebaut, wohin die Gogoliner bis heute pilgern“, so Polanski.
Vor 35 Jahren hielt der Gogoliner Geistliche und Professor Joachim Piecuch an dieser Kapelle die erste deutsche Maiandacht nach der friedlichen Revolution. „Es war eine Suche nach einem Stück Heimat, in der wir die Lieder und Gebete, so wie wir sie von unseren Eltern und Großeltern gelernt haben, singen und beten konnten“, sagt er. Der aus Gogolin stammende katholische Theologe ist Professor an der Universität Oppeln und engagierter Heimatforscher. Er ist Mitbegründer und Präsident des Vereins der Freunde der Gogoliner Heimat (Stowarzyszenie Miłośników Ziemi Gogolińskiej).
Der Verein widmet sich der Sammlung und Veröffentlichung historischer Materialien zu Gogolin, einschließlich der Zeitzeugenberichte und der Herausgabe der „Gogoliner Hefte“ („Zeszyty Gogolińskie“). Zu Piecuchs Engagement für die Erinnerungskultur gehört auch das regelmäßige Gedenken der sogenannten Oberschlesischen Tragödie von 1945, bei der durch den Einmarsch der Rotarmisten vorwiegend Zivilisten ums Leben kamen.
Vor 35 Jahren fing es an
Als junger Geistlicher begleitete Piecuch 1990 den Gründervater der Deutschen Minderheit, Johann Kroll, auf der Zugfahrt zur deutschen Botschaft nach Warschau. Im Gepäck hatten sie 40.000 Unterschriften von Oberschlesiern, die sich als Deutsche bekannten. Es war kein ungefährliches Unterfangen, erinnert sich Piecuch: „Wir wussten ja nicht, welche Auswirkung das haben wird, ob die Deutschen anerkannt werden. Es gehörte schon Mut dazu, aber man hatte große Hoffnung im Herzen.“ Piecuch erinnert sich gerne an Kroll, der bereits 1988 damit begann, noch im Untergrund Begegnungen der deutschen Oberschlesier aus dem Oppelner Land zu organisieren. Dabei sammelte er Unterschriften von Menschen, die sich als Deutsche bekannten. „Ich erinnere mich an seine Begeisterung, sein warmherziges Wesen, ich konnte ihm einfach nichts abschlagen“, so Piecuch.
Doch es gab für Piecuch auch Zeiten, in denen er seine deutschen Wurzeln verschwiegen hat. „Als Kaplan in Beuthen [Bytom], da galt ich als Pole und ich habe mich als Deutscher nicht zu erkennen gegeben“, erinnert er sich. Das schmerze ihn immer noch, doch „andererseits wäre es eher in der pastoralen Arbeit hinderlich gewesen“, so Piecuch, „aber in meinem Schrank und auf dem Schreibtisch lagen immer und ganz offen deutsche Bücher“. Mit der Zeit wurde ihm immer bewusster, dass das Deutsche „meine Welt, meine Haltung bedeutet. Es ist der Kulturkreis, dem ich zugehöre, und die deutsche Sprache, die mir bereits zu Hause beigebracht wurde, meine ist.“
Als Geistlicher wollte er Menschen in Not helfen. Und zu Zeiten der friedlichen Revolution spürte er, dass die oberschlesischen Deutschen in Not waren. „Diese Menschen waren mir nah, sie waren aus meinem Kulturkreis, aber auch wenn es Polen wären, in so einer Situation hätte ich ihnen auch geholfen. Es war nicht nur ein politischer Impuls, sondern auch ein pastoraler, denn man muss Menschen in ihren Nöten unterstützen, wie man nur kann“, so Piecuch.
Und das tut er in seinem Heimatort bereits 35 Jahre lang. Seine Maiandachten seien nicht nur etwas für die Seele, sondern auch fürs Zwerchfell, denn sie enden immer mit einem Witz. „Ich hoffe, dass die Gläubigen nach den Maiandachten mit Freude, Mut und einem Gerechtigkeitsgefühl nach Hause gehen. Und vielleicht nehmen sie auch etwas Identitätsstiftendes nach Hause, weil sie deutsche Lieder sangen, eine deutsche Predigt hörten und vielleicht auch wieder Freude an der deutschen Sprache verspürten.“