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225. Todestag

Katharina – die Zarin aus Stettin

Weitgehend unbekannt, sie war die produktivste russische Schriftstellerin

Martin Stolzenau
05.11.2021

Aus Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, die am 2. Mai 1729 in Stettin geboren wurde, dem Amtssitz ihres Vaters als preußischer Gouverneur, wurde zunächst Katharina Alexejevna, die Frau des russischen Großfürsten, und dann Zarin Katharina II. Sie erlebte eine der aufregendsten Karrieren der europäischen Geschichte, regierte über 34 Jahre das Riesenreich und entwickelte Russland zur europäischen Großmacht.

Um ihr Leben und Wirken ranken sich einerseits zahlreiche Verklärungen und andererseits auch Verleumdungen. Der Spötter Voltaire sah in ihr das Wunschbild einer aufgeklärten Herrscherin. Er gab ihr in Anlehnung an eine assyrische Königin den Beinamen „Semiramis des Nordens“. Demgegenüber bezeichneten die Protagonisten der Französischen Revolution sie wegen ihrer zahlreichen Liebhaber im Vergleich mit dem ausschweifenden Lebenswandel der dritten Frau des römischen Kaisers Claudius als „Messalina des Nordens“.

Produktive Dichterfürstin

Ihre historische Größe und menschlichen Schwächen werden in einer Fülle an Schriften untersucht. Dazu gibt es seit 1934 zahlreiche Filme. Letztlich ging Katharina II. als einzige Frau mit dem Beinamen „die Große“ in die Weltgeschichte ein. Doch dabei blieben ihre Leistungen als „Dichterfürstin“ weitgehend unberücksichtigt. Erst vor 2000 erschien in den USA ein Lexikon über Schriftstellerinnen in Russland. Darin ist die Zarin unter 2000 Autorinnen als die „produktivste russische Schriftstellerin“ ausgewiesen. Ein Umstand, der ihre ohnehin große Nachwirkung über ihren Tod vor 225 Jahren hinaus bis in die Gegenwart noch einmal steigert.

Die Aufsteigerin aus dem Fürstenhaus der Askanier verbrachte ihre Kindheit hauptsächlich in Stettin, wo ihre Neigung für Sprachen, Literatur und Künste vor allem durch ihre Erzieherin Elisabeth Cardel, Tochter eines französischen Refugiés, ausgeprägt wurde.

Über ihre Mutter war die Prinzessin mit dem aus Holstein gebürtigen letzten Enkel Peters des Großen verwandt, der den Anspruch auf die russische sowie schwedische Krone geerbt hatte und unter Zarin Elisabeth I. auf die Thronfolge vorbereitet wurde. Nachdem der Vater der Prinzessin 1742 wider Erwarten noch die Regentschaft in Anhalt-Zerbst übernommen hatte und die Fürstenfamilie von Stettin nach Zerbst gewechselt war, fädelte Friedrich II. von Preußen aus politischen Gründen die Heirat zwischen den beiden Fürstenkindern ein. Als Prinzessin Sophie, die in der Familie „Fieke“ gerufen wurde, 1744 unter größter Geheimhaltung mit ihrer Mutter nach Moskau zur Vorstellung reiste, war es ein Abschied für immer.

Nach Erlangung der Zustimmung der Zarin Elisabeth I. fügte sich die 15-Jährige mit erstaunlichem Machtinstinkt in die Situation ein. Den unansehnlichen, trunksüchtigen und unverträglich infantilen Großfürsten musste sie hinnehmen, wenn sie aufsteigen wollte. Die vermeintliche Landpomeranze konvertierte deshalb zum orthodoxen Glauben, nahm den Namen Katharina Alexejevna an, erlernte die russische Sprache und verharrte nach ihrer Heirat 17 Jahre mit ihrem Mann im Schatten der Zarin Elisabeth.

Impulse und Fortschritt

Die nunmehrige Großfürstin wurde wiederholt zum Spielball von Hofintrigen. Daran änderte auch die Geburt ihres Sohnes Paul nichts. Doch im Unterschied zu ihrem Mann, der aus seiner Abneigung gegen alles Russische keinen Hehl machte, nutzte sie die Zeit, um „Russin“ zu werden und das Wohlwollen mächtiger Staatsdiener zu erlangen.

Als der Großfürst nach dem Tod der Zarin 1761 als Peter III. den Thron bestieg und als erste Amtshandlung den Krieg mit Preußen beendete, setzten viele Politiker, Kirchenfürsten und Militärs ihre Hoffnungen auf die Deutsche, die zur Russin geworden war und sich in allen Hofintrigen behauptet hatte.

Gardeoffiziere unter Führung des Liebhabers Katharinas stürzten Peter III. am 28. Juni 1762. Sie riefen ihr Idol zur Kaiserin aus und ermordeten ihren abgesetzten Mann. Die 33-Jährige war am Ziel. Sie beschränkte sich aber nicht auf den Wechsel ihrer Liebhaber. Katharina II. entwickelte Leidenschaft fürs Regieren und setzte das Reformwerk Peters des Großen fort.

Sie gab dem Handel Impulse, ließ Gesetze reformieren, die Bildung erneuern, die Verwaltung zentralisieren, ausgestorbene Städte bevölkern, Ödland kolonisieren, Kolonisten aus Westeuropa anwerben, neue Anbaumethoden einführen und beförderte die soziale Fürsorge.

Nach außen dehnte sie Russland gegen Schweden und die Türkei nach Norden und Süden aus. Die Zarin erzwang zudem mit drei polnischen Teilungen einen strategisch bedeutsamen Gebietszuwachs nach Westen und begleitete ihr expansives Vorgehen durch eine geschickte Vertrags- und Bündnispolitik.

Vor dem Gesetz sind alle gleich

Katharina II., die mit der russischen Sprache, Geschichte und Literatur besser vertraut war als der russische Adel, stand mit Friedrich II. im Wettbewerb um die besten Gelehrten, korrespondierte mit den französischen Aufklärern unter Pseudonym und verfasste ebenfalls unter Pseudonym unter Vermittlung progressiver Gedanken Dramen, Komödien und Märchen. In ihren Komödien nimmt sie menschliche Schwächen aufs Korn.

In ihren als Großmutter geschriebenen Märchen formulierte sie bemerkenswerte Belehrungen und Grundsätze wie „Vor dem Gesetz sind alle gleich“ bis zu „Freiheit ist das, was die Gesetze erlauben“. Demgegenüber stehen auf der Minusseite ihre Günstlingswirtschaft mit einer langen Reihe von Liebhabern von Orlow über Saltykow und Poniatowski bis zu Potemkin und Subow, ihre Verschwendungssucht, Straffung der Leibeigenschaft und rücksichtslose Niederwerfung von Aufständen.

Das Bild, das die Zarin aus Stettin bis zum letzten Atemzug bei ihrem Tod im Jahr 1796 am 6. November nach dem julianischen Kalender, am 17. November nach dem gregorianischen Kalender, prägte, ist überaus facettenreich.

• Info Das Geburtshaus von Katharina II. in Stettin wurde rekonstruiert, es befindet sich in der Domstraße 791, jetzt: ulica Farna 1.


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Kommentare

Chris Benthe am 10.11.21, 11:18 Uhr

Wieder einmal ein bemerkenswerter Wissensstreich, der so charakteristisch für die PAZ ist. Und wofür man sie liebt.
Danke.

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