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Biographie

Komplizin des Zeitgeistes

In einer schonungslosen Abrechnung porträtiert Klaus-Rüdiger Mai die frühere Kanzlerin Angela Merkel

Holger Fuß
04.05.2025

Sieben Seiten wurden der Alt-Bundeskanzlerin im „Spiegel“ für ein Interview anlässlich des Erscheinens ihrer Memoiren eingeräumt und Angela Merkel nutzte die Gelegenheit, um die Entscheidungen in ihren 16 Regierungsjahren zu rechtfertigen. Ihre Weigerung, 2015 die Grenzen zu schließen? Ging nicht anders. Wir hätten sonst „unsere tollen Werte in Europa und die Menschen würde preisgegeben“. Selfie mit Flüchtlingen? Hatten keine Symbolwirkung. Auch der deutsche Sozialstaat habe keine Sogwirkung auf Armutsflüchtlinge. Für Merkel ist die fortdauernde illegale Massenmigration eine Art unabwendbares Naturereignis, mit dem wir uns zu arrangieren hätten. Ja, die Deutschen hätten eine Bringschuld: „Ohne die Offenheit und Veränderungsbereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft kann es keine Integration geben.“ 

Ob das Schleifenlassen des Russland-Ukraine-Konflikts seit 2014, die Abhängigkeit von russischem Gas, die vermurkste Energiewende, die Euro-Krise, schließlich das Corona-Regime – immer wieder erlebten die Bürger ihre Kanzlerin in einer Mischung aus Wurstigkeit und Inkompetenz, bei vielen wuchs das Unbehagen, im Kanzleramt säße jemand, der besser nie dorthin gekommen wäre. 

Ihre Autobiographie legte Angela Merkel nun unter dem Titel „Freiheit“ vor, am selben Tag erschien von Klaus-Rüdiger Mai gleichsam das Gegenbuch zur mehr als 700 Seiten starken Selbstrechtfertigung der früheren Regentin: „Angela Merkel – Zwischen Legende und Wirklichkeit. Eine kritische Biographie“. Mai unternimmt die schonungslose Abrechnung mit einer Frau, die er zu DDR-Zeiten wie unter gesamtdeutschen Verhältnissen als geschmeidige Opportunistin beschreibt. 

Merkel hat vielleicht unter ihrem übermächtigen Vater gelitten, dem Pfarrer Horst Kasner, aber nicht unter dem SED-Staat: „Für mich war die DDR-Zeit keine Last.“ Auch an der Friedlichen Revolution von 1989 hatte sie keinen Anteil, noch im September äußerte die FDJ-Kulturreferentin an der Akademie der Wissenschaften: „Wenn wir die DDR reformieren, dann nicht im bundesrepublikanischen Sinne.“ 

Da Merkel aber acht Jahre lang an ihrer Doktorarbeit als Physikerin nestelte und lustlos einer wissenschaftlichen Existenz entgegensah, suchte sie nach neuen Lebensperspektiven, die sie schließlich während des jähen Zusammenbruchs des Mauerstaates entdeckte. Nun drängte es sie in die Politik und, als durch glückliche Umstände der fulminante Einstieg gelang, an die Macht. 

Mai ist neun Jahre jünger als die Kanzlerin und stammt aus Sachsen-Anhalt, während die gebürtige Hamburgerin Merkel in der Uckermark aufgewachsen ist. Der Chronist ist mit den Lebensverhältnissen in der DDR bestens vertraut und so vermag er sich bei Merkel geradezu aromatisch intim einzufühlen und sie in die politischen wie kulturellen Zeitläufte einzubetten. Es gelingt ihm, trotz empathischer Nähe auf Distanz zu bleiben und die inneren Antriebsenergien Merkels aufzudecken. 

Immer wieder wird das Lebensgefühl in der deutschen Wohlstandsgesellschaft als bleierne Zeit bezeichnet; insbesondere Merkels Kanzlerjahre waren von geistiger Windstille und Ziellosigkeit gekennzeichnet. Bei Mai liest sich ihr Werdegang wie ein Thriller. Mai gelingt es, die graue Politroutine, die wir aus der abendlichen Tagesschau kennen, aus einer inneren Struktur heraus zu beschreiben. So wird das bürokratische Regierungsgetrödel und uninspirierte Politikergeschwätz zu einer konsistenten Erzählung und es blitzen sinnvolle Zusammenhänge auf. 

Auf einmal blicken wir ganz anders auf jene verhuscht wirkende junge Frau, die 1990 plötzlich die unvermittelt politische Bühne betritt. Erst als Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs, dann als Regierungssprecherin des letzten DDR-Ministerpräsidenten. Pünktlich zur Wiedervereinigung landet sie in der CDU, macht sich bei Helmut Kohl bemerkbar, sitzt zu Weihnachten im Bonner Bundestag und wird im Januar 1991 als Bundesministerin für Frauen und Jugend vereidigt. Eine Politkarriere binnen eines Jahres wie in einem Schelmenroman. 

Für Mai steht fest, dass Merkel „die CDU und ihre Funktionäre verachtete“. Als „grünorthodoxe Präsidialkanzlerin“ saß sie lieber mit Katrin Göring-Eckardt oder Annalena Baerbock auf der letzten freien Parlamentsbank zusammen, statt der Debatte zu lauschen. Die Union hat Merkel vor allem „als Karrieremaschine betrachtet“, wohl „nur aus diesem Grund scheint sie sich 1990 für die CDU entschieden zu haben“. Mai: „Nicht Werte, nicht Traditionen, nicht die Analyse historischer Notwendigkeiten leiteten sie, sondern die Komplizenschaft mit dem Zeitgeist, der sich für sie im Geist der Medien erschöpfte.“ 

Eine Frau ohne Überzeugungen sei Merkel, sagt Mai. Merkel stellt „den Prototyp einer neuen Politikergeneration“ dar, „der nur eine Überzeugung besitzt, nämlich die eigene Karriere voranzutreiben, sich hierfür unablässig in den Fächern Taktik und Intrige schult und stets das Bündnis mit den Medien sucht“. Nicht das Land stand bei Merkel im Mittelpunkt, denn das vereinigte Deutschland hatte sie, wie Mai ausführt, „nie zu Fuß, sondern von Anfang an nur vom Dienstwagen aus kennengelernt“. Stets handelte sie am „Primat der Nützlichkeit“ entlang, im Sinne des Eigennutzes. 

Verräterisch bekennt Merkel im „Spiegel“-Interview, sie habe sich „in der CDU immer wohl gefühlt“. Nichts von politischer Heimat einer in der Wolle gefärbten Christdemokratin – hier spricht eine Wohlfühlegoistin, die in der Union ihre persönlichen Aufstiegssehnsüchte erfüllen konnte. 

Damit ist die Kanzlerin das Vorbild für all jene Ampel-Politiker, die in der Post-Merkel-Ära mit all ihrer Ich-Getriebenheit und Selbstüberschätzung krachend gescheitert sind. Merkel hat politisch davon gezehrt, aus dem Osten zu kommen und eine Frau zu sein. Mit ihrem substanziellen Versagen hat sie vorgeführt, dass der Vorrang des Benachteiligtseins nicht nachhaltig ist. Es reicht eben nicht, dass genügend Frauen in der Politik sind, es müssen schon ausreichend qualifizierte Menschen sein, das Geschlecht ist einerlei. 

Merkel hat uns ein kaputtgespartes Land hinterlassen, in dem Wohnungen fehlen, die Infrastruktur verrottet und das Militär nach wenigen Kriegstagen seine Munition verschossen haben würde. „In der Regierungszeit Angela Merkels erfolgte der Bruch zwischen den Eliten und dem Volk“, schreibt Mai. In Merkels Ära erlebten wir den Niedergang des öffentlich-rechtlichen Journalismus, der in stillschweigender Komplizenschaft mit namhaften gedruckten Medien eine ergebene Hofberichterstattung entwickelte. 

Und indem Merkel die Konservativen aus der CDU vertrieb, wurde sie zur Hebamme der AfD und sorgte dafür, dass sich das Land seither im „Kampf gegen Rechts“ verzettelt. Als Kanzlerin, so resümiert ihr Biograph, war sie eine emsige Spalterin: „Angela Merkel hinterlässt ein tief in sich verfeindetes Land.“ Für eine viermalige Regierungschefin ein desaströse Bilanz.

 

Klaus-Rüdiger Mai 

Angela Merkel. Zwischen Legende und Wirklichkeit 

Europa, München 2024, 414 Seiten, 26 Euro


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