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Erfahrungen mit dem SED-Regime nicht in Hass, sondern in Kreativität umgewandelt: Ulrich Schacht (1951–2018)
Foto: UllsteinErfahrungen mit dem SED-Regime nicht in Hass, sondern in Kreativität umgewandelt: Ulrich Schacht (1951–2018)

Ulrich Schacht

Leise Töne, laute Töne

„Gewissen ist die Macht, die uns zur Freiheit führt“: Zum siebzigsten Geburtstag des wortgewaltigen Journalisten, Schriftstellers und Dichters mit Bekenntnis zur „selbstbewussten Nation“

Erik Lommatzsch
06.03.2021

Mut, Freiheit, standfestes evangelisches Christentum, Journalismus, engagierte politische Publizistik, sensible Dichtung, autobiographisch geprägtes, literarisches Erzählen, eine Vorliebe für nordische Landstriche, luzide Essays, stupende Bildung, ein entspanntes und positives Verhältnis zur eigenen Nation, eine heftige Abneigung gegen Totalitarismen jeglicher politischer Färbung und ein großes Stück Lebenslust – die Liste der Dinge, die sich mit Ulrich Schacht verbinden, ließe sich fortschreiben.
Eine mal leise-reflektierte, dann wieder dröhnend laute Persönlichkeit. So etwa, wenn er mit erhobener Stimme in einem Lokal seinem Missbehagen hinsichtlich der noch immer amtierenden deutschen Regierungschefin Ausdruck verlieh. In einer Hand die Zigarre, mit der anderen Hand kämpferisch gestikulierend, hatte er – unbeabsichtigt – die Aufmerksamkeit aller im Raum Anwesenden.

Am 9. März hätte Ulrich Schacht seinen 70. Geburtstag begangen. Geboren wurde er 1951 im Frauenzuchthaus Hoheneck, in dem seine Mutter inhaftiert war. Mit seinem Vater, einem sowjetischen Offizier, hatte sie in den freien Teil Deutschlands gehen wollen. Schacht erzählt die Geschichte sowie die seiner nach dem politischen Umbruch aufgenommenen Suche nach dem Vater, dessen Spur sich nach der Verurteilung der Mutter verlor, in dem 2011 erschienen Buch „Vereister Sommer“.

Von der SED inhaftiert

Aufgewachsen ist er in Wismar, nach einer Lehre als Bäcker und Konditor begann er mit dem Studium der Theologie. Wegen oppositioneller Betätigung, offiziell wegen „mehrfacher staatsfeindlicher Hetze“, verurteilte ihn das DDR-Regime 1973 zu sieben Jahren Freiheitsentzug. Im Urteil ist zu lesen: „Als Mittel seiner subversiven Tätigkeit benutzte er insbesondere seine Befähigung zum Verfassen von Gedichten, von Erzählungen und von anderen Schriften.“

Die zweite deutsche Diktatur hatte seine Qualitäten erkannt. Erschütternde Hafterfahrungen verarbeitete Schacht später in dem Band „Brandenburgische Konzerte“ – ein Buch, das jedem empfohlen sei, der einen verklärend-beschönigenden Blick auf die DDR pflegt.

Die Bundesrepublik kaufte ihn 1976 frei. Hier studierte er Philosophie und Politikwissenschaft und war schriftstellerisch und journalistisch tätig, unter anderem als Chefreporter Kultur bei der „Welt am Sonntag“ in Hamburg. Enttäuscht musste er feststellen, wie wenig viele der Westdeutschen ihre Republik und ihre freiheitliche Verfasstheit zu schätzen wussten und wie weit das Anliegen der deutschen Einheit dort ins Hintertreffen geraten war. 1998 siedelte Schacht nach Schweden über, wo er freischaffend als Autor lebte. Auch in der PAZ findet sich eine Reihe seiner Artikel. Im September 2018 ist Ulrich Schacht in seiner Wahlheimat gestorben.

„Normalerweise geht das nicht“

Fragt man im Kreis von Weggefährten, so heißt es beispielsweise vom Schriftsteller Jürgen K. Hultenreich, Schacht sei ein großer Dichter gewesen, mit grandiosem Ausdrucksvermögen und „gesunden politischen Ambitionen“. Hultenreich fügt hinzu: „Ein hochpoetischer Dichter und zugleich ein Intellektueller. Normalerweise geht so etwas nicht zusammen.“

Wortgefechte habe Schacht „mit dem Florett“ ausgetragen, immer habe die Sache im Vordergrund gestanden. Der Dokumentarfilmer Heiner Sylvester betont, Schacht habe Dinge geistig zusammengebracht, auf die andere in dieser Form nicht gekommen wären. Dann seien da feine Bilder gewesen, Lyrik, große intellektuelle Bögen habe er zu spannen gewusst, Philosophie und Naturbeschreibung, die „etwas Ewiges hat“.

Einigen kann man sich in der Runde – augenzwinkernd – auf die Formulierung, Ulrich Schacht habe alles gekonnt, „nur nicht fasten“. Wohlwollend wird diese Feststellung ergänzt: „Wenigstens diese Schwachstelle hatte er.“

Schacht begründete 1987 gemeinsam mit anderen die Evangelische Bruderschaft St. Georgs-Orden, der er bis zu seinem Tod als Großkomtur vorstand. Sein Nachfolger in dieser Funktion, Thomas A. Seidel, schätzt an ihm, „dass er die eigenen Erfahrungen als Verfolgter der SED nicht in Hass umgewandelt hat, sondern in schöpferische Kreativität auf verschiedenen Feldern“.

Die Herrschaft über die Begriffe

Sichtbar ist dies in der Poesie und den Prosawerken Schachts. Verwiesen sei hier insbesondere noch auf den großen Roman „Notre Dame“ von 2017 und die Novelle „Grimsey“ von 2015, über die der Kritiker Ulrich Greiner sagte, gäbe es „die Gattung Inselerzählung“, so hätte Schacht damit „die schönste“ geschrieben. Im publizistischen Bereich ist er insbesondere durch den 1994 gemeinsam mit Heimo Schwilk herausgegeben Band „Die selbstbewusste Nation“ bekannt geworden.

Hier führte er aus, in der Mediendemokratie sei derjenige souverän, der über den Auslegungszustand politischer Begriffe entscheide. Wer den „milieu- und ungeist-geschichtlichen Kontext zwischen Auschwitz und Kolyma“ leugne, selektiere die Opfer der Schreckenssysteme und verstümmle erneut. Und: „Hitler ist kein Charakter-Symbol der Deutschen, und Auschwitz ist nicht der logische End-Ort deutscher Geschichte“.

In einem anderen Band formulierte er: „Wenn Gewissen Macht ist, dann eine Macht, die uns zur Freiheit fähig macht.“ Über die Umbruchsmonate in der DDR 1989 merkte er einmal an: „Auch ein deutscher Herbst.“ Womit wir bei der positiven Einstellung zum Eigenen wären.


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