17.11.2025

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Wilmesaurisch in Ost-Schlesien

Letzte deutsche Sprachinsel wird nicht anerkannt

Der deutsche Dialekt ist zum Spielball für Polens nationalistischen Präsident Nawrocki geworden

Bodo Bost
17.11.2025

Der Ort Wilmesau [Wilamowice] ist der östlichste der einst deutschen Sprachinsel von Bielitz, die etwa 30 Dörfer umfasste. Hinter manchen Mauern erklingt eine Sprache, die es sonst nirgendwo mehr gibt – das Wilmesaurische. Nur rund 100 Menschen sprechen sie noch fließend, die meisten davon sind hochbetagt. Und doch ist sie plötzlich zum Gegenstand eines aktuellen politischen Streits geworden.

Ihre Wurzeln reichen zurück bis ins 13. Jahrhundert, als deutsche, flämische und holländische Siedler im Rahmen der großen Ostsiedlung nach Schlesien kamen. Aus ihrem bunten Sprachgemisch entstand eine eigene Mundart – ein ostmitteldeutscher Dialekt mit polnischen Einflüssen. Linguisten zählen sie zu den kleinsten germanischen Sprachen der Welt. „Wilmesaurisch ist einzigartig, ein sprachliches Fossil – aber lebendig“, sagt ein Forscher der Universität Warschau. Die UNESCO führt die Sprache als „stark gefährdet“, die Library of Congress erkennt es als eigenständige Sprache an, und selbst die Internationale Organisation für Normung (ISO) hat ihr einen eigenen Code zugeteilt.

Doch die politische Anerkennung als Regionalsprache bleibt ihr versagt. Mitte Oktober legte Polens Präsident Karol Nawrocki sein Veto gegen ein Gesetz ein, das dem Wilmesaurischen diesen Status zuerkannt hätte – entgegen der Empfehlung beider Parlamentskammern und zahlreicher Sprachwissenschaftler. In seiner Begründung lobt Nawrocki zwar „lokalen Patriotismus und die Pflege des Erbes der Vorfahren“, verweigert aber die Unterschrift, weil dies nur bei rein polnischen Vorfahren gelte. Beobachter sehen darin eine politische Taktik. Nawrocki steht der rechtsnationalistischen Partei PiS nahe, die seit Jahren eine strikt monolinguale Vorstellung der polnischen Nation vertritt. Schon Vorgänger Andrzej Duda aus dem PiS-Umfeld hatte 2024 die Anerkennung des Schlesischen, das noch von 450.000 Menschen gesprochen wird, als Regionalsprache blockiert. Dabei hat Polen, anders als Frankreich oder Russland, die europäische Charta der Sprachminderheiten unterzeichnet, handelt aber nun entgegengesetzt.

Dabei hat das Wilmesaurische mit „Deutsch“ im nationalen Sinne wenig zu tun. Schon vor Jahrhunderten sahen sich die Bewohner der Region nicht als Deutsche, sondern als eigene Gemeinschaft, die mit den Nachbardörfern meist Polnisch sprach. 1945 verbot das kommunistische Regime die Sprache als Symbol des Feindes. Erst seit 1956 wurde das Verbot aufgehoben.

Heute versuchen junge Linguisten und Kulturvereine, das Idiom zu retten. An der Universität Warschau läuft ein Sprachprogramm, Kinder lernen wieder einfache Lieder und Gebete auf Wilmesaurisch. Aber ohne offiziellen Status fehlt der Sprache die nötige Unterstützung. Trotz allem lebt sie weiter – in Gedichten, Liedern und Erinnerungen. Dichter wie Florian Biesik (1849–1926) und Józef Gara (1929–2013) haben eine kleine Literatur hinterlassen. Das Vaterunser beginnt auf Wilmesaurisch so: „Ynzer Foter, dü byst ym hymuł ...“ Vielleicht helfen ja Gebete gegen den nationalistischen Starrsinn in Polens Politik.


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