24.12.2024

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Ein Licht in dunkler Winternacht leuchtet den rechten Weg
Foto: pixabay.comEin Licht in dunkler Winternacht leuchtet den rechten Weg

Eine Adventsgeschichte

Madonna am Berg

Arno Surminski
24.12.2024

Bevor sie einschlief, streifte sie die Perlenkette vom Hals und legte sie dem Kind in die Hand.

„Du kannst jeden Tag eine Perle ins Dorf tragen“, sagte sie. Antonio wird dir Brot geben.“

Maria betrachtete die Perlen, die sogar im Dunkeln glänzten. Wenn sie aneinanderstießen, klang es wie fernes Glockenläuten.

Eine Perle am Tag ist genug, hörte sie die Mutter sagen. „Wenn du die letzte zu Antonio getragen hast, werden wir zusammen Weihnachten feiern.“

Weihnachten lag in weiter Ferne. Noch hielt sich die Wärme des Herbstes an den Hängen, die Bäume trugen bunte Blätter, und die Früchte begannen, süß zu werden. Erst wenn die Schafherden von den Bergen kommen, der Raureif auf die Gräser fällt, wird Weihnachten sein.

„Du musst die Kette gut verstecken“, sagte die Mutter, „damit die Räuber sie nicht finden. Auch vor den Hunden, die in den Bergen wildern, musst du dich in Acht nehmen. Lass niemand in die Hütte, bis Weihnachten ist!“

Danach sagte sie nichts mehr.

Maria vergrub die Kette im Sand und beschwerte sie mit einem Stein. Die Nacht über saß sie neben der Mutter. Es war eine stille Nacht mit großen Sternen und einem milden Wind, der aus dem Tal heraufzog und sich in den Bäumen verfing. Eidechsen raschelten im Gras, von fern riefen Nachtvögel, im Dorf bellten Hunde.

Maria schlief, bis die Sonne aufging und die Männer kamen. „Wo ist deine Mutter?“, fragten sie.

Maria wusste es nicht. Da gingen die Männer in die Hütte und fanden die Mutter vor der Feuerstelle. Sie trugen sie hinaus und legten sie auf die Stelle, an der Maria die Kette verscharrt hatte. Maria sprach sie an, aber die Mutter schlief noch.

„Du kannst hier nicht bleiben“, sagte einer der Männer zu dem Mädchen. „Komm mit ins Dorf. Wir bringen dich zum Pfarrer, der hat ein Haus, in dem viele Kinder leben.“

„Meine Mutter und ich wollen hier Weihnachten feiern“, antwortete Maria.

„Ach, Weihnachten!“, sagte der Mann. „Das ist noch ein weiter Weg. Bis zum Fest wirst du vor Hunger sterben, wenn du nicht zum Pfarrer gehst.“

Maria sah, wie die Männer die Mutter den Berg hinabtrugen. Wie leichtfüßig sie gingen! Sie stolperten nicht, kletterten mühelos über das Geröll, Maria hörte sie lachen und fluchen. Einmal blieben sie stehen, legten die Last ins hohe Gras und rauchten eine Zigarette.

Am Nachmittag verspürte Maria zum ersten Mal Hunger. Sie löste eine der glänzenden Perlen von der Kette und trug sie hinab ins Dorf auf dem gleichen Weg, den die Mutter mit den Männern gegangen war.

„Ich habe Hunger“, sagte sie und legte die Perle auf Antonios Ladentisch.

Antonio wog die Perle in der Hand, holte eine Lupe und betrachtete das Goldstück von allen Seiten, bevor er fragte: „Hast du es gestohlen?“

„Meine Mutter hat mir die Perle geschenkt.“

Er ließ das Goldstück in der Hosentasche verschwinden, brachte Brot, ein Glas Honig, etwas Ziegenkäse und eine Flasche Milch.
„Hast du noch mehr davon?“, fragte er.

Maria nickte.

„Gib mir alle Perlen“, sagte Antonio. „Du bekommst jeden Tag so viel zu essen, dass es genug ist.“

„Meine Mutter hat gesagt, die Perlen sollen bis Weihnachten reichen, dann kommt sie wieder.“

„Ach, bis Weihnachten ist es eine lange Zeit!“, Antonio geleitete sie zur Tür. „Du solltest nicht allein in den Bergen hausen. Ich werde mit dem Pfarrer reden, der hat ein Haus für Kinder. In dem kannst du auf deine Mutter warten.“

Auf halbem Wege am Berg machte sie Rast, tunkte das Brot in den Honig und trank von der Milch. Es war ein sonniger Tag, im Tal läuteten die Glocken, wie sie immer läuten mit traurigen, eintönigen Schlägen, wenn jemand zu Grabe getragen wird. In der Hütte angekommen, zählte Maria die verbliebenen Perlen. Bis Weihnachten sollten sie wohl reichen.

Sie ging nun jeden Tag zu Antonio, um eine Perle gegen die Dinge zu tauschen, die sie brauchte. Die Kette wurde immer kleiner; wenn keine Perle mehr da ist, wird die Mutter zurückkehren, dachte sie.

„An Weihnachten geschehen manchmal Wunder“, sagte Antonio an einem grauen, düsteren Morgen vor dem Fest. „Wenn du viel betest, wird das Wunder auch zu dir kommen.“

Die Erwartung auf Weihnachten versetzte sie in heitere Stimmung. Sie zählte und zählte, schließlich trug sie die letzte Perle zu Antonio.

„Mehr hab' ich nicht“, sagte sie. „Aber meine Mutter wird kommen, morgen schon wird sie kommen.“

„Für heute will ich dir reichlich geben, weil Weihnachten ist“, sagte Antonio. „Aber morgen musst du zum Pfarrer gehen.“

Am Weihnachtsabend kamen Schafe herab, sie umringten die Hütte und blökten. Der Schäfer, ein riesiger Mann mit einem Stab in der Hand, stand mitten in seiner Herde. Er sah aus wie einer der Heiligen, die neben der Krippe in der Kirche stehen. Vor der Tür lag ein Esel.

„Willst du allein Weihnachten feiern?“, fragte der Schäfer das Kind.

„Bald kommt meine Mutter“, antwortete Maria.

Sie rief die Mutter beim Namen, erhielt aber keine Antwort. Da sah sie, dass auf der Fensterbank Kerzen brannten. Es ist alles so, wie es Weihnachten sein sollte, dachte sie. Im Kamin flackerte ein Feuer, Wärme schlug ihr entgegen, es duftete nach Gewürzen, die die Könige aus dem Morgenland mitgebracht hatten.

Als sie aus dem Fenster schaute, sah Maria den Stern, der über der Hütte hing. Sein Licht fiel auf die Stelle, an der sie die Perlen im Sand vergraben hatte. Dort blühte eine Christrose, und neben der Blume lagen unzählige goldene Perlen, als wären sie gerade vom Himmel gefallen.

Der Schäfer trat näher. „Manchmal geschehen Wunder“, sagte er. „Ich werde es dem Pfarrer erzählen.“

Nachdem sich das Wunder vom Berg im Dorf herumgesprochen hatte, kam eine Prozession herauf, um es zu sehen. Sie sangen und beteten, und Maria zeigte ihnen die Stelle, wo die goldenen Perlen im Sand gelegen hatten und jetzt eine Christrose blühte. Über der Hütte lag immer noch ein heiler Schein.

Antonio, der mit heraufgekommen war, erzählte allen, wie das Kind ihm Tag für Tag eine goldene Perle gebracht hatte, um sie gegen Brot zu tauschen. „Bis gestern, da war es zu Ende mit der goldenen Kette, aber die Heilige Madonna hat sich des Kindes angenommen.“

Vor die Berghütte bauten sie später eine Kapelle, stellten eine Statue an den Eingang und nannten sie „Madonna am Berg“. Jedes Jahr um Weihnachten blühte die Christrose zu Füßen der Heiligen Jungfrau. Es wurde frommer Brauch, dass die Hungernden und Armen zum Berg zogen, um goldene Perlen im Sand zu suchen. Manchmal fanden sie welche.


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