11.11.2025

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Unter dem Eisernen Kreuz in der Bonner Ermekeilkaserne: Bundesverteidigungsminister Theodor Blank (vorne Mitte) verpflichtet die ersten 101 Freiwilligen der neugegründeten Bundeswehr
Bild: ullstein bildUnter dem Eisernen Kreuz in der Bonner Ermekeilkaserne: Bundesverteidigungsminister Theodor Blank (vorne Mitte) verpflichtet die ersten 101 Freiwilligen der neugegründeten Bundeswehr

Bundeswehr

Mal Freiwilligen- – mal Wehrpflichtarmee

Ein gutes Vierteljahr vor denen der DDR wurden die Streitkräfte der Bundesrepublik gegründet. Vor 70 Jahren erhielten die ersten 101 Freiwilligen vom Bundesverteidigungsminister ihre Ernennungsurkunden

Bernhard Knapstein
11.11.2025

Als am 12. November 1955 – dem 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst – die ersten 101 Freiwilligen der neugegründeten Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden erhielten, war das nicht nur ein administrativer Akt, sondern ein tiefer Einschnitt in die junge Geschichte der Bundesrepublik. „Nie wieder Krieg – aber auch nie wieder wehrlos“, lautete das vom Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden Konrad Adenauer formulierte Paradox, das über dem politischen Ringen dieser Jahre stand.

Der Krieg war kaum zehn Jahre vorbei, die Ruinen noch sichtbar, die Erfahrungen mit Militär geprägt von Verbrechen, Erniedrigung und totaler Niederlage. Dass ausgerechnet dieses Land erneut Soldaten unter Waffen stellen sollte, löste erbitterte Debatten aus – in der Politik, auf den Straßen und in den Familien der jungen Republik.

Einführung der Wehrpflicht 1956
Die Bundeswehr war nicht gewollt, sie war gefordert – nicht zuletzt durch den Druck der Alliierten und den längst begonnenen Kalten Krieg. Die Westintegration der Bundesrepublik, die Aufnahme in die NATO – all das war ohne eine militärische Einbindung nicht denkbar. Adenauer wusste, dass man politisch nur ernst genommen würde, wenn man bereit war, Verantwortung auch mit militärischen Mitteln zu tragen. „Ein Staat, der nicht willens oder in der Lage ist, sich zu verteidigen, wird auch politisch nicht geachtet“, sprach der Bundeskanzler in einer Bundestagsdebatte von 1954 den Deutschen ins Gewissen. Die Nation tat sich zwar schwer mit der Wiederbewaffnung, aber die Rückkehr in die Reihen der freien Nationen war wichtiger.

Doch es blieb ein Drahtseilakt. Die Bundeswehr musste sich bewusst von der Wehrmacht distanzieren, aber auf deren militärischem Wissen und Erfahrungsschatz aufbauen – ein schwieriger Balanceakt zwischen Traditionsbruch und Traditionspflege. So wundert es wenig, dass Spitzenoffiziere der Wehrmacht in der neuen Wehrführung persona non grata waren. Doch so ganz verzichten konnte man auf deren Expertise auch nicht, wie die bis 1960 beratende Funktion des früheren Generalfeldmarschalls Erich von Manstein zeigt. Dabei war der noch 1949 wegen Kriegsverbrechen verurteilt und erst 1953 aus der Haft entlassen worden. Ulrich de Maizière, einer der Architekten der Inneren Führung, fasste es später so zusammen: „Wir brauchten Soldaten, aber keine Befehlsempfänger alter Schule, sondern Staatsbürger in Uniform.“ Die Innere Führung, das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform, sollte garantieren, dass sich die Bundeswehr grundlegend von der Wehrmacht unterschied. Das Militär war nicht mehr Instrument eines Regimes, sondern demokratisch legitimiertes Mittel zur Verteidigung des Landes. Der Eid lautete bewusst nicht auf einen Führer, Kanzler oder eine Ideologie, sondern auf das Grundgesetz. In der Praxis blieb die Umsetzung nicht frei von Spannungen – zwischen militärischer Disziplin und demokratischer Debatte, zwischen Tradition und Moderne.

Die neuen Streitkräfte wurden zur hochgerüsteten Armee des Kalten Krieges. Panzerbataillone, Jagdbomber, Marineverbände – das westdeutsche Heer sollte im Ernstfall den „Wellenbrecher“ an der innerdeutschen Grenze bilden. Man investierte in Gerät und Ausbildung, die Truppe wuchs auf über eine halbe Million Männer. Die Wehrpflichtarmee war in den Alltag der Republik eingebunden, Kasernen waren Teil des Ortsbildes.

Die 2000er Jahre brachten einen Paradigmenwechsel. Statt Landesverteidigung lag der Fokus auf internationalen Missionen – Somalia, Kosovo, Afghanistan. Die Bundeswehr wurde „Armee im Einsatz“, verschlankt, spezialisiert, modularisiert. Die Wehrpflicht galt ideologisch als überholt. 2011 wurde sie unter Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg „ausgesetzt“ – faktisch abgeschafft. Man brauche, so hieß es aus politischen Kreisen, keine Massenarmee mehr, sondern nur noch gut ausgebildete Spezialkräfte für punktuelle Interventionen. Folge: Rückbau der Kreiswehrverwaltungen, Aufgabe und Privatisierung von Kasernen, Auflösung von Ausbildungseinheiten, Vernachlässigung der Reservisten – zentrale Strukturen einer Wehrpflichtarmee, die im Ernstfall schnell wieder personell aufgerüstet und unter Waffen gestellt werden muss.

Aussetzung der Wehrpflicht 2011
Was Effizienzen schaffen und Kosten einsparen helfen sollte, war letztlich politisch fahrlässig. Der russische Angriff auf die Ukraine ab 2014 im Donbas wurde noch wegdiskutiert, doch Putins Invasion im Februar 2022 führte zu einer sicherheitspolitischen Schockstarre in Berlin. Plötzlich war wieder die Rede von Bündnis- und Landesverteidigung, von abschreckender Wehrfähigkeit. Als der inzwischen vorzeitig entlassene Heeresinspekteur Alfons Mais mitteilte, „Das Heer steht blank“, war das wie ein Donnerhall. Die Offenbarung des Inspekteurs: Das Heer hat kaum noch Munition, sitzt massenhaft auf defekten Panzern und veralteten Hubschraubern – eine Truppe, die einst als Rückgrat Europas galt, war bis auf die reine Hülle ausgedünnt worden.

Gleichzeitig fehlt in Politik und Gesellschaft ein klares Bekenntnis zur Truppe. Während Polizisten und Feuerwehrleute gesellschaftliche Anerkennung erfahren, bleiben Soldaten oft im Halbschatten der Zivilgesellschaft. Traumatisierte Einsatzveteranen werden über Jahre missachtet.

Die Wehrpflicht hatte über Jahrzehnte eine Brücke zwischen Bevölkerung und Armee gebildet – ihr Wegfall hat diese Verbindung gekappt. Die Bundeswehr wurde zur Berufsarmee – respektiert vielleicht, aber nicht mehr verstanden.

Heute wird, angesichts internationaler Krisen, wieder über die Rückkehr der Wehrpflicht diskutiert. Verteidigungsminister Boris Pistorius spricht von einer „Wehrhaftmachung“ der Gesellschaft, von erforderlicher Kriegstüchtigkeit der Deutschen und schlägt ein neues Modell der Dienstpflicht vor – verpflichtend, aber wählbar zwischen militärischem und zivilem Dienst. Konservative Stimmen fordern hingegen eine echte Wehrpflicht, um die Verteidigungsfähigkeit wieder substantiell zu stärken. Immerhin der weitere Verkauf von Kasernen, etwa in Paderborn und Bielefeld, ist schon einmal gestoppt.


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