18.10.2025

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Ein extrem belesener Militär: Helmuth von Moltke
Bild: WikimediaEin extrem belesener Militär: Helmuth von Moltke

Helmuth von Moltke

„Mehr sein als scheinen“

Vor 225 Jahren kam das militärische Pendant zum Reichsgründer Otto von Bismarck in Parchim zur Welt – 1. Teil: 1800–1840

Manuel Ruoff
17.10.2025

Zu den Heroen der deutschen Einigung und der sie ermöglichenden Einigungskriege zählen Preußens Regierungschef Otto von Bismarck, manchmal noch Kriegsminister Albrecht von Roon sowie Bismarcks militärisches Pendant Generalstabschef Helmuth von Moltke. Der beliebteste von ihnen in der zeitgenössischen Bevölkerung war der Letztgenannte – und zwar aus guten Gründen.

Der große Schweiger, wie er genannt wurde, entspricht so überhaupt nicht dem antipreußischen Klischee vom polternden Kommisskopf oder vom arroganten, bornierten, eingebildeten, Monokel tragenden Offizier, der die Zivilisten verachtet. Moltke mit seinem Wahlspruch „Mehr sein als scheinen – viel leisten und wenig hervortreten“ war vielmehr die Liebenswürdigkeit in Person. Und er schätzte Wissenschaft und Technik. Gerade weil er die Leistungen der Zivilisten in Wissenschaft und Technik schätzte, versuchte er diese Leistungen dem Krieg und dem Militär dienstbar zu machen. Dies ist zweifellos ein Grund für seinen Erfolg. Die Schattenseite soll hier allerdings nicht ausgeblendet werden. Es handelt sich auch um einen Schritt in Richtung Totalisierung des Krieges.

Die bekanntesten Beispiele sind sicherlich die Nutzung von Telegraphie und Eisenbahn für die schnelle Kommunikation über große Strecken und den schnellen personalschonenden Transport der Truppe zum Kampfgeschehen, wo sie gut erholt, statt durch tagelange Märsche ermattet eingreifen konnte. Ohne die Telegraphie wäre Moltkes berühmte Vorgehensweise „Getrennt marschieren, vereint schlagen“ nicht möglich gewesen.

Telegraphie und Eisenbahn genutzt
Moltke hatte die Zeichen der Zeit erkannt. Die Industrialisierung führte zu einer enormen Bevölkerungsexplosion. Hinzu kam die allgemeine Wehrpflicht, die zwar nicht von den Preußen erfunden worden war, aber dafür von ihrer sauberen, vergleichsweise unbestechlichen Verwaltung konsequent durchgezogen wurde. Hieraus ergaben sich während der Einigungskriege von 1864, 1866 und schließlich 1870/71 in zunehmendem Maße in dieser Form zuvor nicht gekannte Massenheere. Moltke erkannte das Problem der Versorgung und der Mobilität dieser Massenheere. Er formulierte es 1865 wie folgt:

Die Schwierigkeiten in der Bewegung wachsen mit der Größe der Truppenkontingente. Mehr als ein Armeekorps kann auf einem Wege an einem Tage nicht fortgeschafft werden. Daraus ergibt sich, daß bei Armeen die Getrenntheit der Korps der normale Zustand, daß ihre Versammlung ohne bestimmten Zweck ein Fehler ist.

Die dauernde Konzentration wird, schon mit Rücksicht auf die Ernährung, oft eine Unmöglichkeit; sie drängt zur Entscheidung und darf deshalb nicht stattfinden, wenn der Augenblick der Entscheidung nicht gekommen ist.

Die versammelte Armee kann überhaupt nicht mehr marschieren, sie kann nur noch querfeldein bewegt werden. Um zu marschieren, muß sie erst wieder getrennt werden, was angesichts des Gegners eine Gefahr wird.

Wenn dennoch die Vereinigung aller Streitkräfte zur Schlacht unbedingt geboten ist, so liegt in der Anordnung getrennter Märsche unter Berücksichtigung rechtzeitiger Versammlung das Wesen der Strategie.

Notwendigkeit der Auftragstaktik
In der Schlacht vereinen sich in Moltkes Idealfall die getrennten Kräfte nicht vor dem Feind, sondern in ihm, sprich: Sie greifen ihn aus unterschiedlichen Richtungen an unterschiedlichen Stellen an, was dazu führt, dass die feindliche Front wie 1866 bei Königgrätz von der Seite aufgerollt oder gar wie im Deutsch-Französischen Krieg eingekesselt wird. Nicht Gebietsgewinn oder Ermattung des Gegners war Moltkes Streben, sondern dessen Vernichtung. Damit ist nicht die physische Vernichtung durch Tötung gemeint, sondern die militärische Neutralisierung durch Gefangennahme.

Eine Voraussetzung für das koordinierte Vorgehen trotz räumlicher Trennung ist mit der Telegraphie bereits genannt worden. Die andere Voraussetzung war die „Auftragstaktik“, die als Germanismus auch in andere Sprachen Einzug gehalten hat. Der Unterführer bekommt nicht in kurzen Zeitabständen gesagt, was er tun soll, sondern er erhält einen längerfristigen Auftrag, ein Ziel genannt, den er zu erfüllen, das er zu erreichen hat. Wie er das macht, ist weitgehend ihm überlassen.

Das setzt eine gewisse Selbstständigkeit der Unterführer voraus. Und so ist denn auch ein gesundes Selbstbewusstsein und eine Ausbildung zu eigenständigem Handeln typisch für die preußisch-deutsche Armee geworden, seit Moltke 1858 Chef des Generalstabes der Armee, des späteren Großen Generalstabes wurde.

Aus verarmtem Adel
Neben der Fähigkeit zu selbstständigem Denken ist auch eine gewisse Einheitlichkeit des fachlichen Denkens der Unterführer erstrebenswert, damit die Truppe beziehungsweise die Unterführer für den Führer berechenbar bleiben und nicht zum Chaosklub mutieren. Beides setzt eine sehr ausgiebige Ausbildung selbst von Unterführern voraus, die ebenfalls unter Moltke als Generalstabschef typisch für die preußisch-deutsche Armee wurde.

Wie viele preußische Reformer ist Moltke nicht in Preußen zur Welt gekommen, und wie Bismarck war er mütterlicherseits bürgerlicher Herkunft. Es hat schon eine gewisse Komik, dass der zumindest militärisch sehr fortschrittliche Moltke ausgerechnet in Mecklenburg geboren wurde, wo doch Bismarck meinte: „Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später.“ In Parchim erblickte Moltke am 26. Oktober 1800 das Licht der Welt, ein Mann des 19. Jahrhunderts.

Über die bürgerliche mütterliche Seite seiner Vorfahren erfährt man nur Gutes. Seine Mutter, Henriette Paschen, gehörte einer Patrizierfamilie der Hansestadt Lübeck mit hugenottischem Einschlag an. Sie scheint der gute Geist der Familie gewesen zu sein. Sie wird als „eine Frau von hoher Bildung, tiefen Gemüthes und gläubigen Herzens, ernst und schweigsam, aber voll Lust an Poesie und Kunst“ beschrieben. Der Großvater mütterlicherseits war ein wohlhabender Geheimer Finanzrat, die Großmutter mütterlicherseits wird als „sehr schöne“ Frau „von sanftem, liebevollem Charakter“ beschrieben.

Begabt, fleißig und ehrgeizig
Von Moltkes adeligem Vater hört man weniger Gutes. Trotz eigenen Erbes und Mitgift seiner Frau verarmte die Familie unter seiner Führung. Um das ostholsteinische Gut Augustenhof kaufen zu können, wurde er Däne. Da er als Landwirt nicht genügend erwirtschaften konnte, trat er in die dänische Armee ein. So konnte er wenigstens erreichen, dass seine Söhne Helmuth und Fritz in den Genuss von Freistellen in der dänischen Kadettenakademie in Kopenhagen kamen. Diese Zeit empfand Moltke als trostlos. Dort habe er „keine Erziehung, sondern nur Prügel erhalten“.

Angesichts dieser beschränkten wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse war Moltkes sprichwörtliche Bescheidenheit am Anfang im Gegensatz zum Ende seines Lebens geradezu alternativlos. Es spricht allerdings für Moltkes wahre und nicht nur erzwungene Bescheidenheit, dass er diese, seine Selbstbeherrschung, sein zurückhaltendes Auftreten und Wesen, das einen großen Teil seines Charmes und seines Erfolges ausmachte, selbstkritisch als Charakterfehler interpretierte.

Da ich keine Erziehung, sondern nur Prügel erhalten, so habe ich bei mir keinen Charakter ausbilden können. Das fühle ich oft schmerzlich. Dieser Mangel an Halt in sich selbst, dies beständige Rücksicht nehmen auf die Meinung anderer, selbst die Präponderanz der Vernunft über Neigung verursachen mir oft einen moralischen Katzenjammer, der bei anderen gerade aus dem Gegenteil einzutreten pflegt. Man hat sich ja beeilt, jeden hervorstechenden Charakterzug zu verwischen, jede Eigentümlichkeit wie die Schößlinge einer Taxuswand fein beizeiten abzukappen – so entstand denn die unglückselige Eigenschaft des Charakters: die Charakterschwäche. Wie beneide ich fast alle anderen Menschen um ihre Fehler, um ihre Derbheit, Unbekümmertheit und Geradheit.

Das Martyrium der Kadettenausbildung endete 1817. Die Offiziersprüfung bestand Moltke als Viertbester und das Pagenexamen als Bester. Wie alle Kadetten auf Freistellen diente er nun erst als Page am dänischen Hofe, bevor er 1819 zum Sekondeleutnant ernannt wurde.

Moltke war begabt, noch fleißiger und ehrgeizig. Er erkannte, dass er nur durch beruflichen Aufstieg seine missliche materielle Lage verbessern konnte, und er hatte das Zeug dazu. Die dänische Armee war ihm zu klein. Aberwitzig klingt die Begründung, mit welcher der Mann, der gut vier Jahrzehnte später das Seinige zur dänischen Niederlage im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 beitrug, seine Entlassung aus dänischen Diensten dem Dänenkönig Friedrich VI. schönzureden trachtete:

Möge es mir irgendwann in der Zukunft vergönnt sein, die Befähigungen, die ich zu erwerben trachte, zum Nutzen des Königs und Dänemarks einzusetzen.

Die Dänen gaben sich falschen Hoffnungen hin. Moltke wechselte 1822 in die Armee der norddeutschen Großmacht Preußen, um dort zu bleiben. Und weiter arbeitete er mittels Bildung an seiner Karriere. 1823 bis 1826 besuchte er die Allgemeine Kriegsschule in Berlin. Er verließ die Ausbildungsstätte mit der Gesamtnote „vorzüglich gut“. Sein Lieblingsfach Mathematik sorgte dafür, dass es nicht nur „sehr gut“ wurde.

Von Dänemark nach Preußen
Auch außerhalb des Dienstes war Moltke emsig. Er besuchte das Theater und die Universität, er betätigte sich schriftstellerisch, um nebenbei noch etwas zu verdienen. Ein Mann, dessen Fähigkeiten ausreichten, um nicht nur mit der Waffe, sondern auch mit dem Wort Geld zu verdienen. 1827 erschien als eines seiner ersten Werke seine Novelle „Die beiden Freunde“. Sachbücher folgten.

Es ist bezeichnend für Moltkes militärische Karriere und teilweise auch seitens seiner Kameraden kritisiert worden, dass er fast nie in der Truppe Dienst tat. Stabsdienst war sein Ding. Nach dem Besuch der Kriegsschule wurde er Lehrer an einer Divisionsschule und 1828 zum Topographischen Bureau des Großen Generalstabes nach Berlin kommandiert. Moltke war ein begabter Geograph und Zeichner. Da bot sich das an. Ihm gelang es, sich im Generalstab der Armee einzunisten und ein fester Bestandteil desselben zu werden.

Ungeachtet seiner schwierigen finanziellen Verhältnisse verlangte es Moltke in der ihm eigenen offenen Art und Neugier, mehr von der Welt zu sehen. Er beantragte einen mehrmonatigen Bildungsurlaub und erhielt ihn auch, nachdem er vorausgegangene Dienstreisen ins Ausland für seinen Arbeitgeber sinnvoll genutzt hatte. 1835 ging es los. Stationen der Bildungsreise sollten Wien, Athen, Neapel und Konstantinopel sein. Moltke war gerade in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, als dessen Sultan den preußischen König um Militärberater bat. Da bot es sich an, dass der Bildungsurlauber gleich in dieser Funktion im vormaligen Byzanz blieb.

Militärberater in Konstantinopel
In dieser Zeit entstanden Moltkes unter dem Titel „Unter dem Halbmond“ im Jahre 1841 veröffentlichten „Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839“. In diesen ist es faszinierend zu lesen, mit welcher Offenheit, Unvoreingenommenheit, Neugier und Kultursensibilität Moltke beobachtet sowie das Gesehene und Erlebte präzise und anschaulich zu Papier gebracht hat. Zu verspüren ist weder kulturelle Arroganz noch romantische Verherrlichung des Exotischen. Zur Veranschaulichung wird differenziert und selbstkritisch verglichen mit den dem Leser bekannten Verhältnissen in Preußen, und Kritik oder Verwunderung wird sehr fein und humorvoll zum Ausdruck gebracht.

Hierin zeigt sich die für Moltke typische Fähigkeit und Bereitschaft zur differenzierenden, geradezu wissenschaftlichen Analyse der Lage – und gegebenenfalls des Gegners. Dass Moltke der Lage und dem Handeln seines Gegners derart Rechnung trug, ist einerseits Ausdruck seiner Bescheidenheit. Es ist aber auch Teil seines Erfolgsrezepts, Flexibilität an den Tag zu legen, statt rücksichtslos einen langfristigen Plan zu verfolgen. Er formulierte es wie folgt:

Es ist eine Täuschung, wenn man glaubt, einen Feldzugplan auf weit hinaus feststellen und bis zum Ende durchführen zu können. Der erste Zusammenstoß mit der feindlichen Hauptmacht schafft, je nach seinem Ausfall, eine neue Sachlage. Vieles wird unausführbar, was man beabsichtigt haben mochte, manches möglich, was vorher nicht zu erwarten stand. Die geänderten Verhältnisse richtig auffassen, für eine absehbare Frist das zweckmäßige anordnen und entschlossen durchführen, ist alles, was die Heeresleitung zu tun vermag.

„Erst wägen, dann wagen“
Einer sorgfältigen Analyse und einer der Lage Rechnung tragenden Planung unter Berücksichtigung von Vor- und Nachteilen folgte bei Moltke dann die kühne Tat. „Erst wägen, dann wagen!“ war sein erklärtes Motto.

Doch zurück zu Moltkes Jahren bei den Osmanen. Gegen den Rat des Beraters aus Preußen, der um die schlechte Moral der osmanischen Armee wusste und zum Rückzug riet, kam es 1839 zur Schlacht bei Nisib zwischen dem Osmanischen Reich und dem abtrünnigen Ägypten.

Die Niederlage bei Nisib war zwar alles andere als ein krönender Abschluss seiner Mission, aber sowohl der osmanische Sultan als auch der preußische König wussten Moltkes Einsatz zu schätzen. Von König Friedrich Wilhelm III. erhielt er den „Pour le mérite“ sowie von Sultan Mahmud II. einen wertvollen Ehrensäbel und einen mit Brillanten besetzten Orden.

Schon damals waren Auslandseinsätze für Militärs finanziell attraktiv, und so verfügte Moltke nun endlich über etwas Geld. Interessant und aufschlussreich ist, wie er es nutzte. Er beteiligte sich mit 10.000 Talern an der Berlin-Hamburger Eisenbahn. Moltke schätzte den Wert dieses modernen Verkehrsmittels also schon damals, und zwar nicht nur wie später fürs Militär, sondern auch für das zivile Leben und Wirtschaften im Frieden.

Den 2. Teil lesen Sie in der nächsten Ausgabe der PAZ.


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